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Das neue Leben des Dettinger Sternegastronoms

Der Spitzensommelier hat auf dem Jakobsweg den Tod seiner Ehefrau Ute verarbeitet - Schritt für Schritt über 800 Kilometer. In Dettingen führt er die gemeinsame Weinhandlung weiter und engagiert sich im Gemeinderat.

Aus der Sternegastronomie ist Evengelos Pattas raus, das Thema Wein begleitet den Spitzensommelier jedoch weiterhin.
Aus der Sternegastronomie ist Evengelos Pattas raus, das Thema Wein begleitet den Spitzensommelier jedoch weiterhin. Foto: Kirsten Oechsner
Aus der Sternegastronomie ist Evengelos Pattas raus, das Thema Wein begleitet den Spitzensommelier jedoch weiterhin.
Foto: Kirsten Oechsner

DETTINGEN. Mit der Trauer umgehen, den Seelenfrieden finden. Schritt für Schritt, Kilometer um Kilometer. Evangelos Pattas hat sich vergangenen Sommer im französischen St. Jean-Pied-de-Port am Fuß der Pyrenäen auf den Jakobsweg gemacht, um den Tod seiner Frau Ute zu verarbeiten. Nach sechs Wochen Wanderschaft und etwas mehr als 800 Kilometer später hat er sein ganz persönliches Ziel erreicht. Dafür war der 62-Jährige über Santiago de Compostela hinaus, dem eigentlichen Endpunkt der Pilgerwanderung, viereinhalb weitere Tage ans Cabo Fisterra, dem (gefühlten) Ende der Welt gelaufen. Erst dort, am Atlantik stehend mit Blick in die Weite des Horizonts, sei er bereit gewesen, sich von seiner Ehefrau zu verabschieden und loslassen zu können. In diesem Moment habe er sich befreit gefühlt, ein riesiges Gewicht sei von seinen Schultern gefallen: »Ich bin mit glasigen Augen losgelaufen und kam mit Trost und Zuversicht zurück«, blickt der Dettinger auf eine bewegende Zeit zurück. »Ich war bereit, mit Kraft die neue Zukunft anzugehen.«

Die ist geprägt von seinem Abschied aus der Spitzengastronomie, Evangelos Pattas ist seit Januar 2024 nicht mehr Inhaber des Sternerestaurants »Délice« in Stuttgart. Der Ausstieg sei langfristig terminiert und vorbereitet gewesen, er wollte seiner an Krebs erkrankten Ehefrau Ute beistehen. Doch sie erlag ihrem schweren Leiden bereits im Juni 2023. Ein halbes Jahr habe er weiter funktionieren müssen, das sei er seinem Küchenchef und den Gästen schuldig gewesen: »Ich hatte doch eine Verantwortung.« Doch ein Ausstieg vom Ausstieg sei nie zur Diskussion gestanden: »Ohne Utes Hilfe war das nicht denkbar. Durch sie hatte ich mich auf das ‚Délice‘ konzentrieren können, die Spitzengastronomie erfordert einen sehr hohen Einsatz«, erklärt Pattas. »Ute war meine Seele, sie hielt mir den Rücken frei.«

