BAD URACH. »Es wird gräflich!« Mit diesem Satz wirbt die Stadt Bad Urach für die fünf Themenwanderungen, mit denen sie von Ende Juni bis Anfang September das Zehnjährige feiert. Im April 2014 eröffnete der damalige Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Alexander Bonde (Grüne), die Uracher Grafensteige. Eine neue Epoche in der Tourismus-Landschaft der Kurstadt begann. Die vom Deutschen Wanderinstitut zertifizierten Premiumwanderwege brachten mehr und neue Gäste nach Bad Urach. Jetzt wird gefeiert.
Nicht nur von städtischer Seite aus mit den fünf Themenwanderungen: Britta Götzendorfer, eine leidenschaftliche Läuferin und Wanderin, hat die Grafensteige an einem Tag am Stück unter ihre Sohlen genommen. Für die 53-Jährige »ein wunderschönes Erlebnis«. Und ein gutes Training für das Everesting Alpin8 an diesem Wochenende. Da will die 53-Jährige im Brandnertal 8.848 Meter bergauf wandern. Morgen, Samstag, um 5 Uhr geht’s los. Die Teilnehmer haben 36 Stunden Zeit für den höchsten Berg der Welt.

Everesting. Das Prinzip ist so einfach wie brutal: Man sucht sich irgendeinen Berg auf der Welt und bezwingt ihn mit dem Fahrrad oder wandernd so oft, bis man 8.848 Höhenmeter geschafft hat – so viele, wie der höchste Berg der Welt hoch ist. Würde also auch in Reutlingen funktionieren: Vom Marktplatz bis zur Achalm sind’s 325 Höhenmeter. Macht nach Adam Riese etwas mehr als 27 Aufstiege.

Alpin8. Im Brandnertal geht’s »nur« 17 Mal hoch. Dafür geht’s auf den dreieinhalb Kilometern knackig zu mit Steigungen zwischen 9 und 35 Prozent. Nicht nur auf breiten Schotterwegen, sondern auch auf schmalen Trails mit Treppenabschnitten. Runter geht’s in acht Minuten mit der Palüdbahn, sie läuft die ganzen 36 Stunden durchgehend. Durchgehend offen sind auch die vier Verpflegungsstationen. Ganz ohne Schlaf sind die 8.848 Meter in 36 Stunden nicht zu schaffen, die Teilnehmer hauen sich also immer mal wieder aufs Ohr – Britta im Auto. Wann und wie oft und wie lange, hängt davon ab, wie’s läuft.
Heimat. Am Anfang war aber nicht der Everest, sondern die Grafensteige. Mit denen hat bei Britta Götzendorfer alles angefangen. »Die Idee, alle fünf am Stück zu machen, hatte ich sicher schon vor vier Jahren«, sagt die 53-Jährige, die jetzt fünf Jahre für die Grünen im Uracher Gemeinderat war. »Die Grafensteige sind ein perfektes Trailrunning-Paradies«, sagt sie. Sie sind aber vor allem ein Genuss: »Es ist unfassbar schön, hier leben zu dürfen«, schwärmt die Uracherin, die ihre Brötchen als Verwaltungsleiterin der VHS Reutlingen verdient. Für die Grafensteige hat sie nur gute Worte übrig: Die Wege sind nicht nur bestens ausgeschildert, sie führen auch an lauter schönen Stellen vorbei. Britta hat die meisten schon als Läuferin kennengelernt, »die Grafensteige führen sie aber wirklich toll zusammen«.
Qualität. Worte, die Torsten Clement runtergehen wie Öl. Der Tourismus-Chef hat im April 2010 in Bad Urach angefangen. Damals punktete die Kurstadt mit Quantität: 230 Wanderwege auf insgesamt 150 Kilometern. »Das haben wir umgekehrt«, sagt Clement. Jetzt gibt’s »nur« noch 25 Wanderwege auf 45 Kilometern. Die sind dafür deutlich besser gepflegt und beschildert. Geadelt wurde die Uracher Wanderlandschaft mit den Premiumwanderwegen. Ab 2011/2012 machten sich die Touristiker Gedanken, im Herbst 2013 wurden sie ausgeschildert, im Frühjahr 2014 auf der CMT präsentiert und eröffnet. Kurz nach der Eröffnung kam »Wanderpapst« Manuel Andrack nach Urach. Der Ritterschlag kam zwei Jahre später, als der Wasserfallsteig zu Deutschlands schönstem Wanderweg gewählt wurde.
Massen. Der Ansturm danach war gewaltig. Wie viele es waren, vermag natürlich niemand zu sagen. Dass sich etwas getan hat, ist aber bis heute spürbar, sagt Torsten Clement. Man sieht mehr Leute und mehr parkende Autos. Mit allen Schattenseiten: Es gibt mehr Müll, mehr zertrampelte Natur neben den Wegen, und beim schon lange angestrebten und begonnenen Besucherlenkungskonzept sprechen so viele wichtige Menschen mit, dass das auch noch lange nicht fertig ist. Aber die Grafensteige sind Teil der DNA von Bad Urach geworden.

