Logo
Aktuell Ausstellung

Zwiesprache über Epochen hinweg

Das Kunstmuseum Reutlingen rückt im Spendhaus Werke der städtischen Gemäldesammlungen »Ins Licht«.

Museumsleiterin Ina Dinter vor einem Selbstporträt Irene Widmanns.
Museumsleiterin Ina Dinter vor einem Selbstporträt Irene Widmanns. FOTO: KNAUER
Museumsleiterin Ina Dinter vor einem Selbstporträt Irene Widmanns. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Es geht wieder los, auch am Kunstmuseum Reutlingen. Zum ersten Mal wird am Sonntag wieder richtig Vernissage gefeiert, mit Einführungsrede und allem Drum und Dran: im 3. Obergeschoss des Spendhauses, zur Eröffnung der Schau »Ins Licht« mit Highlights aus der städtischen Gemäldesammlung. Auch der Reigen der Führungen beginnt wieder, ebenso die Kunstgesprächsformate wie »Lieblingswerke« oder »Themenwechsel« – am 29. Juli ist OB Thomas Keck zu Gast.

Nur eine Etage belegt die von Museumsleiterin Ina Dinter persönlich zusammengestellte Schau – aber die ist ungewöhnlich. Schon deshalb, weil ja Holzschnitte der Sammlungsschwerpunkt des Kunstmuseums sind. Über Ankäufe und Schenkungen kam dennoch immer wieder Malerei in die Depots: Ölgemälde der »Münchner Schule« durch die Schenkung des Gönninger Samenhändlers Ernst Ziegler 1954; Tuschemalerei von Dieter Mammel durch die Schenkung des Sammlers Eckhard Franz 2020; Abstraktes durch die Übernahme der Sammlung der Stiftung für konkrete Kunst 2017. Dazu gab es immer wieder Ankäufe von Arbeiten wichtiger Künstler der Region.

Bunt ist denn auch, was hier aus dem Dunkel der Depots »Ins Licht« tritt. Absichtlich haben Ina Dinter und Kunstmuseums-Volontärin Anna Nerobova als Assistentin die Vielfalt nicht nach Stilen oder Epochen geordnet. Der bunte Mix der Sammlung, er strahlt von jeder Wand.

Schafe im Abendlicht

So hängt ein pastelliges Selbstporträt Irene Widmanns direkt neben einem abstrakten Stangengeflecht von Vera Leutloff. Winand Victors kindlicher »Stelzenläufer« balanciert im knallroten Strampler direkt neben drei einfarbig-abstrakten Bildern von Bernard Aubertin. Die Schafe im Abendlicht von Paul-Wilhelm Keller-Reutlingen wiederum blicken auf eine abstrakte Komposition Paul Uwe Dreyers.

Doch geht es Dinter nicht darum, nur Gegensätzlichkeiten vorzuführen. Vielmehr lässt sie Wand für Wand Bilder ganz unterschiedlicher Epochen und Stilrichtungen in einen Dialog treten. So scheint die Bilder von Leutloff und Widmann die helle, gelbliche Palette zu verbinden. Ein Stück weiter kreist das Geschehen um das Thema Geschlecht. Wilhelm Leibls warm ausgeleuchtetes Porträt einer alten Frau findet sein kühl-distanziertes Gegenstück in Wilhelm Laages Bildnis einer Opernsängerin. Beide scheinen nach rechts zu schauen, wo Dieter Mammel mit zerfließender Tuschfarbe eine unbekleidete Frau im Schlafzimmer zeigt. »Das ist unsere Eva«, schmunzelt Ina Dinter beim Presserundgang. Die Schlange findet sich gleich im Wandfeld daneben: irritierend surreal in Szene gesetzt von Eckart Hahn.

So kommentieren die Bilder sich gegenseitig, spinnen Gedankenfäden fort. Auf die erotische Schwüle von Mammels Schlafzimmerbild antwortet die verletzliche Natürlichkeit von Laages Porträt seines unbekleideten Sohnes am Bach.

Es ist gerade die Kombination der Bilder, die Dinter zufolge etwas im Betrachter auslösen soll. Vielleicht finde er Emotionen, Themen, Motive aus seinem eigenen Leben wieder. Dinter will die Besucher anregen, sich auf dieses Spiel der Assoziationen einzulassen. Um der Fantasie zusätzlich Stoff zu geben, hat sie die Wände mit literarischen Zitaten gespickt: »Schwergelbe wolken ziehen überm hügel / Und kühle Stürme – halb des herbstes boten / halb des frühlings …« heißt es mit einem Gedicht von Stefan George über dräuendem Gewölk von Eduard Schleich und Gude Schaal. Anderswo lassen Nietzsche, Schiller oder Wilhelm Raabe Gedankenblitze aufleuchten.

Starke Künstlerinnen-Riege

Irene Widmann, Gude Schaal, Riccarda Gregor-Grieshaber, Alice Haarburger: Die Schau bietet auch ein Wiedersehen mit den großen Damen der Reutlinger Kunst. Widmanns flächige Prägnanz trifft auf Gregor-Grieshabers verspielten Kubismus und dieser auf Haarburgers verdichtenden Realismus und Schaals geisterhaften Surrealismus.

Dazwischen die männlichen Reutlinger Kollegen: Winand Victor mit seiner lavaglühenden »Genesis«; Erich Mansens abstrakte Farbspiele. Und immer wieder Wilhelm Laage mit seinem abwägenden Ausbalancieren von Motiv und Licht sowie Dieter Mammel, der alltägliche Szenen in Fluten von Rot oder Blau taucht.

Fragt sich, wann all diese Schätze endlich einen richtigen Depotbau bekommen. Die Kassen der Stadt sind leer, auch wegen der Coronakrise. Doch das Problem bleibt. (GEA)

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung »Ins Licht« mit Highlights der städtischen Gemäldesammlung ist von 20. Juni 2021 bis 27. Februar 2022 im 3. Obergeschoss des Reutlinger Spendhauses zu sehen, Dienstag bis Samstag 11 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 19 Uhr, Sonntag 11 bis 18 Uhr. Der Zugang ist ohne Impf- oder Testnachweis und ohne Anmeldung möglich, es besteht jedoch Maskenpflicht im Museum. Für die Vernissage diesen Sonntag, 20. Juni, um 11 Uhr ist eine Anmeldung erforderlich. (GEA)

www.kunstmuseum-reutlingen.de