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Aktuell Nahversorgung

Einzige Glemser Bäckerei vor der Schließung?

Reiner und Ute Gönninger wollen sich langsam zur Ruhe setzen. Sie suchen Nachfolger für ihre seit 1870 bestehende Bäckerei, die die Glemser Nahversorgung mit sichert.

24 Laugenbrötchen um kurz nach halb zehn: Bäckermeister Reiner Gönninger in seiner Backstube in Glems.
24 Laugenbrötchen um kurz nach halb zehn: Bäckermeister Reiner Gönninger in seiner Backstube in Glems. Foto: Markus Pfisterer
24 Laugenbrötchen um kurz nach halb zehn: Bäckermeister Reiner Gönninger in seiner Backstube in Glems.
Foto: Markus Pfisterer

METZINGEN-GLEMS. Dienstags Dinkelbrot, mittwochs Kartoffelbrot, donnerstags Haferbrot, freitags Backhausbrot, samstags Das Urige - und wenn's schlecht läuft, bald an allen Wochentagen gar kein Brot mehr: Die Glemser Bäckerei Gönninger sucht nach einem Nachfolger. »Die Bäckersleute wollen in ihren wohlverdienten Ruhestand«, spricht die kleine Handwerksbäckerei auf einem Schild im Schaufenster Klartext mit Kunden und Passanten. Entworfen haben es Inhaber Reiner Gönninger und seine Frau Ute, die die vielen Brote, Brezeln, Weckle oder süßen Stückle im Laden verkauft.

In dem geht es kuschelig zu. Vor der Theke hat ein Stehtisch für Kaffeegäste Platz gefunden. Die können auch auf einer Bank am Schaufenster sitzen. In der Backstube, die über einen schmalen Durchgang rechts vom Laden erreichbar ist, geht es ungleich geräumiger zu. Hier steht Reiner Gönninger am Ofen mit seinen fünf übereinanderliegenden Backflächen. »Bis 9.30 Uhr gibt es Brezeln und Brötchen.« Danach Kuchen, Hefezopf und süße Stückle. Um Süßes kümmert sich gerade Andreas Seiz, der Glemser Ortsvorsteher. Am Fenster zum Mühlgässle hinaus schichtet er Creme und Früchte auf einen Tortenboden. Das Backwerk kommt nacheinander in die Ofenschächte, denn es braucht unterschiedliche Temperaturen: die Brezeln 220 Grad, der Hefezopf 175, der Zwiebelkuchen 135.

»Fällt der Ofen aus, ist der Laden zu «

Der große Ofen ist der zweite Grund, aus dem die kleine Bäckerei an der Ortsdurchfahrt über kurz oder lang von der Schließung bedroht sein könnte. »Fällt er aus und muss ersetzt werden, ist zu.« Ofen aus im doppelten Sinn. Denn ein neuer kostet rund 20.000 Euro. Die will der 61-jährige nicht mehr investieren. »Es gibt keine Deadline für die Schließung«, sagt er trotzdem. Seine Gesundheit und die seiner Frau Ute sowie von Andreas Seiz spielt bisher mit. Doch Bäcker zu sein heißt, einen völlig anderen Lebensrhythmus pflegen zu müssen als die meisten anderen.

Sprechender Laden: Per Schild im Schaufenster sucht die Glemser Handwerksbäckerei Gönninger einen Nachfolger, denn das Betreiber
Sprechender Laden: Per Schild im Schaufenster sucht die Glemser Handwerksbäckerei Gönninger einen Nachfolger, denn das Betreiber-Ehepaar will in den Ruhestand gehen. Foto: Markus Pfisterer
Sprechender Laden: Per Schild im Schaufenster sucht die Glemser Handwerksbäckerei Gönninger einen Nachfolger, denn das Betreiber-Ehepaar will in den Ruhestand gehen.
Foto: Markus Pfisterer

Wann schläft er? »Gar et!«, sagt er, und so fühlt es sich oft auch an. Gönninger ergänzt: »Dann, wenn's halt passt.« Sind tagsüber oder abends ein paar Stunden drin, geht es um 23.30 Uhr raus aus den Federn. Teig für hunderte Brotlaibe, Brezeln und Brötchen will gemischt sein, für Hefezöpfe, Zwiebeln für Zwiebelkuchen wollen kleingehackt sein, Früchte geschnitten, freitagnachts das Backhaus beim Rathaus angeheizt sein. »Ich arbeite 60 Stunden pro Woche«, sagt der Familienbäcker, »meine Frau 70. Um 6 Uhr früh ist der Laden offen«. Einige »Jobber« helfen im Verkauf oder in der Backstube.

