METZINGEN. Stolz hielt Jozair Leite Espinozu den Bogen in der Hand und spannte die Sehne, um zu demonstrieren, dass die Jagdwaffe jederzeit einsatzbereit wäre. Espinozu gehört zur indigenen Volksgruppe der Chiquitanos, die im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso an der Grenze zu Bolivien lebt. Zusammen mit Andravia Neira de Arruda und Marcos Vinicios Mendes präsentierte der junge Mann in der alten Aula des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums Kunsthandwerk, das er in seiner Heimatregion gefertigt hatte. Neben Pfeil und Bogen konnten die Besucher Feder-Haarschmuck, Kokosringe und Teller aus Lianenholz kaufen.
Die drei indigenen Jugendlichen sind Teil einer Austauschgruppe aus dem südamerikanischen Land, die sich gerade für drei Wochen in Deutschland aufhält. Seit 17 Jahren besteht eine enge Kooperation zwischen einer Arbeitsgruppe des Gymnasiums unter Leitung der Lehrerin Katja Polnik, der Bonifatiusgemeinde und dem Kinderhilfsprojekt Gonzalinho in der brasilianischen Stadt Cáceres, die sich durch regelmäßige Besuche auszeichnet.
Zugang zu Bildung schaffen
»Die Jugendlichen, die gerade hier sind, wurden ausgewählt, weil sie sich alle in sozialen Gruppen engagieren«, erläuterte Laura Stasch die Kriterien für den Besuch in Deutschland. Stasch war als Austauschschülerin selbst in Brasilien und ist der Kooperation seitdem eng verbunden. Ohne die finanzielle Unterstützung des Bundesfamilienministeriums und der Katholischen Kirche wäre der Besuch der 14 jungen Frauen und Männer in Deutschland nicht möglich gewesen, da alle aus sozial schwächeren Familien kommen, erklärte Katja Polnik.
Am Samstagabend stellten die Gäste ihre Projekte vor, die alle das Ziel verfolgen, die soziale Ungleichheit in Brasilien zu mildern. Thaysa Costa Hurtado kämpft jeden Tag gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie Prostitution an. Als Mitglied der »Christus Gladiatoren«, einer Organisation der Evangelischen Kirche, unterstützt sie Kinder, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammen und unter großer Armut leiden. Damit diese Kinder nicht den Gefahren auf der Straße ausgeliefert sind, sollen ihnen der Zugang zu Bildung, Kultur und Sport ermöglicht werden. »Ursprünglich gab es viel mehr solcher Projekte, die hat der neue Präsident Jair Bolsonaro aber schon gestrichen«, kritisierte Polnik die aktuellen politischen Verhältnisse im größten Land Südamerikas.
Ähnlich wie die »Christus Gladiatoren« will auch das Gonzalinho-Projekt Kinder von der Straße fernhalten. »Dort könnten sie in die Abhängigkeit von kriminellen Banden oder Drogen geraten«, übersetzte Polnik die Worte der Referenten. Mit Essen, verschiedenen Aufgaben und einer langfristigen Perspektive wollen die Ehrenamtlichen die Kinder auf den richtigen Pfad bringen. Dazu wurde ein Gemüsegarten angelegt, der mit viel Liebe gehegt und gepflegt wird. Sport und Spiele fördern die Disziplin und Teamfähigkeit und ab und zu mieten die Betreuer ein Auto, um mit den Kindern einen Ausflug zu machen.
Die Folgen des neuen Präsidenten
Yasmin Calassara dos Santos engagiert sich im Bereich Umweltschutz. Einmal im Jahr fährt die 20-Jährige mit ihrer Organisation den Rio Paraguay entlang und sammelt den Müll auf, der im Fluss schwimmt. »Da kommt jedes Mal über eine Tonne zusammen«, berichtete die junge Frau. Der 2 500 Kilometer lange Fluss durchquert das Pantanal, eines der größten Feuchtgebiete der Welt, das bekannt ist für seine einzigartige Flora und Fauna. Durch eine immer ausufernde Industrieschifffahrt sowie den Bau von Fabriken ist das Süßwassersumpfgebiet akut gefährdet. »Dagegen wollen wir vorgehen«, betonte dos Santos.
Dass sich das gesellschaftliche Klima in Brasilien seit der Wahl des rechtskonservativen Bolsonaro ins Präsidentenamt verändert hat, kann keiner so gut bezeugen wie Higor Lopes Andrade. Er gehört einer Bewegung an, die die Rechte von Homosexuellen vertritt. Schwulen, Lesben und sexuell Andersorientierten wird seitdem offener Hass und oft auch Gewalt entgegengebracht, berichtete Andrada und erzeugte mit seinen Worten ungläubiges Kopfschütteln in der gut besuchten Alten Aula. Für viele der brasilianischen Gäste bewege sich ihr Land zurück ins Jahr 1964. Was das bedeutet, erläuterte Katja Polnik: »Damals begann die 20-jährige Militärdiktatur.« (GEA)