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Zitternd vor Liebe: Ludwigsburger Schlossfestspiele starten im Forum am Schlosspark

Die letzten Ludwigsburger Schlossfestspiele unter der Leitung von Jochen Sandig sind mit Hommagen an die Liebe gestartet, von Hector Berlioz und der kanadischen Komponistin Cassandra Miller. Kulturstaatsministerin Claudia Roth brach eine Lanze für die Festspiele. Dennoch ist es auch für das Festspielorchester die letzte Saison.

Lawrence Power spürt im Bratschenkonzert von Cassandra Miller dem zerbrechlichen Gefühl der Liebe nach.
Lawrence Power spürt im Bratschenkonzert von Cassandra Miller dem zerbrechlichen Gefühl der Liebe nach. Foto: Armin Knauer
Lawrence Power spürt im Bratschenkonzert von Cassandra Miller dem zerbrechlichen Gefühl der Liebe nach.
Foto: Armin Knauer

LUDWIGSBURG. Es sind seine letzten Schlossfestspiele, die Jochen Sandig am vergangenen Samstag im Ludwigsburger Forum am Schlosspark eröffnet. Und noch einmal schlägt er den Bogen zum großen Ganzen. Fünf Jahre lang ging es ihm um mehr als nur Musik. Um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, um die Verantwortung für den Planeten, um ein besseres Miteinander. Für ein Kinderkonzert in der Ukraine hat er im vergangenen Jahr sammeln lassen, das nun in Charkiw im Keller über die Bühne gehen musste wegen der Bombardierung durch Russland. Eine dreijährige Bundesförderung hatte er für seinen großen Festival-Entwurf an Land gezogen. Die lief aus, weder Land noch Stadt sahen sich in der Lage, einzuspringen. Weshalb Sandig nicht verlängerte. Auch für das Festivalorchester wird es die letzte Saison, auch der wunderbare Klangkörper fällt dem Rotstift zum Opfer.

Zur Eröffnung seiner letzten Saison hat Festspielleiter Jochen Sandig noch einmal das große Ganze im Blick.
Zur Eröffnung seiner letzten Saison hat Festspielleiter Jochen Sandig noch einmal das große Ganze im Blick. Foto: Armin Knauer
Zur Eröffnung seiner letzten Saison hat Festspielleiter Jochen Sandig noch einmal das große Ganze im Blick.
Foto: Armin Knauer

Schon diesmal sind die Festspiele gekürzt, fangen einen Monat später an als sonst. Noch einmal rüttelt Sandig auf, schlägt eine Brücke zur Klimakrise, zur in Belarus inhaftierten Musikerin und Demokratie-Aktivistin Maryja Kalesnikawa. Noch einmal beschwört er ein besseres Miteinander; nicht zufällig drehen sich die Hauptwerke des Abends um die Liebe: als zerbrechliches Gut im Bratschenkonzert von Cassandra Miller, als Fiebervision beim Franzosen Hector Berlioz.

Claudia Roths Appell

Zuvor jedoch tritt Claudia Roth ans Rednerpult, die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung. »Jochen, du hast hier Maßstäbe gesetzt!«, ruft sie ihrem langjährigen Bekannten zu. Erinnert an sein Programm der Förderung von Dirigentinnen, Komponistinnen, Solistinnen, erinnert an seine Verknüpfung von Kultur und Demokratie, an inklusive, niederschwellige Programme. Fast so, als könne sie Landesregierung oder Stadtrat doch noch umstimmen - doch die Beschlüsse sind gefallen. So liegt über dem Konzert ein Hauch Wehmut. Was für ein toller Klangkörper diese Festivalorchester doch ist: farbig, durchsichtig, wach. Ein Jammer, dass er nach dieser Saison abgewickelt wird.

