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Aktuell Hochwasser

Flutschutz in Metzingen: Privatleute mit zuständig

Nach dem Starkregen im Sommer hat die Metzinger Stadtverwaltung nun nachgerüstet: Das Wehr am Freibad wurde automatisiert, Bäche entschleunigt.

Hochwasser in Glems (hier 2013) sollen sich dank Bach-Aufweitungen nicht wiederholen.
Hochwasser in Glems (hier 2013) sollen sich dank Bach-Aufweitungen nicht wiederholen.
Hochwasser in Glems (hier 2013) sollen sich dank Bach-Aufweitungen nicht wiederholen.

METZINGEN. Die Kelternstadt hat dieses Jahr Glück im Unglück gehabt: Zwar flutete Starkregen am 28. Juni etliche Keller und die Rathaustiefgarage und ließ eine Fabrikhalle einstürzen, Wasser drang auch in drei Kinderhäuser ein. Doch traten weder die Erms noch die ihr zufließenden Bäche oder die angeschlossenen Kanäle über die Ufer, was noch größere Überflutungen zur Folge gehabt hätte. Solche gab es etwa in den Jahren 2008 und 2013, auch außerhalb der Stadt, etwa am Buchbach im Bereich des Trimm-dich-Pfads, wo das Hochwasser Wege flutete und schädigte.

Durch diese Ereignisse alarmiert, hat die Stadtverwaltung umgedacht, technischen und baulichen Hochwasserschutz auf den Weg gebracht. Funktioniert es, und was kann noch getan werden? Der GEA hat bei Konrad Berger, dem Leiter des Amts für Planen und Bauen bei der Stadt Metzingen, nachgefragt.

- Wie funktioniert der neue technische Hochwasserschutz, hat er den Wasserstrom bei Starkregen bremsen oder verteilen können?

Das städtische Wehr am Freibad wurde automatisiert. Es regelt den Zufluss des Lohmühlekanals, in den hinter dem Duderstadtgelände auch der Buchbach mündet. Das Wehr enthält drei sogenannte Fallen, also Schieber, die je nach Wasserlage gehoben oder gesenkt werden. Dies geschieht nun rechnergesteuert. Der Rechner bekommt permanent Daten von Pegeln der Salonkreuzung, am Zusammenfluss von Glemsbach und Tiefenbach, am Lohmühlekanal und am Buchbach (Retentionsraum am Trimm-dich-Pfad) angebracht sind, und steuert die Fallen entsprechend der Pegelhöhe und des Wasserdrucks.

Das Bett der Erms ist am Lindenplatz 2013 breit genug, um das Hochwasser zu halten.
Das Bett der Erms ist am Lindenplatz 2013 breit genug, um das Hochwasser zu halten.
Das Bett der Erms ist am Lindenplatz 2013 breit genug, um das Hochwasser zu halten.

»Die Wehrsteuerung kam bereits mehrfach zum Einsatz. Somit konnten Hochwasserprobleme rund um den Lohmühlekanal abgewendet werden«, zieht Berger zufrieden Zwischenbilanz. »Die Erms ist in diesem Abschnitt des Kanals glücklicherweise in der Lage, auch 100-jährige Abflussereignisse aufzunehmen.« Was auch für den Abschnitt am Lindenplatz gilt, der 2013 nicht überlief. Im weiteren Verlauf durch die Stadt ist die zuvor zugebaute Erms auf dem Gaenslen-&-Völter-Gelände dank der Holy AG und engagierten Bürgern renaturiert worden und hat dadurch neue Überflutungsflächen bekommen.

- Welche baulichen hochwasserpuffernden Maßnahmen gab es in letzter Zeit noch, und wie haben sie gewirkt?

Auch hier kann Berger Erfolge melden: »Die in der Vergangenheit öfters aufgetretenen Hochwasserschäden insbesondere am Saulbach, Spalerbach, Buchbach und Glemsbach konnten durch die baulichen Maßnahmen bisher komplett vermieden werden.« Der Saulbach zwischen Neuhausen und Dettingen bekam 2014 einen neuen, größeren Durchlass, sein Bachbett wurde erweitert. Seither sind Überflutungen im Wohngebiet Kies Vergangenheit.

Die 2020 errichtete Flutmulde an der B 312 kann den Stetterbach bremsen.  FOTOS: PFISTERER
Die 2020 errichtete Flutmulde an der B 312 kann den Stetterbach bremsen. Foto: Markus Pfisterer
Die 2020 errichtete Flutmulde an der B 312 kann den Stetterbach bremsen.
Foto: Markus Pfisterer

Durchs anschließende Wohngebiet Amtäcker-Brühl fließt der Spalerbach, der nicht bebaubare Überflutungszonen bekam. Der Glemsbach wurde in der Glemser Ortsmitte sowie im Bereich der Klosterstraße in Neuhausen baulich entschleunigt, der Buchbach am Trimm-dich-Pfad-Parkplatz und oberhalb im Wald durch einen Retentionsraum. Der Stettertbach an der B 312 zwischen Metzingen und Riederich bekam im Sommer 2020 eine Flutmulde, bei deren Bau die zwei Kommunen und das Regierungspräsidium Tübingen an einem Strang zogen.

- Welcher weitere Hochwasserschutz ist aus Sicht der Verwaltung denkbar?

