MAASTRICHT. André Rieu ist mit seiner Geige der »König des Walzers«. Vor 30 Jahren begann seine Karriere. Er hat bereits in Fußballstadien gespielt, bei Autorennen performt und war 2023 beim Papst. 2025 wird Rieu auf große Deutschlandtournee gehen, mit einem neuem Programm und seinem 60-köpfigen Orchester. Am 24. Januar ist Station in der Stuttgarter Schleyerhalle. Vor seinem 75. Geburtstag hat der GEA den Star auf seinem Schloss im niederländischen Maastricht getroffen.
Herr Rieu, Sie werden wie ein Popstar gefeiert. Sind Sie der Robbie Williams der Klassik?
André Rieu: Nein. (lacht) Ich sehe mich als Musiker, der klassische Musik macht. Ich spiele Geige und leite ein Orchester. Aber ich öffne mich mehr. Mein Hauptziel ist es, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Ich möchte die Menschen berühren, was auch immer passiert.
Sie sprechen viel mit dem Publikum…
Rieu: Ganz genau. Ich moderiere und beziehe die Zuschauer mit ein, das ist sehr wichtig. Ein Beispiel: In Maastricht habe ich im Sommer »Pini di Roma« von Ottorino Respighi gespielt, mit 400 Bläsern, ein wunderbares, aber schwieriges Stück. Ich erkläre dann, dass um fünf Uhr morgens der Nebel noch über der Via Appia liegt, dass die römischen Legionen sich der Stadt nähern, dass man das hört in der Musik, und später auch hört wie sie im Triumph Rom erreichen. Dann spielen wir die Musik, und ich merke, dass die Zuschauer es genossen haben.
Bei Konzerten ist es inzwischen so, dass die Zuschauer es fast immer durch ihr Handy verfolgen. Wie denken Sie darüber?
Rieu: Ich rege mich darüber nicht auf. Ich mache bei meinen Konzerten immer Zugaben. Ich baue das Konzert auf, und irgendwann kommt die Explosion. Meine Konzerte sind wie Sex. Und während der Zugaben sind die Leute so mitgerissen, dass sie nicht mehr filmen.
»Ich bin der Boss - aber auch der Vater für alle«
Wie streng sind Sie zu sich selbst?
Rieu: Meine Frau Marjorie sagt immer: »Du bist zu streng zu dir.« Sie kennt mich gut. (lacht) Wenn ich vor meinem Orchester stehe, bin ich total streng. Ich bin der Boss, aber auch ein Vater für alle.
Seit 49 Jahren sind Sie verheiratet. Was ist das Geheimnis Ihrer Liebe?
Rieu: Wir denken oft im selben Moment dasselbe. Wenn wir etwas im Fernsehen sehen, sage ich etwas, und sie antwortet: »Das wollte ich gerade auch sagen.« Auch bei allen wichtigen Entscheidungen waren wir uns immer einig. Wir haben uns stets respektvoll behandelt und konnten uns auch loslassen. Wenn man das alles beachtet, funktioniert es ziemlich gut.
»Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht über Nacht zu bleiben, aber es hat nicht geklappt«
Sie haben sich auf einer Party Ihrer Schwester kennengelernt.
Rieu: Richtig. Ich war 13 und sie 15. Ich wusste, wo sie wohnt, und plötzlich wurde es mehr. Zwölf Jahre später kam sie mit ihrem kleinen Auto nach Brüssel, wo ich studierte. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht über Nacht zu bleiben, aber es hat nicht geklappt. Sie ist geblieben. (lacht laut)
Sie leben in einem Schloss, sind aber dennoch ein bodenständiger Mensch. Was ist für Sie Luxus? Ungestört durch Maastricht zu gehen?
Rieu: In Maastricht geht das ganz gut. In anderen Städten ist das schwieriger. Aber vor allem ist Zeit für mich Luxus. Ich werde oft gefragt: »Warum wohnst du nicht in London oder Paris?« Aber der Verkehr in London ist furchtbar. In Maastricht brauche ich zehn Minuten zum Flughafen und zehn Minuten zu meinem Studio. Das ist prima so.
»Ich habe schon als Kind gerne mitgekocht, später dann alleine«
Sie lieben es, zu kochen und zu backen und sollen darin richtig gut sein. Ihr Lieblingsgericht ist »Kroonsele met Sjoem«, eine Sahnetorte mit Stachelbeeren.
Rieu: Oh ja, lecker. Ich habe schon als Kind gerne mitgekocht, später dann alleine. Zum Thema Backen gibt es eine lustige Geschichte: Nach den Konzerten kann ich schwer einschlafen, also schaue ich mir auf dem Handy kleine Back-Filmchen an. Während Corona hatte ich dann die Zeit, all diese Filmchen in die Tat umzusetzen.
Vor 30 Jahren begann es bei Ihnen. Damals spielten Sie in Amsterdam in der Halbzeitpause des Spiels Ajax gegen den FC Bayern. Sie hatten vorher gesagt, dass Sie den Rasen nur betreten würden, wenn Ajax führt.
Rieu: Stimmt. Zum Glück stand es schon 3:1. Wenn Ajax nicht vorne gelegen hätte, wäre es nicht schön geworden. Aber zum Glück waren die Fans bereits zur Pause euphorisch. Ich bin großer Ajax-Fan. Ich spielte den berühmten »Second Waltz« von Schostakowitsch. Das Album hatte sich über 900.000 Mal in den Niederlanden verkauft. Das war mein Durchbruch.
