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Aktuell Erdbeben

Dramatischer Appell, Nepal nicht zu vergessen

METZINGEN. Sie sitzt in ihrer Praxis in Metzingen und erzählt. Die Allgemeinmedizinerin Susanne Gaenslen-Blumberg berichtet von dem verheerenden Erdbeben am 25. April in Nepal, das sie in einem kleinen Dorf unterhalb des Mount Everest erlebt hat. Das 800-Einwohner-Örtchen Thame, 380 Kilometer Luftlinie nordöstlich der Hauptstadt Kathmandu, liegt mitten in dem Gebiet, von dem die ersten Nachrichten erst einige Tage nach der Katastrophe die Weltöffentlichkeit erreichten.

Zerstörung, soweit das Auge reicht: Nepal nach dem Erdbeben, das auch die Metzinger Ärztin Susanne Gaenslen-Blumberg miterlebte.
Zerstörung, soweit das Auge reicht: Nepal nach dem Erdbeben, das auch die Metzinger Ärztin Susanne Gaenslen-Blumberg miterlebte. FOTO: PR
Zerstörung, soweit das Auge reicht: Nepal nach dem Erdbeben, das auch die Metzinger Ärztin Susanne Gaenslen-Blumberg miterlebte. FOTO: PR
Die 57-jährige Ärztin war mit ihrer 19-jährigen Tochter Olga mittendrin. »Ich habe nur gedacht: Was kann ich tun. Aber unsere Mittel waren so begrenzt«, berichtet sie. Es gab viele Verletzte. »Die Zerstörungen waren beträchtlich.« Vor wenigen Tagen bebte die Erde erneut, das Epizentrum lag sogar noch näher an der Region um Thame als Ende April.

Susanne Gaenslen-Blumberg schildert ihre Eindrücke. Und sie erklärt leidenschaftlich, dass das arme und zuvor schon gebeutelte Land jetzt nicht vergessen werden darf. Die Welt richtet ihre Aufmerksamkeit schnell auf andere Nachrichten. Aber die Welt muss helfen. Die Metzingerin selbst hat in den ersten Stunden und Tagen in Thame geholfen. »Ich bin Ärztin«, sagt sie. Auch im Urlaub. »Jetzt muss das Land wiederaufgebaut werden.«

»Ich habe nur gedacht: Was kann ich tun? Aber unsere Mittel waren so begrenzt«
Susanne Gaenslen-Blumberg hat schon viele Länder der Welt als Medizinerin bereist. Diesmal befand sie sich mit ihrer Tochter auf Trekkingtour im Himalaja. »Mutter-Tochter-Kur« nannte sie das. Ziel war das Basecamp, von dem aus die Cracks den Mount Everest besteigen. Auf der Rücktour ereilte sie das Erbeben. »Zunächst hörte es sich an, als ob ein Lastwagen Kies ausschüttet«, erinnert sie sich. Auf knapp 4 000 Metern Höhe aber gibt es keine Lastwagen.

Alles, was es dort gibt, wurde von Menschen hinaufgetragen. Auch das macht den Wiederaufbau jetzt so schwierig. Das Beben selbst beschreibt sie »so, wie in dem Bereich zwischen zwei Bahnwaggons. Die ganze Erde hat sich hin- und herbewegt«. Das Steinhaus, das die Wandergruppe schleunigst verließ, stürzte beim ersten Nachbeben acht Minuten später ein.

Gemeinsam mit einem Medizinstudenten der israelischen Armee machte sich die Ärztin schnell auf einen Rundgang durch das Dorf. »Überall waren Häuser eingestürzt, überall gab es Verletzte, überall Verschüttete.« Die Nepalis hilflos. »Sie sind nicht auf Erdbeben vorbereitet, sind nicht geschult«, sagt Susanne Gaenslen-Blumberg. Sie half, Verschüttete zu befreien, leistete mit den wenigen medizinischen Utensilien, die sie in ihrem Rucksack hatte, Erste Hilfe. Irgendwann zusammen mit einem nepalesischen Arzt, der auch helfend unterwegs war. Gemeinsam schiente das Trio Knochenbrüche, nähte Wunden, bis die wenigen Fäden aufgebraucht waren. Narkosemittel gab es nicht. Als das Verbandsmaterial aus war, wurde mit Toilettenpapier verbunden.

Die Verletzten ließen sie von Verwandten zum Teil auf alten Tischplatten zum Medizin-Zentrum des weitläufigen Ortes bringen. »Medizin-Zentrum« bedeutet in den Bergen Nepals ein Raum, ein paar Medikamente und eine Krankenschwester. Helikopter zum Abtransport der Schwerverletzten konnten wegen des schlechten Wetters nicht fliegen.

»Jetzt brauchen die Menschen in Nepal Essen und medizinische Versorgung«
Gaenslen-Blumbergs Gruppe hatte währenddessen in einem Gewächshaus aus Plastikfolien Zuflucht vor der beißenden Kälte gefunden. Steinhäuser gab es keine mehr. Und wenn es sie noch gegeben hätte, hätte sie doch niemand betreten.

Zwei Tage nach dem Beben erwischten Gaenslen-Blumberg und ihre Tochter einen Helikopterflug nach Lukla, der nächsten größeren Ortschaft. Im dortigen Krankenhaus, das eine Schweizerin vor zehn Jahren errichtete und das die Hilfsmaßnahmen in der Region koordiniert, erstattete sie Bericht über die Lage in Thame. Über Umwege kamen Mutter und Tochter schließlich wieder in der schwäbischen Heimat an.

»Jetzt brauchen die Menschen in Nepal Essen und medizinische Versorgung.« Dann müsse das wenige, was an Infrastruktur da war, wieder aufgebaut werden, sagt sie. Was schwierig ist in einem Land, das seit Jahren unter einem Reformstau leidet und sich politisch zwischen China und Indien aufreibt. »Es gibt keine Verkehrswege und keine gute Wasserversorgung. Die war vorher schon schlecht und jetzt ist sie total kaputt«, sagt die Ärztin. In den Bergen kommt dazu, dass es praktisch keine Straßen gibt. »Es muss alles getragen werden.«

Die Ärztin fordert eindringlich dazu auf, kleinen Organisationen mit Spenden zu helfen. So wie das von dem Unfallchirurgen Matthias Baumann vom Paracelsius-Krankenhaus in Ruit unterstützte »Himalayan Project«. Auch Oliver Keppeler vom CVJM Kohlberg oder die Organisation »Lischa Himalaya« engagieren sich vor Ort.

»Das Schlimmste waren die verletzten Kinder«
»Es gibt viele Tapfere in Nepal. Durch die vielen Menschen aus dem Westen, die als Bergsteiger dorthin gekommen sind, gibt es eine große Dichte an Nicht-Regierungsorganisationen«, erklärt Gaenslen-Blumberg. »Das sind Organisationen, denen man gut spenden kann, weil sie vor Ort veranlassen, wie das Geld verteilt wird. Die sind unheimlich effektiv, auch wenn es nur für drei Dörfer ist.« Jede Organisation hilft in einem anderen Dorf.

Gaenslen-Blumberg hat während der Katastrophe im Himalaja als Ärztin "funktioniert". Nahe gegangen ist ihr das Erlebte trotzdem. »Das Schlimmste waren die verletzten Kinder«, erzählt sie. Sie vergisst aber auch nicht, dass sie vor dem Beben fast zwei Wochen lang eine schöne Zeit mit ihrer Tochter verbracht hat. "Im Sommer reise ich wieder in die Region", sagt sie und lacht. Diesmal in den Norden Indiens. (GEA)