Kämpferisch und engagiert: Claudia Roth bei ihrer Ansprache zur Eröffnung der Ludwigsburger Festspiele.
Kämpferisch und engagiert: Claudia Roth bei ihrer Ansprache zur Eröffnung der Ludwigsburger Festspiele. Foto: Armin Knauer
Kämpferisch und engagiert: Claudia Roth bei ihrer Ansprache zur Eröffnung der Ludwigsburger Festspiele.
Foto: Armin Knauer

Das Eröffnungskonzert ist ein Beispiel, wie Sandig es versteht, sein Menschheitsmission in spannende Programme umzusetzen. Zwei Fanfaren eröffnen die zwei Hälften: Im ersten Teil rückt Aaron Coplans berühmte »Fanfare for the Common Man« gerade, dass jeder einzelne wichtig ist. Genau Sandigs Programm. Im zweiten Teil fragt Joan Tower mit ihrer »Fanfare for the Uncommon Woman«, was die Welt wohl wäre ohne ungewöhnliche Frauen. Klar, erhaben, mit energischen Paukenschlägen stellen die Blechbläser und Schlagwerker des Orchesters Coplands Botschaft in den Raum. Bei Joan Tower mischt sich das Kapriziöse, Exzentrische hinzu, als faszinierender Raumklang rings um das Publikum herum geblasen.

Farbstarke Fieberfantasie

Es ist ein Konzert, das dem Hass, der Polarisierung und dem Krieg das Prinzip der Liebe entgegenhält. Nicht als heile Welt, sondern in all seiner Widersprüchlichkeit. In Berlioz' »Symphonie fantastique« kippt zarte Sehnsucht in eine wilde Hexensabbat-Vision. Ein Genuss, wie der US-amerikanische Dirigent Ryan McAdams, die Kontraste dieser flirrenden Fieberwahnbilder ausmalt. Hier die Sehnsuchtsmotive der Geigen, die dunkle Melancholie der Celli und Bratschen, die Liebesseufzer der Klarinette - dort die gespenstische Fahlheit der Schafott-Szene, das irre Keifen der hohen Klarinette im Hexensabatt, die dröhnenden »Dies irae«-Motive der Tuben. Dazwischen Momente der Ruhe, die einsamen Alphornrufe von Englischhorn und der im Rücken des Publikums platzierten Oboe. Alles mit großer Präzision und Hingabe gezeichnet.

Monolog einer bebenden Seele

Das Wunder ist jedoch das Bratschenkonzert der in Großbritannien lebenden Kanadierin Cassandra Miller. Der Titel »I cannot love without trembling« (»Ich kann nicht lieben, ohne zu zittern«) - ein Zitat der französischen Philosophin Simone Weil - ist Programm. Solist Lawrence Power spürt mit Miller dem feinsten Beben der Emotion nach. Powers Bratsche haucht, glimmt, raunt, summt und singt. Sein Ton saugt sich mit Intensität voll, lässt Folkgefühl ahnen, den Nachhall irischer Tanzböden, die Schatten weltverlorener Grab- und Liebesverse. Am Ende gleitet Power in einen weitgespannten Monolog, scheint die Töne zu befühlen wie die Fasern des eigenen Fühlens.

Stürmisch bejubelt bei der Eröffnung der Schlossfestspiele: (von links) Dirigent Ryan McAdams, Komponistin Cassandra Miller und
Stürmisch bejubelt bei der Eröffnung der Schlossfestspiele: (von links) Dirigent Ryan McAdams, Komponistin Cassandra Miller und Bratschensolist Lawrence Power. Foto: Armin Knauer
Stürmisch bejubelt bei der Eröffnung der Schlossfestspiele: (von links) Dirigent Ryan McAdams, Komponistin Cassandra Miller und Bratschensolist Lawrence Power.
Foto: Armin Knauer

Das Orchester bettet diesen Monolog einer bebenden Seele auf schwebende Klangfelder. Anfangs nur ein zartes Harfenflüstern, am Ende gestrichene Vibrafonplatten, die wie Glasharfe klingen. Dazwischen Klangwolken von Streichern, Bläsern, Schlagwerk, mal rauschend wie Meeresbrandung, mal durchscheinend wie Seide. Leise tremolierte Röhrenglocken erzeugen ein wundersames Leuchten, zart anzgezupfte Streicherakkorde knistern wie Sommerluft. Eine magisch-meditative Klanglandschaft entfaltet sich da: Neue Musik kann auch extrem klangsinnlich sein.

Bleibt zu hoffen, dass Millers und Sandigs Appell für mehr Menschlichkeit nicht verhallt. Und dass Sandigs Nachfolger, der Musik- und Theaterwissenschaftler Lucas Reutter, seit 2011 künstlerischer Leiter des Forums am Schlosspark, das Festival auch in finanziell engeren Zeiten weiter zu einem Zentrum der Kreativität macht. (GEA)