DETTINGEN. Sekt und Sonne zum Abschied. Carsten Strähle ging am Sonntag mit einem Lachen. Die Wehmut wird wohl in ein paar Wochen mehr hochkommen. »Dann, wenn ich in Bad Urach meinen Schlüssel abgebe und tschüs sage.« Bei den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle der Erms-Neckar-Bahn um Eva Rabuser. Strähle hat sein Amt als Vorsitzender der Erms-Neckar-Bahn AG (ENAG) abgegeben. 25 Jahre hatte der Verkehrsfachmann und Betriebswirt die Reaktivierung und Modernisierung der Ermstalbahn Metzingen - Bad Urach mit ebenso viel Kompetenz wie Herzblut erfolgreich vorangetrieben.
Dafür haben ihn Professor Tobias Bernecker und Eugen Höschele, Geschäftsführer und Vorsitzender des Zweckverbands Regionalstadtbahn Neckar-Alb (RSBNA), der seit Kurzem 51 Prozent der ENAG-Anteile hält, am Sonntagmittag im Bahnhof Dettingen-Gsaidt gewürdigt und offiziell aus dem ENAG-Spitzenamt verabschiedet. Gsaidt ist der Betriebsmittelpunkt der ENAG. Hier ist ein elektronisches Stellwerk entstanden, von dem aus Fahrdienstleiter derzeit den Betrieb auf der Ammertalbahn Tübingen - Herrenberg fernsteuern.
»Die Wehmut kommt, wenn ich in Urach meinen Schlüssel abgebe«
Dort werden wegen Personalknappheit abends ab 19 Uhr derzeit allerdings Busse - teils im Viertelstundentakt - statt der halbstündlich verkehrenden Züge eingesetzt. »Wir haben ein Angebot gemacht, den Zugbetrieb bis 22 Uhr zu verlängern«, informiert Bernecker den GEA. Darüber zu befinden haben werden der Zweckverband ÖPNV Ammertal (ZÖÄ) als Eigner und die DB Regio als Betriebsführerin der gut 20 Kilometer langen Verbindung.
»Ab Frühjahr 2025 soll auch die Ermstalbahn von Gsaidt aus gesteuert werden«, blickt Bernecker voraus. Zunächst noch im Stundentakt. Ab Dezember 2025 sollen die Züge auf der zehn Kilometer langen Strecke dann - mit drei Jahren Verspätung - halbstündlich in beiden Richtungen rollen. Das setzt die Inbetriebnahme eines neuen Stellwerks auch in Metzingen voraus, das die ENAG bauen und mit Technik bestücken wird. Fahrdienstleiter der DB werden es von Reutlingen aus fernsteuern. »Die wesentlichen Gewerke sind bestellt«, gibt der Zweckverbands-Geschäftsführer Grund zur Zuversicht. In den Sommerferien 2025 sind im Bahnhof Metzingen großangelegte Umbauarbeiten - auch an Weichen und Signalen - geplant, dann wird auch das neue Gleis 4, das ebenfalls Voraussetzung für den Halbstundentakt im Ermstal ist, ans bestehende Netz angeschlossen.
»Angebot für Ausweitung der Züge im Ammertal bis 22 Uhr gemacht «
Durchs Stellwerk in Gsaidt, das Herzstück der ENAG, ließen sich am Sonntag alle halbe Stunde Besucher führen. »Alle Führungen sind ausgebucht«, meldet Bernecker erfreut. ENAG-Aktionäre oder ihre Vertreter waren direkt vor der Verabschiedung von Carsten Strähle dabei: der Erste Landesbeamte Hans-Jürgen Stede etwa, dessen früherer Dienstherr, Landrat Thomas Reumann, ein ebenso glühender Verfechter der Wiederbelebung der von der DB im Personenverkehr stillgelegten Ermstalbahn war wie Bad Urachs Bürgermeister Elmar Rebmann. Kreis und Ermstal-Kommunen haben die Reaktivierung und Modernisierung der Strecke, zu der auch deren Elektrifizierung gehört, finanziell ebenso ermöglicht wie bahnbegeisterte Bürger.

Und eben wie Profis mit Herzblut wie Carsten Strähle. Im Dialog mit seinem Duz-Bekannten Tobias Bernecker blickte er nochmal auf die Erfolgsgeschichte der Stichstrecke zurück. Selbst ein Mann des Understatements, lobt Strähle das »tolle Team« und »den Idealismus der Bürger« hoch: Erst hatte sich ein Verein gegründet, um die Strecke zu retten, später übernahm sie eine GmbH, ehe sich die AG aus lauter bahnbegeisterten Kleinaktionären gründete. Vier Millionen Mark bekam sie zunächst zusammen und sorgte dafür, dass 1999 die ersten modernen Dieselzüge fuhren. Ende 2022 sind ihnen die flüsternden Elektrotriebwagen gefolgt, für Ende 2027 die Tramtrains der künftigen Regionalstadtbahn angekündigt.
»Sie sind ein Netzwerker vor dem Herrn«
»Du lebst und gestaltest das Thema Eisenbahn aus Überzeugung«, rühmt Bernecker den scheidenden Carsten Strähle. Der Badener, der kaum zu altern scheint, ist im Hauptberuf Geschäftsführer bei Hafen Stuttgart, aber »in den letzten zwei Jahren war die Ermstalbahn fast ein Vollzeitjob«. Seit die ENAG als Schieneninfrastruktur-GmbH im Zweckverband Regionalstadtbahn aufgegangen ist, hat sie mit Ralf Lang und Harald Fechter auch Profi-Geschäftsführer.
Der stets in sich ruhende und nahbare Strähle kann sich entspannt aus dem Ermstalgeschehen zurückziehen. »Ich werde keine Leserbriefe schreiben«, kündigt er bei seiner Verabschiedung augenzwinkernd an. Und bittet alle Bahn-Interessierten »um Fehlerresilienz«, um Nachsicht also, wenn bei ambitionierten Bahnprojekten immer wieder mal Steine im Weg liegen. »Eisenbahn kann man nur zusammen entwickeln.« RSBNA-Zweckverbandsvorsitzender Eugen Höschele bringt die nötige Geduld sicher mit. Und einen Geschenkkorb für Carsten Strähle: »Sie haben sich sehr um die Ermstalbahn, aber auch um die Regionalstadtbahn und die Neckar-Alb-Bahn nach Reutlingen und Tübingen gekümmert. Sie sind ein Netzwerker vor dem Herrn.« (GEA)
Buch zum Bahn-Jubiläum
150 Jahre alt geworden ist die Ermstalbahn im Jahr 2023. Das war Anlass genug für Martin Uhlig und Wolfgang Schulz-Braunschmidt, der Strecke ein Buch zu widmen. »Die Ermstalbahn - Bürgerbahn mit 150 Jahren Geschichte und 150 Jahren Zukunft« heißt es und wird ab dem frühen Herbst im Buchhandel erhältlich sein. (pfi)