METZINGEN/LOS ANGELES. Wenn Steven Dillmann zur Arbeit fährt, liegt sein Arbeitsfeld Lichtjahre entfernt: der Mars. Dillmann will den Roten Planeten besser zu verstehen helfen: sein Klima, seine Atmosphäre. »Es geht darum zu sehen, wo und in welcher Höhe sich Wolken bilden«, erläutert der 23-Jährige. Darum, ein Profil der Mars-Atmosphäre zu erstellen. Mit Hilfe von Maschinen, von künstlicher Intelligenz: dem Mars Reconnaissance Orbiter, einer Raumsonde, die den Roten Planeten seit 2006 erforscht. Über Infrarottechnik durchleuchtet sie seine Atmosphäre. Die Forschungsgruppe, der Steven Dillmann angehört, arbeitet mit Daten, die der Orbiter sendet. Aber auch mit solchen, die Menschen beitragen. Der junge Mann ist Praktikant bei der US-Weltraumbehörde NASA in Los Angeles. Seit Juni und noch bis Ende September.
Geboren ist Dillmann in Bad Urach. Aufgewachsen in Metzingen, wo seine Eltern heute noch leben. »Die Erkundung des Universums war schon immer ein Traum«, bekennt er. Als Kind hat er vom Familienbalkon aus die Sterne am nächtlichen Himmel beobachtet. In der Schulzeit wuchs das Interesse an unserem Sonnensystem. »Sehr inspirierend« der Physik-Unterricht am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium bei Wolfgang Holzäpfel, dem Lehrer, zu dem Steven Dillmann heute noch Kontakt hat. Im Unterricht ging es auch um Quantenphysik und Galaxien.
Der sternbegeisterte Schüler fing schnell Feuer. Hielt Präsentationen über Schwarze Löcher, über Geburt und Lebensphasen von Planeten. Klar, dass er im Abi Physik als Leistungskurs belegte. Abgeschlossen hat er 2017. Mit 1,0. Und dem Ferry-Porsche-Preis für die besten Mathe- und Physik-Leistungen. Nach dem Abi nahm sich der junge Mann ein Jahr Zeit für Praktika. Und hatte Glück, dass er mit seinen glanzvollen Prüfungen und dem wachen Interesse bei vielen Unternehmen und Einrichtungen landen konnte.
»Die Erkundung des Universums war schon immer ein Traum«
Bei BMW, bei Airbus, im Deutschen Bundestag, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik DLR und bei der Europäischen Weltraumagentur ESA in einer Dienststelle im niederländischen Noordwijk aan Zee. »Ich habe mich im Ausland schon immer wohlgefühlt«, sagt er, und: »Ich bin offen für Menschen und neue Ideen.« Hinterm Metzinger Weinberg warteten weitere Horizonte. Am Imperial College London studiert Steven Dillmann seit 2018 Luft- und Raumfahrttechnik. Noch bis 2023. Dann will er seinen Master machen. Anschließend vielleicht den Doktortitel. In Cambridge oder Harvard zum Beispiel, wo Elite-Unversitäten dieser Welt stehen.
Mit England und den USA ist Dillmann heute so verwachsen, dass er die »r«s weich und schwammig ausspricht – Deutsch ist zur Fremdsprache geworden, in der er gelegentlich nach Worten sucht. Und doch ist er Good Old Germany verbunden und Metzingen im Besonderen. »Während des Studiums komme ich alle drei Monate nach Hause, an Festtagen wie Weihnachten sowieso.« Schließlich hat sein Vater auch seinen Spaß am Rätseln gefördert, schon damals mit Rubik’s Cube, dem Zauberwürfel mit den bunten Quadraten. Zu Wolfgang Holzäpfel, seinem vertrauten Ex-Lehrer, kam der Ex-Schüler schon nach dem Praktikumsjahr zurück, wie verabredet. »Geh nach London«, sagte Holzäpfel damals. »Ich habe schon immer sehr auf seinen Rat gehört«, offenbart Dillmann.
Inzwischen ist er weiter bei der Erkundung des Kosmos. Das Forscherteam, in dem er arbeitet, weiß, dass es sehr kalt ist auf dem Roten Planeten und dass die Atmosphäre dort zu 95 Prozent aus CO2 besteht. "Wolken können aus Wassereis oder aus CO2-Eis bestehen."
"Wolken auf dem Mars können aus Wassereis oder CO2-Eis bestehen"
Vom Control Room aus und mithilfe des Orbiter peilt das Forscherteam den Mars. Über Touchscreen können auch von anderen Beobachtern Punkte berührt werden, an denen sich Wolken befinden. Cloudspotting nennt sich das Ganze. Per IT werden die vielen Beobachtungsdaten rechnerisch verarbeitet, die Fachleute sprechen vom Clustern, und in grafische Bögen umgesetzt.
Auch nach seinen beruflichen Abschlüssen bei der NASA zu arbeiten, »wäre eine Option« für den jungen Überflieger. Obwohl Los Angeles nicht wirklich eine Stadt für ihn ist. Er beschreibt es als zusammengefügte Kleinstädte, in denen man ein Auto braucht, um von hier nach dort zu kommen. Dennoch: »Die Arbeit hier gefällt mir.« Der Fußball auch. Dillmann kickt. Wie er es einst bei den Young Boys Reutlingen getan hat, deren Teamspirit er rühmt. »Ich vermisse sie.«
Würde ihn ein Ausflug in den Weltraum reizen? »Es wäre ein Traum«, schwärmt der NASA-Praktikant, »einmal die Erde von oben zu sehen, aus der Kuppel der ISS«, der internationalen Raumstation. Die Erde mit ihrem Wasserblau, Pflanzengrün, Erdbraun und Wolkenweiß, die Erde mit ihrem Leben. »Wir sollten das sehr wertschätzen.« Steven Dillmann als Astronaut, auch ein Traum? »Ich weiß nicht, ob ich’s probieren würde.« Die Europäische Raumfahrt-Agentur ESA sucht nur alle zehn Jahre Kandidatinnen und Kandidaten. Genau dann müsste Dillmann seinen Master oder Doktor geschafft haben, zwei bis drei Jahre Berufserfahrung haben und topfit zu sein.
Astronauten leben im All oft eine Leidenschaft. Das kann Steven Dillmann auch auf der Erde. Im Forscherteam und mit dem Blick über den Erdrand hinaus, gewährt durch den Mars Reconnaissance Orbiter. »Es macht mega Spaß.« (GEA)
LINK ZUM CLOUDSPOTTING
Wer den NASA-Forschern bei der Erforschung der Mars-Atmosphäre helfen will, kann über einen Link Wolken lokalisieren. Die englischsprachige Website vermittelt auch nähere Infos zum Projekt. (pfi) https://www.jpl.nasa.gov/news/ help-nasa-scientists-find-clouds-on-mars