WALDORFHÄSLACH. Das Haus in der Karlstraße 7 sieht von außen nicht ungewöhnlich aus. Auf der Hauswand hin zum Balkon steht ein Schriftzug: »Kaffee in der Karlstraße«. Im Hof vor dem Eingang hat der Waldkindergarten gerade eine Osteraktion laufen. Wenn dann nach dem Klingeln die Haustüre aufgeht und einem Beate Bertsch und Cornelia Ortlieb entgegentreten, beginnt das Freundliche und Familiäre, das hinter dem Projekt steht.
Das Haus gehörte den Eltern der beiden Schwestern. Als klar war, dass dieses nicht ganz vermietet werden kann, folgte Plan B: Nur die Wohnung oben vermieten und im Erdgeschoss ein Café einrichten. Und zwar eines, das etwas mit der Familie und ihrer Geschichte in diesen Wänden, ihrem Leben in der zurückliegenden Zeit zu tun hat. »Wir haben den Gedanken nicht mehr losgelassen«, bekräftigen sie.
Dieser Ansatz hat zu etwas geführt, was man eher in hippen Ecken europäischer Metropolen, in Schweden vermutet, ein Café mit jüngeren Antiquitäten und vielen persönlichen Erinnerungsstücken. Alles ist authentisch bis hin zu Fotos und Bildern. Privates ist individuell gestaltet, liebevoll arrangiert und dekoriert. Kein austauschbares 0815-Design. Hier herrscht noch Gemütlichkeit, hier beginnt Entschleunigung auf ganz natürliche Art.
Es wundert nicht, dass die beiden Schwestern den Gästen öfter erst einen Rundgang durch die Wohnung anbieten. Das Café besteht aus drei Räumen: dem ehemaligen Schlafzimmer, der Stube und dem Wohnzimmer, das sich in einem Anbau anfügt und über einen Balkon verfügt. Insgesamt finden rund 20 Gäste einen Platz, bei größeren Gruppen können es auch mal ein paar Gäste mehr sein.
In jedem Raum gibt es unzählige Details zu entdecken. Im Schlafzimmer zwei Mini-Sofas, die aus einem Jugendbett des Vaters gefertigt wurden, wo sogar die dreigeteilte Matratze noch weiter als Sitzfläche dient. Kreative Umnutzung. Am Schrank hängt das Taufkleid der Familie. Und auch einige vermachte Stücke der 1908 geborenen Großmutter finden hier ihren Platz, entfalten ihre Wirkung.
Nebenan in der Stube fällt der Blick auf einen formvollendeten Nierentisch, typisch für die 1950er-Jahre, ebenfalls mit kleiner Sitzgruppe. Egal ob breite Anrichte mit alter Uhr drauf und Foto-Pinnwand darüber oder der große Tisch, der wie alle Tische im Café mit schönen alten Tassen eingedeckt ist – das Auge findet viel, was gefällt, gerade weil alles aus der Zeit fällt. »Viele Erinnerungsstücke«, sagen sie.
Im Wohnzimmer umfängt die Gäste die Behaglichkeit der Siebziger-Jahre. Entlang des langen Sofas finden drei kleine Tischchen in Reihe Platz, die Wand gefällt mit Leuchten und Bildern, die Schrankwand in Eiche-Furnier dunkel mit Büchern schließt den Raum ab. Seitlich steht gegenüber des Sofas auf einem Regal eine Sammlung von Kaffeekannen. Das Nebeneinander hat was Kunstvolles.
Die zwei Macherinnen outen sich als Quereinsteigerinnen ohne einschlägige Vorerfahrung im gastronomischen Bereich. Cornelia Ortlieb ist Krankenschwester, arbeitet in einer Klinik. Beate Bertsch ist kaufmännische Angestellte. Als solche auch für die Buchhaltung des kleinen Betriebs zuständig. Beide arbeiten weiter in ihren Berufen, haben aber zeitlich reduziert, um die Idee zum Projekt zu machen und dieses umsetzen zu können. Am Mittwochnachmittag werden die zwei Öffnungstage Donnerstag und Freitag (jeweils von 9.30 bis 12.30 Uhr sowie von 14 bis 18 Uhr) vorbereitet.
»Machst Du auch Insta, dann folge ich Dir«
Das bedeutet, dass zwei Kuchen gebacken, eine Torte gemacht wird. Eine Spezialität ist auch der Hefe-Gugelhupf. Da es alternativ etwas Deftiges geben soll, steht auch eine Quiche auf der Karte. Diese bereitet Cornelia Ortlieb gerade in der Küche zu, die im originalen Zustand erhalten bleiben konnte, bis hin zum alten Herd, der noch wunderbar funktioniert. Möglich hat das der Umbau des ehemaligen Bads nebenan zur reinen Spülküche gemacht, in die das gebrauchte Geschirr kommt. Die Quiche mit Brokkoli wird mit einer Ei-Sahne-Masse übergossen, in die reichlich gehobelte Mandeln reinkommen. Köstlicher Duft breitet sich schon beim Reinschieben in den Ofen aus.
