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Aktuell Auszeichnung

Cem Özdemir ist jetzt Ehrenbürger von Bad Urach

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der in Urach geboren und aufgewachsen ist, ist jetzt Ehrenbürger seiner Heimatstadt. Warum er die höchste Auszeichnung der Stadt erhalten hat.

Der neue Ehrenbürger von Bad Urach bedankt sich.
Der neue Ehrenbürger von Bad Urach bedankt sich. Foto: STEFFEN SCHANZ
Der neue Ehrenbürger von Bad Urach bedankt sich.
Foto: STEFFEN SCHANZ

BAD URACH. »Man sagt mir nicht nach, dass ich auf den Mund gefallen bin«, sagt Cem Özdemir, »aber in Worte zu fassen, was ich hier und heute empfinde, fällt mir wahrlich nicht leicht. Ich bin zutiefst gerührt und dankbar für die außergewöhnliche Ehre, die mir heute zuteilwird.« Die Ehre, die der 58-Jährige am Mittwochabend in der Uracher Festhalle empfängt, ist die höchste, die die Stadt zu vergeben hat: die Ehrenbürgerwürde. 

Vor dem Festakt zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde wird der Cem Özdemir von Bauern empfangen, die gegen die Agrarpolitik demons
Vor dem Festakt zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde wird der Cem Özdemir von Bauern empfangen, die gegen die Agrarpolitik demonstrieren. Der Bundeslandwirtschaftminister bezieht klar Stellung und fordert, ihn nicht nach seinem Parteibuch, sondern nach seinen Taten zu beurteilen. Foto: Steffen Schanz
Vor dem Festakt zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde wird der Cem Özdemir von Bauern empfangen, die gegen die Agrarpolitik demonstrieren. Der Bundeslandwirtschaftminister bezieht klar Stellung und fordert, ihn nicht nach seinem Parteibuch, sondern nach seinen Taten zu beurteilen.
Foto: Steffen Schanz

Emotionen. Am Ende des Abends erheben sich die 400 Gäste und klatschen. Der neue Ehrenbürger ist sichtlich bewegt, wenn er die Urkunde in Händen hält. Schaut ganz lange ernst, bis er endlich mal lächelt. Bewegt ist er auch, wenn er davon erzählt, wie ihm sein Vater mit Tränen in den Augen berichtet hat, wie ihn deutsche Freunde in der Stammkneipe gegen einen ausländerfeindlichen Mann in Schutz genommen haben (»Das ist der Abdullah, der gehört zu uns!«). Bewegt ist nicht nur er, wenn Laudatorin Irmgard von der Beerdigung seiner Mutter Nihal erzählt. Da nahm sie ihr Sohn Cem auf dem Friedhof aus dem Sarg und trug sie ins Grab.

Eltern. Die beiden wichtigsten Uracher sind für Cem Özdemir immer noch seine Eltern. Vor dem Festakt war er auf dem Friedhof. »Die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft ist zwar eine persönliche Auszeichnung«, sagt Özdemir, »ich bitte jedoch um Nachsicht, dass ich es anders empfinde: Denn diese Ehre teile ich in Gedanken mit meinen Eltern.« Seine Mutter Nihal war es, die einer Kundin, Irmgard Naumann, unmissverständlich klar machte, dass der kleine Cem auf eine höhere Schule muss. Der machte damals so viele Fehler im Diktat, dass die Pädagogin nur die richtigen unterstrich. »Du hast drei Wörter richtig«, lobt sie ihn. Ein paar Wochen später sind es schon zwanzig. 

Die Uracher Festhalle war bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde voll besetzt.
Die Uracher Festhalle war bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde voll besetzt. Foto: Steffen Schanz
Die Uracher Festhalle war bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde voll besetzt.
Foto: Steffen Schanz

Nachhilfe. Jetzt hält Irmgard Naumann die Laudatio auf ihren ehemaligen Nachhilfeschüler. Er hat sie aus Berlin angerufen und gebeten, ob sie’s macht. »Sie kann, sie muss und sie will über Cem reden«, sagt Naumann. Sie redet über sein erstes Engagement für die Ermstalbahn, die ihn politisch entscheidend geprägt habe. Über die Bedeutung des Grünen-Urgesteins Rezzo Schlauch – er ist auch in der Festhalle –, der den jungen Cem davor bewahrt hat, bei den Grünen aus- und der SPD einzutreten. Über seinen kometenhaften politischen Aufstieg, bei dem es auch einen kleinen Absturz mit Auszeit gab. Und natürlich über die Rede des Jahres 2018, in der der Endbahnhof von Bad Urach eine wichtige Rolle spielt. 

