REUTLINGEN. Neben vielen anderen prominenten Gästen werde auch Pult-Legende Leopold Hager zu erleben sein, kündigte die Württembergische Philharmonie Reutlingen (WPR) bei ihrer Spielzeitvorstellung im Sommer an. Am Montagabend war es so weit. Der Dirigent, unter dessen Leitung einst Mozarts »Il sognio di Scipione« zum ersten Mal überhaupt bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wurde und der sich für zeitgenössische Komponisten wie Jean Françaix, Wilhelm Killmeyer, Giselher Klebe und Alfred Schnittke einsetzte, leitete in der Reutlinger Stadthalle ein Sinfoniekonzert. WPR-Chefdirigentin Ariane Matiakh, die bei ihm studiert hat, hatte den Kontakt zu dem gebürtigen Salzburger hergestellt.
Hager, mittlerweile 89 Jahre alt, gab mit den Musikerinnen und Musikern eine beeindruckende Vorstellung. Ein Werk mit Solopart gab es an dem Abend nicht. Dafür zwei substanzielle Sinfonien mit - zumindest im zweiten Fall - reichlich Spieldauer. Auf Franz Schuberts Fünfte ließen das Orchester und Leopold Hager Anton Bruckners Sechste folgen, die, nach einer Voraufführung durch Gustav Mahler in stark gekürzter Form, 1901 am Stuttgarter Hoftheater uraufgeführt worden war. Der 1896 gestorbene Bruckner hatte sie nach zweijähriger Arbeit bereits 1881 fertiggestellt.
Kecker Bruckner
Man kann in dem einstündigen Werk ein kurzes Zitat aus Richard Wagners »Tristan und Isolde« entdecken: Im vierten Satz intonieren die Hörner den Beginn von »Isoldes Liebestod«. Wobei der Grundduktus des Satzes heiter ist. Bruckner selbst bezeichnete diese Sinfonie als seine »keckste«. Als Stilmittel zieht sich durch das ganze Werk, dass sich durch die Verwendung der phrygischen Kirchentonleiter der strahlende Klangcharakter der Haupttonart A-Dur eintrübt.
Vom Orchester eindrücklich gestaltet war nicht zuletzt der ewig pulsierende Rhythmus, der bereits den Beginn des Kopfsatzes mit scharf akzentuierten Noten auf Cis in den Violinen prägte. Anders als bei anderen Sinfonien hat Bruckner die Komposition nicht nachträglich - nach Anregungen von außen - geglättet. So ist die seinem Personalstil entsprechende blockhafte Aneinanderreihung von Abschnitten erhalten geblieben.
Auftrumpfen im Fortissimo
Hager und dem Orchester gelang es, die Umschwünge auch tatsächlich abrupt klingen zu lassen - wie bei Registerwechseln auf der Orgel, mit der Bruckner bestens vertraut war. Packend das Auftrumpfen im Fortissimo in den strahlenden Trompeten, gestützt vom restlichen Blech, effektvoll die satte Streicherkantilene, die erst leise in tiefer Lage, dann zusammen mit den Holzbläsern im Forte eine Oktave höher erklang.
Grüblerisch und innig geriet das Adagio. Aber auch mit Sogkraft. Mit aufblühendem Streicherklang, der Schwere eines Trauermarsches und traumverhangenem Schluss. Das Scherzo fesselte mit seinem pochenden Grundrhythmus und schmetternden Fanfarenklängen, das Trio mit einem Pizzicato der Streicher zu Beginn und antwortenden Hörnerrufen. Im Finale machte das Orchester den Wandel von a-Moll zum festlichen Dur zum Erlebnis, faszinierte mit bohrenden, kreisenden Figuren. Die in der Coda dem Weihevollen, Majestätischen Platz machten.
Emotionale Brüche
Vor der Pause hatten der Dirigent und das hellwach auf ihn reagierende Orchester mit der Darbietung von Schuberts Fünfter beeindruckt. Dem Werk eines 19-Jährigen, für ein Liebhaberorchester komponiert. Mit graziler Leichtigkeit, die sich in einem beschwingten Hauptthema mit Ohrwurm-Qualitäten im ersten Satz zeigte. Wunderbar umgesetzt von der Württembergischen Philharmonie. Die sich auch auf ein inniges Andante mit kantablem Hauptthema und emotionalen Brüchen in Form einer harmonischen Rückung und eines entrückten Tonfalls verstand. Schön, wie der langsame Satz mit einem absteigenden Dreiklangsmotiv in den Hörnern friedvoll im Pianissimo verklang.
Mit gut gewählten Tempi und klarer Zeichengebung ging es ins Menuett und Finale. Das eine derb-ländlerisch - mit zart koloriertem Trio. Das andere tänzerisch-verspielt, mit eindrucksvollem Kipppunkt ins Dramatische, aufgeregten Streichertremoli, synkopierten Rhythmen und scharfen Akzenten. Diese Musik mündete in ein offenes Ende, »als ob Schubert seine musikalische Geschichte nochmals von Neuem erzählen müsste«, wie Nikolaus Harnoncourt es formuliert hat. (GEA)