»Zu 99,9 Prozent verlassen alle Menschen glücklich die Räumlichkeiten«
Vor den für den Cafébetrieb benötigten Genehmigungen gab es einen Rundgang mit dem Wirtschaftskontrolldienst zu den Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten. Für die Wohnung musste auch eine Umnutzung beantragt und eingetragen werden. Die beiden Betreiberinnen hatten sich in Sachen Hygiene bei der IHK und im Landratsamt zu schulen. Am längsten habe es gedauert, bis die eigentliche Genehmigung da war, erzählt Cornelia Ortlieb. Da im Café kein Alkohol ausgeschenkt wird, reicht eine Toilette für alle Gäste aus, die im Vorraum über ein geschickt in einen alten Einbauschrank eingebautes Handwaschbecken verfügt.
In der Küche gibt es einen nebenstehenden Herd, der noch mit Holz betrieben werden kann, in der Stube gibt es einen Ölofen, im Wohnzimmer eine elektrische Nachtspeicherheizung. Was als alter Heizungsmix mit Einzelöfen daherkommt, könnte sich mit Blick auf den Gasmarkt noch als überraschend zukunftsträchtig erweisen. Gestartet ist das Café bereits am 1. Dezember, wo Gemeinderäte und Vereinsfunktionäre vorbeischauten. »Es gefällt immer allen«, wird die positive Resonanz begrüßt.
Schon am Folgetag begann dann der Normalbetrieb. Tröpfelten die Gäste anfangs nur herein, wurde dies nach einer Veröffentlichung anders. Längst ist es besser, sich telefonisch einen Platz vorab zu reservieren. Die mit Abstand jüngsten Gäste, das war ein Junge mit seinem Kamerad, die sich einen Kuchen auf dem Balkon nicht entgehen lassen wollten. Nicht nur für Jüngere gibt es auch Schokoheißgetränke. Apropos jüngere Leute. Solche fragten mal mit Blick auf die Homepage: »Bea, machst Du auch Insta, dann folge ich Dir.« Auch der Kanal wird nun bedient. Aus Altenriet und Schlaitdorf machen Gäste gerne Spaziergänge hin zum neuen Café. Und das Einzugsgebiet weitet sich, es kamen Leute aus Grafenberg, von den Fildern, aus Möhringen.
Es gab auch schon Anfragen für größere Gesellschaften, einen Geburtstag freitags mit 30 Leuten. »Da müssen wir passen«, sagt Beate Bertsch. So wie das Café gerade aufgezogen ist, wäre das zu zweit zu viel für die Vorbereitung und den Service. Die größte Gruppe war bisher eine vom Seniorensport, immerhin 14 Leute.
Beim Blick auf die Karte gefällt das als Schriftsprache gewählte Schwäbisch dem Auge. Der eigene Häslacher Kaffee, eine Hausmischung ganz aus Arabica-Bohnen, wird im Café ausgeschenkt (»sovieldewidd«) und verkauft. Ihn beziehen die Schwestern aus einer Mössinger Rösterei. Hatte Cornelia Ortlieb zu Beginn Zweifel, ob ihre Backkünste ausreichen, haben diese der Zuspruch von Gästen zerstreut.
Eine Konstante ist der Apfelkuchen aus heimischem Streuobst. Auch die anderen Zutaten wie Eier und Mehl sind vom Hofladen vor Ort. Vier Kuchen, zwei Torten und zwei Quiches können an zwei Öffnungstagen nun über die Tische gehen. Alles wird restlos selber gemacht. Passend zur Jahreszeit bereitet Beate Bertsch eine Frühlingstorte vor, mit dunklem Biskuit, einer Mandarinen-Schmand-Füllung. »Zu 99,9 Prozent verlassen alle Menschen glücklich die Räumlichkeiten«, freuen sich die Schwestern. (GEA)
NEUANFANG
Etwas Neues anfangen? Im eigenen Leben etwas verändern? Wer träumt davon nicht hin und wieder. Im GEA wollen wir Geschichten von Menschen erzählen, die es nicht beim Träumen belassen, sondern einen Neuanfang oder eine Veränderung wagen. Im Großen wie im Kleinen. Wer seine Geschichte erzählen möchte oder Menschen kennt, die ihren Lebenstraum verwirklichen: bitte melden! (GEA) metzingen@gea.de