»Änderungsschneiderei ÖZDEMIR«, steht immer noch an den Fenstern des Hauses in der Langen Straße von Bad Urach. Hier ist der Bun
»Änderungsschneiderei ÖZDEMIR«, steht immer noch an den Fenstern des Hauses in der Langen Straße von Bad Urach. Hier ist der Bundeslandwirtschaftsminister aufgewachsen. Foto: Andreas Fink
»Änderungsschneiderei ÖZDEMIR«, steht immer noch an den Fenstern des Hauses in der Langen Straße von Bad Urach. Hier ist der Bundeslandwirtschaftsminister aufgewachsen.
Foto: Andreas Fink

Botschafter. Die Rede des Jahres ist einer der Punkte, warum Cem Özdemir jetzt Ehrenbürger von Bad Urach ist. »Durch sein politisches Wirken hat sich Cem Özdemir um das Wohl und um die Bekanntheit von Bad Urach besonders verdient gemacht«, liest Bürgermeister Elmar Rebmann aus der Urkunde vor, die er ihm auf der Bühne der Festhalle überreicht. Özdemir habe sich hier als Vorkämpfer gegen Rassismus und Extremismus gezeigt und seine Heimatstadt damit bundesweit bekannt gemacht, betont der Bürgermeister. 

Als Kind wollte Cem Özdemir immer die große Trommel des Fanfarenzugs spielen. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde erfüllte i
Als Kind wollte Cem Özdemir immer die große Trommel des Fanfarenzugs spielen. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde erfüllte ihm seine ehemalige Nachhilfelehrerin Irmgard Naumann den Wunsch. Hier nimmt er die große Trommel entgegen und freut sich sichtlich. Neben ihm seine neue Partnerin Flavia Zaka. Foto: Steffen Schanz
Als Kind wollte Cem Özdemir immer die große Trommel des Fanfarenzugs spielen. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde erfüllte ihm seine ehemalige Nachhilfelehrerin Irmgard Naumann den Wunsch. Hier nimmt er die große Trommel entgegen und freut sich sichtlich. Neben ihm seine neue Partnerin Flavia Zaka.
Foto: Steffen Schanz

Vorbild. »Cem Özdemir hat bewiesen dass sich Fleiß und Wille auszahlen«, sagt der Uracher Bürgermeister, »er ist somit ein Vorbild für viele Menschen mit Migrationshintergrund geworden.« Das Kind türkischer Gastarbeiter greift diesen Gedanken in seiner Rede auf. Im Publikum sucht er seinen Kindheits-Freund Olcay Zeybek. »Der hätte es mindestens so verdient wie ich, heute hier zu stehen«, sagt Özdemir, »er hat sich unter ungleich schwierigeren Bedingungen bis zum Aufsichtsratsmitglied bei ElringKlinger hochgearbeitet und zeigt damit, was erfolgreiche Integration bewirken kann.« Am Nachmittag besucht Cem Özdemir seine ehemalige Realschule und kommt dort mit Maribel Martin Ramirez ins Gespräch. Auch die Schulleiterin ist ein Gastarbeiterkind, die Erste ihrer Familie, die studiert hat. »Wir dürfen kein einziges Kind verlieren«, sagen beide. 