Pflege. Deshalb tut die Kurverwaltung alles, damit die fünf Premiumwege gut dastehen. »Wir haben für jeden Weg einen Wegepaten«, sagt Clement. Der geht »seinen« Weg jedes Jahr drei Mal in beide Richtungen. Kleinere Dinge werden selber gerichtet, bei größeren sucht Verena Zeh, die Produktmanagerin Wandern und Outdoor, Hilfe beim Bauhof, bei den städtischen Waldarbeitern, manchmal wird auch ein externer Forst- oder Gartenbauunternehmer verpflichtet. »Oder wir melden es dem Forst«, so Clement. Der hat nämlich in vielen Bereichen – gerade im Bereich des Wasserfallsteigs – das Sagen. Ohne die Männer von ForstBW geht hier gar nichts, und die haben sehr genaue Vorstellungen, was geht und was nicht.
Wasserfall. Britta Götzendorfer sind solche Dinge eher egal, so lange sie in aller Ruhe auf den Grafensteigen ihre Heimat genießen kann. Wobei sie am Uracher Wasserfall das bemängelt, das ganz viele stört: Die Treppen sind nicht nur überflutet, wenn’s wie neulich nicht mehr mit Regnen aufhört und sind deshalb für viele nicht mehr zu schaffen. Wer zum Kiosk auf der Hochwiese will, muss außen rum gehen – oder wird halt klatschnass.
Kopfsache. »Ja, die Herausforderung Everesting ist körperlich hart«, räumen die Alpin8-Veranstalterinnen Saskia Bauer und Flores Rekowski ein, »aber ob du es schaffst, entscheidet sich nicht in den Beinen, sondern im Kopf.« Saskia und Flores haben sich beim Mountainbiken kennengelernt. Vor drei Jahren machten sie am Freiburger Schauinsland gemeinsam ein Everesting. Die 8.848 Meter schafften sie in 28 Stunden. Seither ist Vieles anders: »Unser eigenes Everesting hat uns verändert. Wir sind selbstsicherer geworden, glauben an das, was in uns steckt«, sagen sie.

Training. So wichtig der Kopf bei Ausdauersportarten ist: Die Beine wollen auch trainiert sein. Das hat Britta Götzendorfen nach Kräften gemacht. Laufen tut sie eh sehr viel, drei bis vier Mal in der Woche – mindestens. Wenn sie bei ihrem Bruder Ludwig in Kitzbühel ist, wetzt sie wie eine Gämse die Berge hoch. Jetzt, für das Everesting, gab’s einige Spezialeinheiten. Also zwei Mal (an unterschiedlichen Tagen) die fünf Grafensteige am Stück. Oder am 18. Mai, als sie sieben Mal den Pfänder hochwanderte. Rauf zu Fuß, runter mit der Bahn. »Das waren mehr als 4.000 Höhenmeter«, sagt sie, »ging gut. Das Verrückte ist, dass ich am Tag danach überhaupt keine Muskelkater hatte – beim Marathon ist das anders.«

Schweinehund. »Viertausend Höhenmeter: voll gut – aber nicht mal die Hälfte«. Britta verzieht das Gesicht und kichert. Die Frau, die nicht nur eine Leidenschaft fürs Laufen hat, sondern auch für Hashtags, hat neulich das erste Mal #schiss gepostet. Wenn sie an die Wettervorhersage im Brandnertal denkt – eher nass und eher kühl –, kriegt sie Gänsehaut. Verregnete Touren daheim werden mit #nasskaltbäh abgehakt, wenn man unter diesen Bedingungen aber einen Everest bezwingen will, wird’s ernst. Also ein weiteres Mal #kampfdemschweinehund. (GEA)
Besondere Wanderungen zum Uracher Jubiläum
Die Bad Uracher Kurverwaltung feiert das Zehnjährige der Premiumwanderwege mit fünf Themenwanderungen. Hier ein Überblick: »Wandern und Schlemmen« auf dem Seeburgsteig am Sonntag, 30. Juni; »Wandern und Singen« auf dem Hohenwittlingensteig am Sonntag, 7. Juli; »Wandern und Fotografieren« auf dem Hohenurachsteig am Sonntag, 21. Juli; »Wandern und Schlemmen« auf dem Hochbergsteig am Sonntag, 18. August; »Wandern und Wellness« auf dem Wasserfallsteig am Sonntag, 1. September. (GEA)
www.badurach-tourismus.de/wandern-outdoor/wandern/premiumwanderwege-grafensteige