WALDDORFHÄSLACH/TÜBINGEN. Nun sitzen sie wieder auf der Anklagebank: Ein Ehepaar aus Walddorfhäslach, das im Januar 2022 an einem Lichterspaziergang durch Walddorf gegen die damals geltenden Corona-Maßnahmen teilgenommen hatte. All das ist lange her, die Maskenpflicht und Abstandsregeln gehören längst der Vergangenheit an. Doch die juristische Aufarbeitung des abendlichen Spaziergangs dauert an. Nach dem Amtsgericht Reutlingen und dem Landgericht Tübingen ist nun das Amtsgericht Tübingen mit dem Polizeieinsatz wegen des unangemeldeten Protestes befasst. Im Gerichtssaal sitzen Unterstützer des Ehepaars. Ein Mann trägt einen Button in Regenbogenfarben mit der Aufschrift Pace - Frieden.
In diesem Prozess in Tübingen geht es um den Vorwurf der falschen Verdächtigung, den die Frau und der Mann gegen einen Polizisten in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Tübingen im September 2023 erhoben haben sollen. Sie standen damals vor Gericht, weil der Mann Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgericht Reutlingen eingelegt hatte. Im Kern ging es damals darum, ob er die Polizisten gestoßen, einem ins Gesicht geleuchtet und ihm die Mütze vom Kopf gerissen habe, als die Beamten den Leiter des nicht angemeldeten Corona-Spaziergangs feststellen und über diesen die Maskenpflicht und Abstände durchsetzen wollten. Oder aber, ob der Mann selbst von einem Polizisten körperlich angegriffen wurde, wie es eine Zeugin berichtet hatte.
Mann muss Geldstrafe zahlen
Das Amtsgericht Reutlingen sah es im Dezember 2022 als erwiesen an, dass der Mann einen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte begangen haben soll. Es verurteilte ihn wegen Angriffs und Widerstands gegen Polizisten zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und schätzte deren Höhe jeweils auf 100 Euro. Das Gericht sprach die Frau frei. Der Mann ging gegen sein Urteil vor. In der Berufungsverhandlung im Herbst 2023 reduzierte das Landgericht die Strafe auf 90 Tagessätze von jeweils 100 Euro. Am Schuldspruch des tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte änderte sich nichts. Das Landgericht stellte das Verfahren gegen die Frau gegen eine Geldauflage von 1.000 Euro ein.
An diesem Prozesstag möchte der Richter in Tübingen nicht mehr alle Details des Spaziergangs wiederholen. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage, ob die Angaben der Frau und des Manns zum Corona-Spaziergang in der Verhandlung vor dem Landgericht den Tatsachen entsprachen oder nicht. Und ob sie sich der falschen Verdächtigung strafbar gemacht hätten.
Staatsanwältin: falsche Verdächtigung
Die Staatsanwältin berichtet, dass der Mann in der Berufungsverhandlung ausgesagt habe, als Polizisten ihn beim Spaziergang weggedrängt hätten, habe er bloß eine rudernde Bewegung gemacht und dem Polizisten nicht, wie ihm vorgeworfen, ins Gesicht geleuchtet. »Das entspricht nicht den Tatsachen«, sagt die Staatsanwältin. Dann habe der Walddorfhäslacher seine Aussage einer Zeugin angepasst, die gesagt habe, ein Polizist habe ihn körperlich angegangen. Damit habe er einen Polizisten beschuldigt, sodass dies eine falsche Verdächtigung sei.
Die Staatsanwältin wirft der Angeklagten vor, sie habe in der Berufungsverhandlung ausgesagt, die Polizisten hätten ihren Mann gestoßen. »Das sind unzutreffende Aussagen. Die sind geeignet, ein behördliches Verfahren gegen ihn einzuleiten«, sagt die Staatsanwältin. Die Anwältin der Frau sieht den Tatbestand der falschen Verdächtigung nicht als erfüllt. »Meine Mandantin hat nur angegeben, was sie wahrgenommen hat. Sie hat ihre Aussage nicht an der der Zeugin angelehnt.« Sie habe ein Gerangel geschildert. Die beiden Polizisten sind an diesem Montag als Zeugen geladen und machen unterschiedliche Aussagen dazu, ob es ein Gerangel gegeben habe oder nicht. Einer spicht davon, der andere habe keines bemerkt.
Geldstrafen für beide
Der als Ersatz für seine Kollegin eingesprungene Staatsanwalt sieht die Vorwürfe gegen das Ehepaar als erwiesen an und fordert für den Mann eine Strafe von 60 Tagessätzen je 100 Euro und für die Frau 50 Tagessätze à 20 Euro. »Sie dürfen etwas erzählen, aber nicht andere einer Straftat bezichtigen.« Zumal dem Polizisten dann ein Disziplinarverfahren drohe. Die Anwältin der Frau plädiert für ihre Mandantin auf Freispruch - zumal diese kein Verfahren gegen einen an der Kontrolle beteiligten Polizisten losgetreten habe. Der Mann sitzt ohne Anwalt in der Sitzung und plädiert daher selbst für Unschuldig.
Auch in diesem Verfahren verhängt das Gericht eine Geldstrafe. Es verurteilt den Mann zu 60 Tagessätzen von jeweils 100 Euro, von denen er allerdings wegen der früheren Geldstrafe nur die Hälfte zahlen muss. Seine Ehefrau wird zu 50 Tagessätzen je 20 Euro verurteilt. Es sei zwingend, dass die Schilderungen der Polizisten nach der langen Zeit voneinander abwichen, sagt der Richter. Sonst ließe das auf eine Abspreche schließen. »Im Kerngeschehen ist es aber nicht zu einem Schlag gekommen«, begründet der Richter das Urteil. Er sieht die Vorwürfe bestätigt. Der Mann habe einen Polizisten angezeigt. Zwar sei das Verfahren eingestellt worden. »Es kann jederzeit wieder aufgenommen werden«, sagt der Richter und ergänzt: »Der Beamte sollte diskreditiert werden.« (GEA)