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Zugabe mit Glasorgel und Humor: »Encore!« im Reutlinger franz.K

»Encore!« hieß am Freitagabend die Zugabe zu zwei Reutlinger Kunst- und Pop-Events. Drei Bands und eine Künstlerin kamen ins franz.K.

Los Barbapapas aus São Paulo lassen die Gläser klingen.
Los Barbapapas aus São Paulo lassen die Gläser klingen. Foto: Thomas Morawitzky
Los Barbapapas aus São Paulo lassen die Gläser klingen.
Foto: Thomas Morawitzky

REUTLINGEN. Es war einmal der Kunstraum Vitamin, es war einmal Flamingo Artspace. Beides zunächst in einem Hinterhof in der Echazstraße, der Kunstraum später dann auch mehrfach im Kunstmuseum Reutlingen. Beides ist Geschichte, die Möglichkeiten einer Fortsetzung sind in beiden Fällen nicht mehr gegeben – aber am Freitag gab es die Zugabe zum Kunst- und Pop-Event, die erste, wünschenswerterweise nicht die letzte.

Vitamin und Flamingo sind Vergangenheit, da Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen. Geblieben ist von dieser Gruppe der Macher nur Michael Heuser. Er tat sich zusammen mit Armin Schmidt, der bislang für die Soundtechnik der Events gesorgt hatte. »Wir haben aufgehört, weil wir keine Räumlichkeiten mehr hatten und schließlich auch keine Kompromisse mehr eingehen wollten«, sagt Heuser. »Es kamen aber immer wieder Leute auf mich zu, die fragten, wann wir wieder etwas machen würden.«

Tanz zu wild exotischer Musik

Auch eine Veranstaltung im franz.K stellt einen Kompromiss dar, auch dort ist das Event zu Gast, kann nicht ausschließlich mit dem Ort identifiziert werden, und sein künstlerischer Aspekt kommt weniger zur Geltung. Frühere Mitstreiter konnte Michael Heuser nicht für das Projekt gewinnen, der alte Name sollte nicht verwendet werden, das Team vom franz.K jedoch erwies sich als sehr entgegenkommend – und deshalb ist das Foyer des Clubs am Freitagabend nun Kunstraum und Ort ganz ungewöhnlicher Konzerte. Unterstützung erhielt Michael Heuser von Pedro Goncalves Crescenti, Bassist der mittlerweile gut bekannten Band International Music, die einst im Kunstraum Vitamin auftrat – er empfahl ihm Os Barbapapas, eine Band aus São Paulo, noch nie zuvor auf Tour in Europa. Und deshalb tanzt das Publikum der Zugabe im franz.K am schon etwas späteren Freitagabend zur wild exotischen Musik.

Os Barbapapas haben sich benannt nach einer seltsamen französischen Cartoonfamilie der 1970er-Jahre. Sie tragen Rot, sie sehen aus, als hätten sie 50 Jahre übersprungen, sie spielen eine sehr tanzbare exotische Musik, die augenblicklich Stimmung ins Foyer bringt. »Enigma«, das erste Album dieser Band bei Fun in the Church, einem Sublabel von Staatsakt, erschien 2023; Os Barbapapas sind nun unterwegs in Deutschland, sorgten schon allerorten für erfreutes Staunen, auch im Kampnagel, Hamburg, und das mit gutem Grund: Ihre heißblütige Weltraummusik kommt mit Glasharfe daher, manchmal auch mit singender Säge und anderen besonderen Instrumenten, sie klingt hell in den Ohren und fährt in die Beine.

Wabernde Gitarreneffekte

Die Band besteht aus der hemmungslosen Schlagzeugerin Barbara Mucciollo, der cleveren Gitarristin Selva Rubens, dem Perkussionisten Fernando Lima und aus Tomás Oliveira, der auf der kleinen Bühne im franz.K vor einem großen Sortiment aus halb befüllten Trinkgläsern unterschiedlicher Form steht, bärtig, in rotem Samtmantel, enigmatischen Schmuck um den Hals, und seine Finger wie ein Magier über die Glasränder tanzen lässt. Über die tropischen Rhythmen der Band, über ihre wabernden Gitarreneffekte und knappen Riffs hinweg tanzt der Klang des zerbrechlichsten Instruments wie ein Kiesel über schillerndes Wasser.

Sinem kommt aus der Münchner Musikszene nach Reutlingen und spielt am etwas späteren Abend ihre eigene Mischung aus Tradition und Gegenwart: Eine kleine, energische Frau, die etwas abseits ihrer Band im Halbschatten steht und türkische Folklore mit Post Punk verbindet. Dews– die Sängerin Pola Levy und der Multiinstrumentalist Maurice Meyer – werden später mit sphärischem Pop aus Hamburg auftreten.

Eigentlich Bühnenbildnerin

Derweil gehen Besucher vorbei an der kleinen Ausstellung, die Leni Wimmer aus Andechs in Niederbayern in einer Nische am Eingang zum Club aufgebaut hat. »Eigentlich«, sagt die Künstlerin, »bin ich Bühnenbildnerin. Das heißt, ich arbeite nach einem Text oder einer Komposition.« Beides hat sie im franz.K nicht. Die Dinge, die sie zeigt, sollen also einen Text evozieren. Der entsteht möglicherweise im Blick des Betrachters, wobei die Künstlerin doch auch gerne Hinweise gibt: Humor, sagt sie, sei das Thema ihrer Ausstellung. Da findet sich beispielsweise ein Schnitt durch Schichten aus verschiedenen Materialien hinter Glas – Schichten des Humors: »Tiefgründig, oberflächlich, unangemessen schmutzig, mit ein paar richtigen Knallern« – die Luftpolsterfolie, die sich tief unten verbirgt. Über allem gucken zwei Puppenaugen ohne Gesicht komisch. Der Betrachter findet eine halb ausgegrabene Schnupftabakdose, trifft einen lachenden Ziegel, der auf einem Kupferblech liegt, betrachtet abstrakte Gemälde, die sich in Kisten verstecken, entdeckt das zusammengefaltete Kostüm eines Harlekins.

»Humor«, sagt die Künstlerin, die als Bühnenbildnerin auch schon ein Monty-Python-Musical ausgestattet hat, »ist in der Kunstgeschichte eigentlich verpönt. Dabei hat auch Picasso sicherlich nicht alles ernst gemeint.« (GEA)