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Aktuell Ehrenamt

Der Arbeitskreis Asyl in Dettingen löst sich nach elf Jahren auf

Im Jahr 2013 hatten sich Dettinger zusammengetan, um Flüchtlinge zu unterstützen. In Spitzenzeiten gehörten 40 Frauen und Männer dem Arbeitskreis Asyl an. Sie übernahmen viele Aufgaben vom Sprachkurs bis zur Organisation von Festen.

Für Hiba Shraiteh (links) aus dem Libanon und die Tschetschenin Aza Abdulkadyrova ist Dettingen zur zweiten Heimat geworden, zu
Für Hiba Shraiteh (links) aus dem Libanon und die Tschetschenin Aza Abdulkadyrova ist Dettingen zur zweiten Heimat geworden, zu verdanken haben sie es den Helfern des Arbeitskreises Asyl. Foto: Kirsten Oechsner
Für Hiba Shraiteh (links) aus dem Libanon und die Tschetschenin Aza Abdulkadyrova ist Dettingen zur zweiten Heimat geworden, zu verdanken haben sie es den Helfern des Arbeitskreises Asyl.
Foto: Kirsten Oechsner

DETTINGEN. Aza Abdulkadyrova ist hörbar bewegt, ihre Stimme bricht weg und die Augen füllen sich mit Tränen. Doch die 47-Jährige ist alles andere als traurig, sondern sie reagiert aus Dankbarkeit so emotional. Vor ihr sitzen Menschen, die ihr und ihrer Familie 2013 nach der Flucht aus Tschetschenien eine Perspektive gegeben haben: »Danke, Danke, Danke für alles, was ich bekommen habe.« Vor allem Zuwendung sei es gewesen, die ihr beim Start in eine neue Zukunft geholfen hätte. Nicht zu vergessen sei zudem die praktische Unterstützung in vielen Lebensbereichen. Die Helfer beim Arbeitskreis Asyl hätten zu 100 Prozent alles richtig gemacht, erklärt sie in perfektem Deutsch: »Dettingen ist meine zweite Heimat geworden.«

Und dann macht sich bei ihr und im Kreis der knapp 30 Zuhörer doch etwas Wehmut breit: Der Arbeitskreis Asyl hat sich aufgelöst, das Asylcafé öffnet bereits seit Januar seine Türen nicht mehr. Ein Kapitel für beispielhaftes bürgerliches Engagement in Dettingen geht nach etwas mehr als elf Jahren zu Ende. Weil bis zuletzt Engagierte altershalber an ihre Grenzen stoßen würden und kein Nachwuchs in Sicht sei, wie Uschi Liedtke erklärt.

Überraschende Nachricht

Liedtke ist eine Frau der ersten Stunde und erinnert sich ganz genau an das Jahr 2013 zurück, als der Landkreis Reutlingen die Dettinger mit der Nachricht überrascht hat, dass auf dem ehemaligen Festplatz Container für Flüchtlinge aufgestellt werden – ohne vorab darüber zu informieren und das Gespräch zu suchen. Widerstand regte sich unter den Dettingern. »Der Landkreis hatte sich auch keine Gedanken gemacht, wie es weitergeht, wenn die Menschen in den Containern leben«, erinnert sich Liedtke. Dieter Schweizer, Claudia Mess und Uschi Liedtke wollten nicht darauf warten, bis es ein Programm gibt und sich Sozialarbeiter um die Flüchtlinge kümmern würden. Sie kamen ins Gespräch mit der Kirche und der Gemeinde – der Arbeitskreis Asyl wurde relativ schnell gegründet und aktiv.

Zu Spitzenzeiten waren es 40 Ehrenamtliche, die sich je nach ihren Möglichkeiten einbrachten: »Jeder Einzelne war unheimlich wichtig«. Die Liste der Aufgaben sei »ganz, ganz lang« gewesen, so Uschi Liedtke. Es wurden Sprachkurse, die es damals noch nicht gab und laut Liedtke der Schlüssel zur Integration seien, aber auch Feste organisiert. Die Flüchtlinge wurden bei Behördengängen oder Anhörungen begleitet, später habe man ihnen bei ihren Umzügen geholfen, das Asylcafé gegründet und Spendengelder gesammelt.

Keine abschließbaren Türen

Dann seien da auch noch die Lebensumstände in den Containern gewesen: Menschen unterschiedlicher Herkunft seien dort regelrecht eingepfercht gewesen, ohne abschließbare Türen. »Gab’s in den Containern Streit, ist einer von uns sofort gekommen«, erzählt sie. Und, was auch eine wichtige Aufgabe gewesen sei: Die Nein-Sager unter den Dettingern in ihre Schranken zu weisen. Das Ehrenamt habe viel Kraft gekostet, die Energie hätten sie alle aber aus Überzeugung gerne investiert: »Wir waren sehr streitbar, haben uns öfters mit dem Landkreis angelegt«, macht Uschi Liedtke deutlich. »Das war aber auch notwendig.«

Aus den anvisierten drei seien etwas mehr als elf Jahre geworden, in all der Zeit habe die Gemeinde den Arbeitskreis Asyl sehr unterstützt. Die Helfer selbst seien trotz Weiterbildungskurse allerdings durchaus emotional an ihre Grenzen gekommen: »Wir haben uns über vieles gefreut, aber auch Enttäuschungen einstecken müssen«, bilanziert Liedtke. »Es ist toll, dass ihr euch alle drauf eingelassen habt«, bedankte sie sich am Samstag beim Abschiedsfrühstück im Café Alte Schule. Zuletzt hatten drei Frauen mit ihren Kindern das Asylcafé besucht - eine davon wäre bereit, den Gesprächskreis informell weiterzuführen. Inwieweit das möglich ist, wird gerade mit der Gemeinde abgeklärt.

Freundschaften sind entstanden

Die Entscheidung zur Auflösung sei schweren Herzens gefallen, das Engagement habe sich gelohnt: »Sehr viele Menschen von damals haben ihren Weg gefunden.« In den elf Jahren sind viele Freundschaften und dauerhafte Beziehungen entstanden: Unter den Helfern, mit den Flüchtlingen und unter ihnen selbst. Zwischen der Tschetschenin Aza Abdulkadyrova und Hiba Shraiteh, die Anfang 2014 aus dem Libanon nach Dettingen kam, hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt, und sie verbringen seit dem Zusammenleben in den Containern immer noch viel Zeit miteinander. Sie seien dank des Arbeitskreises Asyl in Dettingen angekommen, darin sind sie sich einig. (GEA)