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Amazon-Flugblätter: Den Bogen überspannt

Die Haltung zu Amazon ist in Hengen geteilt. Das Bild zeigt das Plakat der ersten Stunde am Scheuerntor von Hermann Kiefer, der
Die Haltung zu Amazon ist in Hengen geteilt. Das Bild zeigt das Plakat der ersten Stunde am Scheuerntor von Hermann Kiefer, der den Protest ins Rollen gebracht hat. Jemand hat unter die kritische Frage mit Kreide »JA« geschrieben. Ein Maisscherz, sagt Kiefer. Foto: Andreas Fink
Die Haltung zu Amazon ist in Hengen geteilt. Das Bild zeigt das Plakat der ersten Stunde am Scheuerntor von Hermann Kiefer, der den Protest ins Rollen gebracht hat. Jemand hat unter die kritische Frage mit Kreide »JA« geschrieben. Ein Maisscherz, sagt Kiefer.
Foto: Andreas Fink

WEHRT EUCH JETZT! Mit Großbuchstaben, roter Farbe, Ausrufezeichen und dem Verkehrszeichen Nr. 101, das für »Gefahrstelle« steht, macht das Hengener Bürgerforum Stimmung gegen das geplante Verteilzentrum von Amazon. Dass die Pläne des Internet-Giganten auf der einen Seite und das Verhalten des Uracher Gemeinderats auf der anderen in dem Uracher Teilort auf viel Gegenwind stoßen würden, war von Anfang an klar. Zu lange hatten die Gremien und die Verwaltung in den Augen der Gegner nicht öffentlich mit dem Internet-Giganten verhandelt und Fakten geschaffen, zu gewaltig scheinen vielen die Pläne in dem 990-Seelen-Dorf.

Spätestens als die Uracher Verwaltung Anfang Juni das Verkehrsgutachten vorgelegt hat, in dem klar wird, dass der Verkehr deutlich zunehmen wird, wenn Amazon kommt, sind die Wellen hochgeschlagen. Insofern kann man es nachvollziehen, dass das Bürgerforum jetzt noch lauter gegen die Pläne protestiert, die aller Voraussicht nach noch vor der Sommerpause vom Gemeinderat abgesegnet werden.

Bürgerprotest ist ein grundlegendes Recht in und ein wichtiges Mittel der Demokratie und deshalb gut. Mit der jüngsten Flugblatt-Aktion hat das Bürgerforum aber den Bogen überspannt und gleich mehrere Grenzen überschritten.

Es ist legitim, gegen die Zunahme von Verkehr oder gegen die Höhe von Gebäuden zu demonstrieren. Die Zahlen sollten halt stimmen. Sie sind öffentlich einsehbar, und die Menschen, die Flugblätter verfasst haben, sind nicht auf den Kopf gefallen. Kleine Ungenauigkeiten haben eine große Wirkung.

Im Falle von Uthe Scheckel jemanden persönlich an den Pranger zu stellen, geht aber gar nicht. Die Seeburger wissen doch, wer für sie im Uracher Rat sitzt. Warum also die frühere Ortsvorsteherin vorführen?

Dann der Aufschlag im Nachbarort Römerstein. Der Uracher Gemeinderat ignoriere Römersteiner Interessen. Wer sagt das? Woher wissen die Autoren des anonymen Pamphlets, dass Römerstein NEIN sagt? Erwartet das Hengener Bürgerforum, dass die Römersteiner jetzt mit Mistgabeln ins Tal ziehen, um mit dem Uracher Gemeinderat ein ernstes Wörtchen zu reden? Und dann »HENGEN WACH AUF!« Klingt mehr nach dem Wachturm der Zeugen Jehovas als nach einem ernst zu nehmenden Protest.

Mit den anonymen Flugblättern – erst auf GEA-Nachfrage gab sich das Bürgerforum als Autor zu erkennen – wird vor allem eines erreicht: noch mehr Zwietracht. Längerfristig vielleicht noch schlimmer: Wer Bürgervertreter als Kollektiv und sogar persönlich an den Pranger stellt, darf sich nicht wundern, wenn sich immer weniger für so ein Amt zur Verfügung stellen.

andreas.fink@gea.de