BAD URACH. Nebel steigt auf über dem früheren Vereinsheim des Bad Uracher Verschönerungsvereins. Einige Meter davor und dahinter ist die Luft klar, Sonnenstrahlen wärmen die Erde, und etliche Zuschauer haben ihre Jacken geöffnet. Nicht aber die Männer und Frauen der Freiwilligen Feuerwehr Bad Urach und des Ortsverbands Münsingen des Technischen Hilfswerks (THW). Sie sind am Samstag gegen 14 Uhr konzentriert bei der Arbeit. Damit hat der Nebel etwas zu tun, den eine Maschine erzeugt und der aus Hausritzen und Fenstern herausquillt. Er soll es ihnen bei der gemeinsamen Übung schwer machen.
Nur ein paar Meter vom Haus entfernt stehen Niko Leopoldt und Norbert Fenigli vom THW und beschreiben das Übungsszenario: »Es hat eine Gasexplosion gegeben. Vier Personen werden vermisst. Die müssen wir finden und retten«, sagt der THW-Truppführer Leopoldt und streckt seinen rechten Arm aus. »So weit kann man drinnen im Haus wegen des Nebels nur sehen.« Norbert Fenigli, der stellvertretende Ortsbeauftragte der THW-Verbands Münsingen, ordnet die Übung ein: »Uns fehlen oft die Übungsobjekte. Darum sind wir froh, dass wir heute hier sein können.« Die Kameraden brauchen keine Rücksicht darauf nehmen, dass etwas kaputt geht. Vielmehr werden sie an dem Tag einige Spuren hinterlassen. Oder wie Fenigli es ausdrückt: »Wir werden heute unseren Spaß haben, ohne teure Sachschäden anzurichten.« Schäden wird es schon geben, wenn seine THW-Kameraden später mit Beilen auf eine Wand eindreschen, Türen aufhebeln oder ein Kellerfenster herausbrechen. Sie spielen aber beim Abbruchhaus keine Rolle.
Feuerwehr ist als erstes dran
Leopoldt drängt: »Wir müssen losfahren.« Lange bleibt er aber nicht weg, sondern kommt mit seinen 15 Kameraden und den Feuerwehrleuten wieder zum früheren Vereinsheim. Er ist bei der Übung der Gruppenführer und wird das gesamte Vorgehen minutiös dokumentieren. Leopoldt geht den steilen Erdwall hoch und verschwindet in Richtung des nahen Parkplatzes, auf dem die Fahrzeuge des THW und der Feuerwehr stehen und nun wegfahren.

