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Zwerchfellbeben im franz.K: Landeskleinkunstpreise in Reutlingen vergeben

Größere Zwerchfellbeben waren bei der Verleihung der Kleinkunstpreise Baden-Württemberg am Dienstagabend im Reutlinger franz.K zu beobachten. Neben Handstand- und Stimmakrobatik gab's Boyband-Charme mit und ohne Dialekt.

Was braucht es die Backstreet-Boys, wenn man im Land die A-cappella-Popgruppe Anders hat?
Was braucht es die Backstreet-Boys, wenn man im Land die A-cappella-Popgruppe Anders hat? Foto: Armin Knauer
Was braucht es die Backstreet-Boys, wenn man im Land die A-cappella-Popgruppe Anders hat?
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Dem Herrn sei's gedankt, dass die Obrigkeit im Südwesten über Selbstironie verfügt. Als einziges Bundesland bedenkt sie die Kabarettisten, von denen sie bespöttelt wird, mit einem Staatspreis. Der Kleinkunstpreis Baden-Württemberg hat sich seit seiner Einführung 1986 zu einem der renommiertesten Ritterschläge im Humorgewerbe gemausert. Weshalb es als veritable Ehre zu betrachten war, dass man die Verleihung heuer im franz.K beherbergen durfte. Wo allerdings die meisten Karten für Ehrengäste weggingen. So wurden im Publikum Komik-Kollegen wie Christoph Sonntag oder Annette Postel gesichtet, auch hochrangiges SWR-Personal - der Sender filmte das Geschehen fürs Fernsehen.

Schade, dass eher wenige Externe in den Genuss kamen, denn so viel hochkarätige Humorkunst ist an einem Abend sonst kaum zu haben. Andererseits ist das natürliche Biotop der Lachkunst nun mal der Club und nicht die große Halle.

Feuerwerk der Genres

Wer ein Plätzchen ergattert hatte, kam jedenfalls in den Genuss eines wahren Feuerwerks verschiedenster Genres. Was schon mit Moderatorin Martina Brandl anfing, die trotz Knöchelverletzung umwerfend cool die Absurditäten des Alltags bewitzelte. Das begann beim erzwungenen Nacktputzen in der eigenen Dusche. Und hörte noch lange nicht auf mit einer gerappten Tirade, in der sie einem jüngeren Hipster die Leviten las, der beim One Night Stand mit Behaarung nur oberhalb des Bauchnabels zurechtkam.

Der Größenunterschied als Thema ihrer Bühnenshow: Christopher Schlunk und Iris Pelz  im franz.K.
Der Größenunterschied als Thema ihrer Bühnenshow: Christopher Schlunk und Iris Pelz im franz.K. Foto: Armin Knauer
Der Größenunterschied als Thema ihrer Bühnenshow: Christopher Schlunk und Iris Pelz im franz.K.
Foto: Armin Knauer

Aber natürlich waren die Preisträger mit ihren Beiträgen die eigentlichen Stars des Abends. Bei den Lokalmatadoren Chris Iris, sprich dem Tübinger Artistenpaar Christopher Schlunk und Iris Pelz, genügten sparsame Gesten und Blicke, mit denen sie ihre unterschiedliche Körpergröße thematisierten, um das Publikum zu verzaubern - eine Komik von surrealer Poesie. Ihre Akrobatik, inklusive eines T-Shirt-Wechsels im Hand-auf-Hand-Stand, stieß dann fast an die Grenze der Saaldecke.

Wortkabarett mit Attacke

Mit René Sydow als zweitem Hauptpreisträger präsentierte sich ein klassischer Wortkabarettist von der Abteilung Attacke. Die Politik bekam bei ihm ihr Fett ab, vor allem jedoch die Generation Internet, die sich als Berufsperspektive nur noch »Influencer« vorstellen kann und sämtliche persönliche Daten per Fitness-Armband an die Krankenkasse schickt. Mit seinem Tempo, seiner sprachlichen Finesse und der Intensität seines Auftritts überrollte der Radolfzeller regelrecht sein Publikum.

Wortkabarett mit Wumms: René Sydow bei der Verleihung der Kleinkunstpreise.
Wortkabarett mit Wumms: René Sydow bei der Verleihung der Kleinkunstpreise. Foto: Armin Knauer
Wortkabarett mit Wumms: René Sydow bei der Verleihung der Kleinkunstpreise.
Foto: Armin Knauer

Was die dritte Hauptpreisträgerin Murzarella, bürgerlich Sabine Murza, stimmlich tat. Bauchreden gut und schön, aber Bauchsingen in dieser Perfektion hat man so noch nicht erlebt. Murzas Puppen wie die Diva Adelheid oder der Ruhpott-Proll-Mäuserich Kalle schmettern Mozarts Arie »Der Hölle Rache« oder den AC/DC-Kracher »Highway to Hell« so stimmgewaltig, dass man an ein Playback glauben möchte. Nein, alles live!

Bauchrednerin Murzarella mit ihrer Figur Kalle.
Bauchrednerin Murzarella mit ihrer Figur Kalle. Foto: Armin Knauer
Bauchrednerin Murzarella mit ihrer Figur Kalle.
Foto: Armin Knauer

Boybands mit Charme

Bei den Förderpreisen ist die Jury komplett dem badischen Boyband-Charme erlegen - und das höchst nachvollziehbar. Die fünf Jungs der Freiburger Gruppe Anders verbinden Wise-Gise-Knuddeligkeit mit der Pop-Power der Backstreet Boys, und das alles mit witzig betexteten eigenen Songs. Der Knüller ist ihr Fernsehabend, bei dem sie sich ums richtige Programm streiten und in immer neuen stimmlich imitierten TV-Szenerien landen, von der Tiersendung (»Das Otterweibchen ist auf Futtersuche ...«) über »Heidi« bis zur »Tagesschau«. Keinen Deut weniger knuffig, dafür mit heimeligem Dialektflair präsentierte sich das Sextett Rhinwaldsounds. Unter anderem mit einem Loblied auf den samstagmorgendlichen Garteneinsatz - herrlich ironisch!

Lässiger Boygroup-Charme mit witzigen deutschen Texten: Die Gruppe Anders aus Freiburg.
Lässiger Boygroup-Charme mit witzigen deutschen Texten: Die Gruppe Anders aus Freiburg. Foto: Armin Knauer
Lässiger Boygroup-Charme mit witzigen deutschen Texten: Die Gruppe Anders aus Freiburg.
Foto: Armin Knauer

Der von der Lotto Baden-Württemberg gestiftete Ehrenpreis von 5.000 Euro ging diesmal an Patrizia Moresco. Die zog wunderbar temperamentvoll über allzu lasche Erziehungsmethoden her und erinnerte an die Zeiten, als Jugendliche noch reale Erfahrungen machen konnten, nicht nur virtuelle. Die Lotto-Stiftung finanziert gemeinsam mit dem Land die Kleinkunstpreise, was im Talk von Martina Brandl mit Staatssekretär Arne Braun vom Landeskunstministerium und Georg Wacker von der Staatlichen Toto Lotto GmbH Baden-Württemberg deutlich wurde. (GEA)