»Ich arbeite 60 Stunden pro Woche, meine Frau 70«

Nachweislich seit 1870 gibt es die Bäckerei Gönninger in Glems. Zunächst im Nebenerwerb. »Sie haben alle Landwirtschaft gehabt«, sagt der Betriebschef über seine Vorfahren. »Bis 1969 wurden noch Tiere gehalten.« Heute ist das kleine Geschäft nicht nur Brotberuf und Verkaufsstelle für leckeres Backwerk, sondern auch Schwatzplatz für Kunden und Verkäuferinnen. Oder Testplatz für den »Feinschmecker«, die die kleine Bäckerei 2013 zu Deutschlands Besten gezählt hat.

Die Kundschaft kommt bei weitem nicht nur aus dem versteckt am Fuß der Alb liegenden Glems, sondern auch aus Neuhausen, Metzingen oder Eningen. Die Brezeln werden regelmäßig im Metzinger Gemeinderat serviert. Und dennoch kommen nicht genug Leute in die kleine Bäckerei, um großen Reibach mit ihr zu machen. Viele bringen ihr Backwerk auf dem Heimweg von der Arbeit aus Bäckerfilialen in Supermärkten mit. »Wenn ich meinen Erlös auf die Stunden umrechne, komme ich gerade so auf den Mindestlohn«, redet Reiner Gönninger Klartext.

»Die Leute sollen nicht sagen können, sie hätten nichts gewusst«

Der schmale Erlös ist es auch, was die Suche nach einem Nachfolger für die über 150 Jahre alte Bäckerei schwierig gestalten könnte. Hat der Bäckermeister insoweit schon Gespräche geführt? »Mit wem?!?«, antwortet er mit einer Gegenfrage und großen, durchdringend blickenden Augen. Und weist auf das Familienbäckersterben im Ermstal hin: Erst hat Sautter in Metzingen dichtgemacht, dann Winter, schließlich Fritz. Reiner Gönninger wünscht sich mit dem Suchschild in Schaufenster nicht nur Impulse aus der Kundschaft, sondern will sie vor allem frühzeitig auf die Schwebesituation aufmerksam machen. »Nicht dass sie sagen, sie hätten von nichts gewusst.«

Der GEA hat bei den Großbäckereien Mayer (heute Kohlberg, ursprünglich Metzingen), BeckaBeck (Römerstein) und Veit (Bempflingen) nachgefragt, ob sie sich eine Übernahme der Glemser Familienbäckerei vorstellen könnten. Sie haben sich bisher nicht geäußert, wollen es teilweise auch nicht. Damit bleibt die Nahversorgung der gut 1.000 Bewohnerinnen und Bewohner von Metzingens dörflichstem Teilort vorerst eine Hängepartie. Noch gibt's montags das Dinkel- und freitags das Backhausbrot. Und an allen Verkaufstagen die begehrten Brezeln und die Croissants, die nach französischer Art mit viel Butter geschlungen werden. Aber wie lange noch? (GEA)

In einer früheren Version des Artikels hieß es im vorletzten Absatz: »Erst hat Sautter in Metzingen und auch Eningen dichtgemacht, dann Winter, schließlich Fritz.« In Eningen hat die Filiale jedoch weiterhin geöffnet. Die ehemalige Auszubildende Anika Schäfer hat die ehemalige Landbäckerei Sautter in der Schulzengasse 4-6 im Jahr 2016 übernommen und betreibt sie als Albkorn-Bäckerei Sautter weiter.