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Ganz lässig dank super Bremsen

REUTLINGEN/PFULLINGEN. Winter in meiner Kindheit. Gleich nach Schule und Mittagessen schnappe ich mir im Heizungskeller die Langlaufski meiner Mutter und laufe direkt von der Terrasse los. Wir wohnen zwischen Alb und Schwarzwald, gut 700 Meter hoch. Wir schreiben die siebziger Jahre, und in der Familie mit vier Kindern fehlt es an so manchem, aber an Schnee fehlt es im Winter nie.

Skike-Fans auf lockerer Ausfahrt.
Skike-Fans auf lockerer Ausfahrt. Foto: Heiner Keller
Skike-Fans auf lockerer Ausfahrt.
Foto: Heiner Keller
Manchmal ist das klapprige Loipengerät schon vorbeigekommen, aber meistens ziehen wir selbst unsere Spur ins makellose Weiß - schön parallel, mit weiten Bögen, jeden Tag eine andere Strecke, bei Schneetreiben oder Sonne. Wie dann abends das Essen schmeckt, trotz Sonnenbrand und Blasen an den Fersen! Manchmal träume ich noch heute davon.

Bremsen auf dem Grasstreifen

Das Langlaufen ist meine Leidenschaft geblieben. Statt eingelassener Fellstreifen haben meine Ski nun glatte Laufflächen: Wer einmal an der Skatingtechnik geschnuppert hat, ist ihr verfallen. Doch ohne die jährliche Langlaufwoche im steirischen Salzkammergut, wo sich unser Nachwuchs praktischerweise auf Alpinpisten austoben kann, lässt mir die globale Erwärmung im Schnitt vielleicht zehn, fünfzehn Langlauftage im Jahr. Und die übrigen elf Monate?

Schon vor Jahren habe ich mir Inline-Skates besorgt, kaum dass die ersten Modelle zu haben waren. Ein fabelhaftes Fahrgefühl, und schnell waren sie obendrein. So schnell, dass zusätzliches Schieben mit Stöcken wenig Sinn machte - also hatten, wie beim Radfahren, nur die Beine etwas zu tun.

Zum Bremsen übrigens haben Inliner an einer Ferse einen Gummiklotz, den man auf den Asphalt drückt. Das ist etwa so, als würde ein extrem kopflastiges Auto nur an einem einzigen Rad gebremst. Nach den ersten, trotz kompletter Schutzrüstung schmerzhaften Stürzen habe ich im Rucksack immer Schuhe für die Gefällstrecken mitgenommen, denn um Pfullingen geht es eigentlich immer entweder bergauf oder bergab.

Manche meiner schneesüchtigen Leidensgenossen sind mit schlanken Skirollern unterwegs. Die haben aber überhaupt keine Bremse und in den einschlägigen Foren wird empfohlen, im Fall des Falles den Grasstreifen neben der Straße anzusteuern und dort über die Schulter abzurollen - und ich dachte, wir leben hier im Land der Denker und Ingenieure.

Aber dann kam der Internetanschluss und innerhalb von Sekunden die Information, dass ein Absolvent des »MIT« eine Art Landrover-Version des Rollschuhs entwickelt hatte, mit Luftreifen wie an einem Kinderroller, luftgedämpfter Carving-Lenkung durch Gewichtsverlagerung, Rückrollsperre und Scheibenbremsen.

Bald war ich auf diesen sündhaft teueren Cross-Skates unterwegs, schob mich über Stock und Stein die Berge hinauf und sauste selig und sicher wieder hinab: lange Touren, Oberhausener Steige, Honauer Zahnradtrasse, Zeller Tal, vom Arbachtal zum oberen Lindenhof - keine Albtraufsteige war vor mir sicher. Ständig musste ich Passanten Rede und Antwort stehen über die futuristischen Geräte an meinen Füßen (»Mr heert gar nix - wo isch denn doh dr Moddor?«).

Inzwischen sind Bewegungsprogramme für den ganzen Körper in Mode gekommen: Für Einsteiger gibt es Nordic Walking mit Stöcken, und für Freunde der dynamischen Fortbewegung die von einem österreichischen Tüftler erdachten Skikes. Auch diese haben Luftreifen für einen weichen Lauf und, was noch wichtiger ist, für jeden Fuß eine zuverlässige Bremse. Gefahren wird mit beliebigen Sportschuhen, die sicher auf den Skikes festgeschnallt werden. Die Konstruktion ist sehr viel einfacher als bei den Cross-Skates und die Skikes wiegen auch nur die Hälfte.

Rechnet man noch ein Paar guter Skatingstöcke mit Asphaltspitzen hinzu, dann kosten Skikes etwa so viel wie ein Paar Ski. Allerdings dürften die Skikes deutlich länger halten; außerdem lassen sie sich auf die Schuhgrößen der ganzen Familie einstellen und praktisch das ganze Jahr über benutzen.

Mein Langlaufproblem jedenfalls ist nun gelöst. Und manchmal, manchmal träume ich nun im Winter davon, wie ich an einem warmen Tag auf meinen Rollen durch sommerliche Wiesen schwinge, und in naher Ferne lockt ein kühler Biergarten ... (GEA)