»Ich bin auch nur ein Mann und denke: 'Zieh das Mädchen schön an!'«
Ein Konzert von André Rieu zeichnet sich nicht nur durch die Musik aus, sondern auch durch aufwendige Kostüme und eine opulente Bühnenkonstruktion.
Rieu: In den meisten Orchestern sitzen die Musikerinnen in schwarzen Kleidern auf der Bühne und spielen die schönste Musik, die es gibt. Aber sie gucken oft, als ob sie schon tot wären. Ich bin auch nur ein Mann und denke mir: »Zieh das Mädchen schön an!« (lacht) Die Musikerinnen lieben ihre Kleider, in die ich auch viel investiere.
Wie laufen die Vorbereitungen für eine so große Tour wie Deutschland 2025 ab?
Rieu: Ich bin der Boss, sehe und höre bei den Proben alle Details, die nicht stimmen und die wir verbessern können. Ich bin Perfektionist. Bis zum ersten Konzert ist immer noch Anspannung da.
»Mit eigenen Köchen ist es fantastisch. Und es spart Zeit«
Sie besitzen alle Instrumente und Bühnenaufbauten vierfach, um Transportzeiten zu überbrücken. Zum Team gehören auch sieben eigene Köche, ein Arzt und ein Fitnesstrainer. Fällt es bei diesem Aufwand noch leicht, realistisch zu bleiben?
Rieu: Ja. Ich habe das alles so gewollt. Ich mache jeden Tag Sport, und einen Arzt auf Tournee dabei zu haben, war auch meine Idee. Ebenso die Köche. Ich trage Verantwortung für meine Leute. Zu Beginn meiner Karriere haben wir mal irgendwo gegessen und die Hälfte des Orchesters war krank. Da sagte ich mir: »Das machen wir anders.« Und mit eigenen Köchen ist es fantastisch. Es spart Zeit. Um 15.30 Uhr Ankunft im Venue, dann Soundcheck, und danach wird gegessen. Da ist wieder die Disziplin. Wir sind wie ein Wanderzirkus, und das Essen muss top sein. (lacht)
War es damals wichtig, dass Ihr Vater Sie dazu getrieben hat, Geige spielen zu lernen?
Rieu: Ich wurde nicht gezwungen, Geige zu spielen; das kam von selbst. Die ursprüngliche Idee stammte von meiner Mutter: Sie war der Meinung, dass die Geige perfekt für mich sei. Mein Vater hat sich nie für mich interessiert. Wir waren sechs Kinder, und meine große Schwester war die Göttin, alles drehte sich um sie. Aber meine erste Geigenlehrerin war eine 18-jährige Blondine, und ich war in sie verliebt. (lacht)
Ihr Vater war sehr streng. Wie äußerte sich das?
Rieu: Seine Strenge war sehr merkwürdig. Für ihn oder meine Mutter gab es mich nicht, die dachten, aus mir wird nie was. Bis heute kann ich nicht verstehen, warum. Ich bin dann meinen eigenen Weg gegangen. Erst meine Frau hat mir beigebracht, an mich selbst zu glauben. Ohne sie würde ich in der Gosse liegen.
»Ich bin der klassische Opa. Ich verwöhne meine Enkel - natürlich!«
Sie haben zwei Söhne und fünf Enkel. Was machen Sie am liebsten mit den Enkeln?
Rieu: Ich bin der klassische Opa. (lacht) Ich verwöhne meine Enkel - natürlich. Das geht gar nicht anders. Um es musikalisch zu sagen: Mein Vater war Dirigent, zu Hause gab es nur klassische Musik. Da gab es nicht die Beatles oder die Rolling Stones. Wenn meine Enkel mit mir im Auto sitzen, dann fragen sie mich immer: »Opa, darf ich bitte meine Playlist spielen?« Natürlich…
Sie sind ein sozialer Mensch. Nach einem Ihrer Konzerte in Maastricht erlitt in diesem Jahr ein Mann im Hotel einen Herzinfarkt. Sie haben ihn danach in der Klinik besucht.
Rieu: Ich habe recherchiert, wer das war und ihn besucht. Es war ein Deutscher, und es ist schrecklich, wenn so etwas passiert, zum Glück geht es ihm wieder gut. Ein anderer Mann kam aus Südafrika, hatte Covid und ist gestorben. Ich habe ein kleines Video für ihn und seine Familie gemacht. Ich finde so etwas wichtig.
Ihre aktuelle DVD trägt den Titel »Love Is All Around«. Wie schwer fällt es Ihnen bei der aktuellen Weltlage, daran zu glauben?
Rieu: Ich interessiere mich sehr für Geschichte und lese viel. Ich liebe die Stadt Rom und mache dort jedes Jahr Urlaub. Vor 2.000 Jahren haben die Römer Sklaven wie Fliegen getötet. Da sind wir schon weitergekommen. Natürlich ist der Ukraine-Krieg schrecklich, aber ich wehre mich dagegen, dass wir uns nur noch runterziehen lassen. Es ist nicht alles nur schlecht. Mich würde interessieren, ob es möglich ist, einen Staat nur auf Freundschaft und Liebe zu gründen. Ich denke, die Musik kann dabei helfen. (GEA)