In wenigen Wochen soll das frühere Vereinsheim des Verschönerungsvereins Bad Urach abgerissen werden als Vorbereitung zum Ausbau der Knotenpunkte Wasserfall und Hochhaus an der B 28. Denn wo dieses aktuell noch steht, soll ein neuer Anschluss der Bäderstraße an die Bundesstraße gebaut werden. Geplant sind außerdem noch eine Fuß- und Radwegbrücke über die B 28, zusätzliche Fahrstreifen an den Knotenpunkten und eine neue Brücke über die verlegte Erms. Die Hauptbauarbeiten sollen in diesem Frühjahr beginnen und zur Gartenschau 2027 abgeschlossen sein.
Alle Treppen sind unbenutzbar
Wenig später biegt das erste Feuerwehrauto in die Bäderstraße und bleibt auf dem Parkplatz stehen. »Das ist der erste Angriffstrupp. Die fragen jetzt Passanten, ob sie etwas über verletzte Personen wissen. Dann entscheiden sie, was sie machen«, gibt Norbert Fenigli Auskunft. Er steht am Rande und sieht, wie die Feuerwehrleute auf den flachen Anbau des Hauses zugehen. Die Holztür ist verschlossen. Nicht nur das erschwert ihre Arbeit. An der Außentür hat ihnen jemand eine Nachricht hinterlassen: »Alle Treppen nicht begehbar.« Das macht die Herausforderung für die Rettungskräfte noch größer. Doch zunächst geht es um das Erdgeschoß: Inzwischen haben sich sieben Feuerwehrleute mit voller Montur vor der Tür aufgestellt. Einige haben den Schlauch hergetragen und ausgerollt. Sie sind gleich dran. Vorher hebelt noch ein Zweier-Team die Tür auf. Es braucht nicht lange. Schon kommt ihnen dichter Nebel entgegen.
Löschen müssen sie aber nicht. Denn es brennt ja auch nicht, erzählt Thomas Schmid, der Übungsleiter der Feuerwehr Bad Urach, später. »Wir haben kein Wasser innen abgegeben.« Dass sie und der Ortsverband Münsingen des THW gemeinsam üben, sei ungewöhnlich. »Das machen wir nicht standardmäßig. Aber wir gehören ja alle zur Blaulichtfamilie, und da verstehen wir uns.« Was die Zusammenarbeit etwas leichter macht, ist, dass sich manche Teilnehmer in der Feuerwehr und im THW engagieren.
Zu wenig Sauerstoff übrig
Auf der schmalen Seite des Hauses stecken gerade THW-Helfer eine Leiter zusammen, mit der sie etwas Besonderes vorhaben. Doch zunächst sind die Feuerwehrleute dran. Eine Feuerwehrfrau lehnt mit dem Oberkörper an der Hauswand und hält eine Aluleiter fest. Über ihr erklimmt einer ihrer Kameraden Sprosse für Sprosse. Weil die Treppe innen nicht begehbar ist, müssen sie von außen durchs Giebelfenster ins Dachgeschoß einsteigen. Plötzlich ertönt vom Haus her ein durchdringendes Pfeifen. »Das ist ein akustisches Warnsignal, dass nur noch wenig Luft in den Atemschutzgeräten drin ist«, erklärt Norbert Fenigli.
Seine THW-Kameraden gehen mit ihrer Leiter zum Haus und richten sie am Giebelfenster auf. Lukas Sautter erklärt, was das Ziel ist: "Oben ist noch eine Person, die vermisst wird. Die holen sie jetzt raus." Das geschieht mit einer Art Metalliege, die an der Leiter befestigt ist." Der Gruppenführer Notinstandsetzung ist verletzt und nimmt an diesem Tag nicht an der Übung teil. Er schaut sie sich aber an. Dass er nicht aktiv helfen kann, ärgert ihn nicht. "Ich habe das alles schon mal gemacht. Ich bin ja seit 13 Jahren beim THW und seit fünf Jahren Gruppenführer. Nun können die Nachwuchskräfte hier Erfahrungen sammeln." Er weiß, dass sie immer einen Plan B brauchen, wenn ihr eigentlicher Plan nicht funktioniert. So wird es auch hier sein. Denn die Bodenplatte zwischen dem Erdgeschoß und dem Keller lässt sich nicht so einfach aufstemmen. Sie ist aus zu dickem Beton.
Das Fenster ist jetzt weg
Nach knapp zwei Stunden ist die Übung gegen 15.15 Uhr fast beendet. Niko Leopoldt steht im Haus und zeigt, was seine Kameraden und die der Feuerwehr geschafft haben. Immer wieder sind kleine Löcher im Boden zu sehen. Das sind die Bohrlöcher, über die sie geschaut haben, was ein Stockwerk höher oder tiefer ist und ob sie so Personen befreien können. Dann klopft es an der Kellertür von innen. Ein THW-Helfer kommt hoch. »Ich hab's geschafft. Ich bin durch die Lichtschachtöffnung in den Keller vorgedrungen«, sagt er. Zuvor mussten seine Kameraden Erde draußen weggraben, das Fenster entfernen und die Öffnung verbreitern.

Leopoldt zieht Bilanz: »Unsere Teilnehmer haben heute gesehen, wie es in der jeweils anderen Organisation zugeht. Die Feuerwehr hat die Räume belüftet. Wir sind dafür da, Menschen, Tiere und Sachen zu orten und sie zu bergen.« Er ist zufrieden mit dem Tag. »Beim Transport des Dummys aus dem Fenster hat aber der Winkel nicht gestimmt. Der war zu steil und nicht komfortabel genug. Wenn sie flacher liegt, ist es besser«, bemerkt er.
Walnüsse in der Wand

Leopoldt nimmt sein Beil, geht zu einer mit sieben Schrauben verschlossenen Tür und holt aus. Die Schläge knirschen auf dem Holz. Dann öffnet Leopoldt die Tür. Geschafft. »Meine Kollegen haben gute Vorarbeit geleistet«, sagt er und geht zu einem ebenso mit Beilen eingeschlagenen Loch in der Wand. Er schaut hinein und wundert sich. »Oh, da sind ja Walnüsse drin. Wie kommen die denn in die Wand?« (GEA)