Der Glemsbach könnte im Bereich der Stauseestraße renaturiert, in Glems selbst könnte sein Profil erweitert werden. Sowohl der Buchbach als auch der Stettertbach könnten im Wald neue Retentions- (Rückhalte-)Flächen bekommen, sodass schon dort nicht mehr so schnell wie zuvor Hochwasser entstehen könnte. Retentionsräume bekommen könnten auch der Neugreuthbach und der Lindenbach. Am Trimm-dich-Pfad-Parkplatz hält Bauamtsleiter Berger baulichen Hochwasserschutz für möglich.

- Was können und müssen Grundeigentümer tun?

Die Uferbereiche ihrer Grundstücke freihalten und nicht als Lager- oder Abstellplatz nutzen. Dadurch könnten sich hochwasserführende Bäche in die Uferzonen ausbreiten und würden gebremst, nicht durch Hindernisse beschleunigt, die zudem als Treibgut mitgeschwemmt werden und woanders den Wasserfluss behindern könnten. »Wichtig ist, dass Grundstückseigentümer mitmachen«, sagt Konrad Berger und weiß doch, dass die Motivation ganz unterschiedlich ist: »Manche machen mit Begeisterung mit, andere sträuben sich.«

Von Bebauung freizuhalten: Überflutungsflächen am Spalerbach in Amtäcker-Brühl.
Von Bebauung freizuhalten: Überflutungsflächen am Spalerbach in Amtäcker-Brühl. Foto: Markus Pfisterer
Von Bebauung freizuhalten: Überflutungsflächen am Spalerbach in Amtäcker-Brühl.
Foto: Markus Pfisterer

Wichtig ist die Mitwirkung vor allem in innerörtlichen Gewässerabschnitten, weil dort die Stadt nur sehr eingeschränkt Eigentum hat. »Es muss dort gearbeitet werden, wo es Sinn macht«, hält Berger fest: »vor allem an Engstellen und nicht beliebig in der Feldflur«. Nach dem baden-württembergischen Wassergesetz ist jeder Grundeigentümer für Maßnahmen gegen Unwetterschäden verantwortlich, nicht nur die Stadt oder Gemeinde. »Diese Zuständigkeit muss in der Bevölkerung noch stärker bewusst werden.«

- Bekommt die Stadt ein Starkregenrisikomanagement, was kann es bewirken und können Bürger sich daran beteiligen?

Die Stadt hat ein Starkregenrisikomanagement (SRRM) in Auftrag gegeben, dessen Kosten mit 75 Prozent vom Land gefördert werden. Dahinter verbergen sich Karten, die für unterschiedliche Regenstärken zeigen, in welchen Bereichen, in welcher Richtung und in welcher Überstauhöhe oberflächiges Hochwasser zu befürchten ist. Damit sind sie der Stadt eine wichtige Entscheidungshilfe, wenn es um Renaturierungs-, Schutz- und Retentionsmaßnahmen an Gewässern geht. Die Karten beruhen auf Daten aus dem Frühjahr 2021, sind derzeit in der Phase der Plausibilisierung und »werden mit der Feuerwehr, dem Baubetriebshof und weiteren berührten Stellen detailliert durchgegangen«, informiert Berger.

Auch die Einwohnerinnen und Einwohner werden mitreden können, an einem Informationsabend, der noch nicht terminiert ist. Berger weiter: »Ziel des Starkregenrisikomanagements ist, dass zum einen jeder Grundstücksbesitzer die Gefahren für sein Grundstück ersehen kann und die von ihm selbst machbaren und zu realisierenden Maßnahmen erfahren kann.« Das können Bodenmodellierungen sein, Mäuerchen, Lichtschacht-erhöhungen oder Spundwände vor Türen. Zum anderen wird das SRRM der Stadt »die sinnvollen und machbaren Problemstellen aufzeigen, woraus sich ein Maßnahmenkatalog ableitet«.

Die Karten sind für jede und jeden auf der Homepage der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (LUBW) abrufbar, jedes einzelne Grundstück kann eingesehen werden: https://udo.lubw.baden-württemberg.de

- Wie weit reicht der bisher denkbare Hochwasserschutz?

Er soll 100-jährige Starkregen- oder Hochwasser-Ereignisse vermeiden und abwehren helfen, also solche, die es in ihrer Intensität und Wassermenge statistisch alle 100 Jahre gibt. Der Klimawandel lässt sie indes bereits gehäuft vorkommen. »Hochwasserschutz ist eine Daueraufgabe«, sagt der Metzinger Planungs- und Bauamtsleiter denn auch.

Doch menschliches Tun hat Grenzen. Kein Kraut gewachsen erscheint derzeit gegen Flutkatastrophen, die im Juli das Ahrtal oder das Ruhrgebiet heimgesucht haben. Auch bei stundenlangem Starkregen, wie er im Sommer 2017 über Dettingen niederging und unter anderem die Schillerhalle unter Wasser setzte, ist die leistungsfähigste Kanalisation machtlos. Oberhalb von Glems prasselte 2008 kaum zu bändigender Starkregen: Binnen 75 Minuten fielen 67 Liter pro Quadratmeter und strömten über die abfallenden Wiesen in den Ort. (GEA)