BAD URACH. Uthe Scheckel hat schon bessere Tage als diesen Samstag erlebt. Spätestens in dem Moment, in dem ihr Mann Dieter das DIN-A5-Papier neben die Kaffeetasse legte, war sie hellwach. »Uthe Scheckel aus Seeburg sitzt im Bad Urach Gemeinderat«, steht da, ihr Name ist rot hervorgehoben. Nicht, dass das ein Geheimnis wäre - der Name der früheren Seeburger Ortsvorsteherin steht da aber im Zusammenhang mit dem Thema, das die Gemeinde gerade am meisten bewegt: das in Hengen geplante Verteilzentrum des Internet-Giganten Amazon.
»Ich werde mich nicht unterkriegen lassen, meine Haltung ist klar«
Ihr Name wird genannt, weil sie in dem anonymen Flugblatt als eine derjenigen genannt wird, die für das verantwortlich sein soll, was mit der Ansiedlung von Hengen auf den kleinsten Teilort Seeburg zukomme: täglich 1.300 Fahrzeuge, also fast 50 Prozent mehr Verkehr auf der Gruorner Straße Richtung Hengen. Und: 24 Stunden mehr Lärm und Gefahr. »WEHRT EUCH JETZT!«, steht groß in einem orangefarbenen Kreis, die anonyme Post schließt mit dem Satz »Seeburg sagt NEIN zum Amazon-Baugesuch!«
"Natürlich bin ich erschrocken", sagt Uthe Scheckel, "ich werde damit massiv unter Druck gesetzt. Das ist eine neue Qualität des Umgangs - da wurde eine rote Linie überschritten." Warum nur sie genannt wird, fragt sie sich. "Außer mir sitzen noch 29 andere im Gemeinderat." Was sie besonders geärgert hat, ist die Tatsache, dass das Flugblatt keinen Absender trägt. "Ein absolutes Tabu", findet die FWV-Gemeinderätin. Druck hin, Druck her: »Ich werde mich nicht unterkriegen lassen, meine Haltung ist klar«, sagt Uthe Scheckel, "ich werde mich nicht umstimmen lassen und stehe zu dem Verteilzentrum von Amazon." Wenn von der Ansiedlung des Online-Giganten etwas bei der Stadt hängen bleibe, dann bei der ganzen Stadt, wovon alle Ortsteile profitierten. Steuern in welcher Form auch immer und ganz sicher viele Arbeitsplätze - wichtige niederschwellige Jobs.
»Das ist eine neue Qualität des Umgangs - da wurde eine rote Linie überschritten«
Die Flugblätter seien von Radfahrern aus Hengen verteilt worden, habe sie gehört, sagt Scheckel. Ganz sicher könne sie das aber nicht sagen. Also ruft der GEA bei Hermann Kiefer an, dem inoffiziellen Kopf des Hengener Bürgerforums. »Das Flugblatt ist mir bekannt, ja«, sagt er, »das ist von uns.« Es gebe noch mehrere dieser Art. Für Hengen selbst und auch für den Nachbarort Römerstein. Warum aber in aller Welt ohne Hinweis auf den Urheber? Kiefer zögert und sagt dann: »Ja, des isch blöd.« Hätte man anders machen können, gibt er zu. Er gehe aber davon aus, dass man eh ahnen könne, dass die Flyer vom Bürgerforum Hengen stammen.
Warum dann die exklusive Heraushebung von FWV-Stadträtin Uthe Scheckel (ihre Hengener Ratskollegen Bernd Mayer und Steffi Hummel sind im Hengener Flyer nicht genannt)? »Ich könnte mir vorstellen, dass man das gemacht hat, damit man sie am ehesten ansprechen kann«, sagt Kiefer. Noch was: Vor einigen Wochen schon waren in Hengen Aufkleber aufgetaucht mit der Aufschrift »Wir lassen uns wirtschaftlich nicht ab-HENGEN«. Darunter der Hashtag #Hengen4amazon. »Die haben auch keine Urheber genannt«, sagt Kiefer.
»Ich habe aber ein Problem damit, wenn der Wahrheitsgehalt nicht stimmt«
Nachdem der Hengener Ortschaftsrat einen mehrheitlichen Empfehlungsbeschluss für den Bebauungsplan »Rübteile II« gefasst hat, wird der Uracher Gemeinderat am 24. Juni wohl den Satzungsbeschluss fassen. Nächster Schritt: Anfang Juli - vermutlich am 7. - wird Tiefbauamtsleiter Andreas Streble im Hengener Ortschaftsrat die Erschließungsplanung für das Industriegebiet vorstellen. Am 15. Juli wird dann in des Gemeinderats das Baugesuch vorgestellt, das Amazon schon vor einigen Wochen eingereicht hat. »Es wird auch ein Vertreter von Amazon dabei sein«, sagt Rebmann. Noch vor der Sommerpause will der Uracher Bürgermeister einen Knopf an die Sache machen - also mit dem Rückenwind des Gemeinderats den Kaufvertrag unterschreiben.
Die Flugblätter des Bürgerforums sieht der Uracher Verwaltungs-Chef wie nicht anders zu erwarten, kritisch. Nicht nur wegen der Heraushebung von Uthe Scheckel auf dem Uracher Flyer. »Das hat mich irritiert«, so Rebmann, »das ist absolut nicht in Ordnung.« Die Bürger hätten selbstverständlich das Recht, ihre Meinung zu sagen. »Ich habe aber ein Problem damit, wenn der Wahrheitsgehalt nicht stimmt.« So wurde in einem über WhatsApp geteilten Post einer Bürgerforum-Aktivistin behauptet, der Logistikbau werde zwanzig Meter hoch - doppelt so hoch wie die Magurahalle. Das ist an der höchsten Stelle zehneinhalb Meter hoch, korrigiert Rebmann. Zu Amazon: Das Verteilzentrum ist 12,92 Meter hoch geplant, das Parkhaus bis zu 16,08 Meter, das darin herausragende Treppenhaus 19,75 Meter hoch.
»Hier wird versucht, Gemeinden gegeneinander auszuspielen - das ist reine Stimmungsmache, das ist Hetze«
Elmar Rebmann hat inzwischen auch mit seiner Römersteiner Amtskollegin Anja Sauer gesprochen. Die hat ihn gleich angerufen, nachdem sie gesehen hat, dass auch in ihrem Ort Flyer verteilt wurden. »Römerstein sagt NEIN zum Amazon-Baugesuch!«, steht da. Weil die Gemeinde »keinerlei Vorteil oder Nutzen« habe und stattdessen nur 25 Prozent mehr Verkehr auf der Bundesstraße bekomme und »24h mehr Lärm und Gefahr«. Am meisten hat sich Sauer über den Satz »Bad Uracher Gemeinderat ignoriert Römersteiner Interessen« geärgert. »Das ist kein fairer Umgang der großen kommunalen Familie«, sagt sie, »das hat nichts mit gegenseitigem Respekt zu tun.« Das Bürgerforum versuche, Römerstein dazu zu benutzen, Druck auf den Uracher Gemeinderat auszuüben, sagt die Rathaus-Chefin, »hier wird also versucht, Gemeinden gegeneinander auszuspielen - das ist reine Stimmungsmache, das ist Hetze. Ich will nicht, dass sich zwischen unseren Gemeinden ein Zwist entwickelt.« (GEA)