Damit fing alles an: Irmgard Naumann  hat ihrem Nachhilfeschüler Cem Özdemir das Buch »Das war der Hirbel«  von Peter Härtling g
Damit fing alles an: Irmgard Naumann hat ihrem Nachhilfeschüler Cem Özdemir das Buch »Das war der Hirbel« von Peter Härtling geschenkt. Den Unterricht hatte seine Mutter Nihal (Mitte) eingefädelt. In ihrer Nähwerkstatt hatte sie Irmgard Naumann angesprochen: »Du, Lehrerin: Cem muss auf höhere Schule!« Foto: Andreas Fink
Damit fing alles an: Irmgard Naumann hat ihrem Nachhilfeschüler Cem Özdemir das Buch »Das war der Hirbel« von Peter Härtling geschenkt. Den Unterricht hatte seine Mutter Nihal (Mitte) eingefädelt. In ihrer Nähwerkstatt hatte sie Irmgard Naumann angesprochen: »Du, Lehrerin: Cem muss auf höhere Schule!«
Foto: Andreas Fink

Musik. Der Bruder seines Mitschülers Peter Bader habe ihm in der elterlichen Gärtnerei »so lange die richtigen LPs vorgespielt, bis ich wusste, ›ein Leben ohne Rock ’n’ Roll ist möglich, aber sinnlos‹«, sagt Özdemir. Das Orga-Team im Rathaus hat mit ihm im Vorfeld über die Musikwahl des Abends gesprochen. Özdemir hätte sich die Toten Hosen gewünscht und folglich mit dem Chef Campino gesprochen. Der habe sich geehrt gefühlt, aber abgelehnt, weil er ein Konzert hat. Jetzt haben »Les Roulettes« die Festhalle zum Schwingen gebracht. An der Trommel Fulya Tavmann-Kurz, auch eine Jugendfreundin von Cem Özdemir. In der Festhalle schließen sich an diesem Abend ganz viele Kreise, wird viel gestrahlt und geherzt. 

Und noch ein Wunsch, den ihm Irmgard Naumann an seinem großen Tag erfüllte: ein Modellflugzeug. Als Kind konnte er davon nur trä
Und noch ein Wunsch, den ihm Irmgard Naumann an seinem großen Tag erfüllte: ein Modellflugzeug. Als Kind konnte er davon nur träumen. Foto: Steffen Schanz
Und noch ein Wunsch, den ihm Irmgard Naumann an seinem großen Tag erfüllte: ein Modellflugzeug. Als Kind konnte er davon nur träumen.
Foto: Steffen Schanz

Sicherheit. Der Aufwand, den neuen Ehrenbürger von Bad Urach zu beschützen, ist beträchtlich. Schließlich ist er im Hauptberuf Mitglied der Bundesregierung. Unübersehbar die Männer und Frauen mit den ausgebeulten Jacken und dem Knopf im Ohr. Auch wenn die Querdenker, die sich auf Telegram angekündigt haben, nicht aufgeschlagen sind: Ein Polit-Promi wie Özdemir wird von den BKA-Leuten keine Sekunde aus den Augen gelassen. Im Uracher Kindergarten »Grünes Herz«, in dem der kleine Cem war, räumt ein junger Beamter erst mal den Block mit den kleinen, abgerundeten Kinderscheren weg. 

Protest. Den gibt es dann aber doch. Vor der Festhalle wird Özdemir von rund 20 Bauern empfangen. Man sieht von Weitem die Blinklichter der Schlepper. Sie werfen dem Bundeslandwirtschaftsminister vor, dass ihnen mit immer neuen Vorschriften das Leben schwer gemacht wird. Vor laufenden Kameras und Mikrofonen – aus ganz Deutschland sind Medienvertreter nach Urach gekommen, um einen Tag den Mann zu begleiten, der erst kürzlich seinen Ring in den Hut um die Nachfolge von Ministerpräsident Wilfried Kretschmann geworfen hat – wehrt sich der Minister mit deutlichen Worten gegen die Vorwürfe. Distanziert sich teilweise von seiner eigenen Partei und der Ampel, verweist die Bauern aber auch an die Zuständigkeiten und Ursachen der Probleme. Das sei nicht immer der Bundeslandwirtschaftsminister von den Grünen. Er macht klar, dass er viel von dem abarbeiten müsse, was seine Vorgänger hinterlassen haben. Cem Özdemir fordert Fairness – dass man ihn also nicht nach dem Parteibuch beurteilen möge, »sondern nach dem, was man macht«. Am Ende bedanken sich die Bauern für den Austausch und wünschen ihm einen schönen Festakt. (GEA)