40 Jahre ein Paar

Über 40 Jahre waren sie ein Paar, die Dettingerin und der Belgier mit griechischen Wurzeln. Kennengelernt hatten sich Evangelos Pattas und Ute Enchelmayer in einem Hotel in London, wo sie beide arbeiteten. Nach vielen Stationen fiel dann vor rund 30 Jahren der Entschluss, in ihrem Heimatdorf sesshaft zu werden. »Es war eine tolle Zeit«, erinnert sich Evangelos Pattas. Einen dauerhaften Ort zum Leben haben, eine Familie gründen und gleichzeitig Neues wagen - das Ehepaar eröffnete damals die inzwischen renommierte Weinhandlung »et cetera«. Wobei, das muss der in Gastronomiekreisen anerkannte und mehrfach ausgezeichnete Spitzensommelier zugeben, der gute Ruf des Ladens Verdienst seiner Frau gewesen sei: Sie habe in der Weinhandlung die Akzente gesetzt, sei beliebt bei den Kunden gewesen: »Ihre Seele ist hier immer noch überall«, erklärt Evangelos Pattas. »Ich kann Ute nicht ersetzen, aber unseren gemeinsamen Traum weiterführen. Ich mache es auf meine Art, aber mit dem Gefühl, sie wäre stolz auf mich.« Was nach dem Ausstieg aus der Spitzengastronomie für den Sommelier des Jahres 2007 als Konstante bleibt, ist das Thema Wein: Der Dettinger ist nach wie vor als Fachmann gefragt, leitet unter anderem Seminare oder organisiert Weinreisen und wird weiterhin weltweit auf der Suche nach edlen Tropfen unterwegs sein.

Basis und Lebensmittelpunkt sind für den Kosmopolit Pattas Dettingen, hier ist der (noch) 62-Jährige nun endgültig angekommen und bringt sich ein. Evangelos Pattas hat im vergangenen Sommer Verantwortung in der Gemeinde übernommen, sitzt für die Unabhängige Liste im Gemeinderat. Stark machen möchte er sich für das Thema Integration: »Das liegt mir sehr am Herzen, dafür kämpfe ich.« Dazugekommenen eine Heimat zu geben, das sein Ziel. Das sei aber keine Einbahnstraße: »Dettingen ist eine wundervolle Gemeinde mit vielen Werten, das muss man schätzen. Wer hier aufgenommen werden will, muss sich integrieren.«

Raus aus der Einsamkeit

 

Auf dem Jakobsweg habe er bewusst um Ruhe gebeten, pflegte außer zu seiner Tochter Sarah und Sohn Luca keine Kontakte – von ihnen kam auch der Ausnahme-Anruf, dass er überraschend in den Gemeinderat gewählt worden sei. »Ich wollte Zeit für mich haben.« Am ersten Jahrestag des Todes von Ehefrau Ute habe er sich in einem Kirchlein in Ortega zurückgezogen: »Ich war sehr mitgenommen, fühlte mich allein und einsam.« Und das obwohl, er gewusst habe, was mit ihrem Tod auf ihn zukomme: »Die letzten Monate ihres Lebens hat Ute damit verbracht, mich stark zu machen.«

 

Für ihn persönlich sei der Jakobsweg der richtige Weg gewesen, den Verlust von seiner Frau und den zeitnahen Tod von Bruder und Schwägerin zu verarbeiten. »Es heißt immer, die Zeit heilt die Wunden. Aber man muss auch etwas dafür tun, Abschied nehmen zu können«, weiß Evangelos Pattas inzwischen. »Ich kam mit neuem Schwung vom Jakobsweg zurück.« Doch geblieben sei zunächst die Einsamkeit. Allein zu essen, allein Erlebtes verarbeiten zu müssen, allein Sohn und Tochter auf ihrem Lebensweg zu begleiten: »Das hat mir nach wie vor zugesetzt.« Er habe er sich entschieden, auch hier etwas zu tun. Vor fünf Monaten hat Evangelos Pattas eine neue Frau an seiner Seite gefunden, auch sie habe ihren langjährigen Lebenspartner verloren und sie beide würden in dem Bewusstsein miteinander glücklich sein, den verlorenen Partner weiterhin tief im Herzen zu tragen. »Das hätte Ute so gewollt«, ist sich Evangelos Pattas sicher. »Sie wollte, dass ich glücklich bin und sagte immer, dass ich ein Leben nach ihrem Tod haben soll.« Den Jakobsweg und mehr als 800 gewanderte Kilometer habe er gebraucht, um dies zu verstehen und anzunehmen: »Für mich war es der richtige Weg und ich habe ihn geschafft, weil ich wollte.« (GEA)