REUTLINGEN. Manchmal werfen Dramaturgie und Programmplanung eines als »Liederabend« angekündigten Konzerts unbeantwortete Fragen auf. So wie jüngst Eleonore Hochmuth mit ihrem Zarah-Leander-Rezital im Reutlinger Pappelgarten. Warum ausgerechnet die Leander? Und wieso gerade jetzt? Und wenn gerade jetzt, weshalb dann so unreflektiert?
"Zarah Leanders dunkles Timbre wird stets mit dunklen Zeiten zusammen gedacht", hieß es in der Ankündigung, und weiter: "Ideologie spielte da keine Rolle für sie". Mit Verlaub: Das ist naiv. Alleine schon Motto und Eingangslied "Heut Abend lad ich mir die Liebe ein" stammen aus einem propagandistischen Film von 1939, der in einem nordafrikanischen Mandatsgebiet spielt. Worauf allerdings weder in einem (nicht ausgelegten) Programmblatt noch in der Moderation von Manfred Menzel Bezug genommen worden ist. Der in charmantem Plauderton die Lebensstufen der noch lange über ihr Todesjahr 1981 hinaus von vielen Fans geschätzten Künstlerin referierte. Jedoch ohne direkte Bezüge zu den vorgetragenen Liedtiteln herzustellen.
Liederauswahl passte nicht immer zu Leanders Lebensjahren
Im Gegenteil: Zum linear erzählten Leben hüpften Hochmuth und ihr rhythmisch sicher klopfender, sattelfest in die Tasten greifender, doch kaum mitgestaltender Klavierbegleiter Habib Benedikt Elias munter zwischen den Entstehungszeiten der Musik hin und her. Wenn etwa der Bericht über die Jahre 1932 bis 36 mit dem Schlager von Bruno Balz »Warum brauchen denn die Männer so viel Liebe« von 1951 verbunden wird. Wobei der Name dieses Textdichters und Komponisten genauso verschwiegen worden ist wie Michael Jary, dessen 1941 entstandenes Stück »Er heißt Waldemar« einen nicht nachvollziehbaren Bezug zu Zarah Leanders schweren Anfangsjahren herstellte. Zu denen genauso wenig Peter Kreuders »Wir reden zu viel von Liebe« von 1959 gehört. Oder der gleich schon als zweite Nummer präsentierte Titel »Eine Frau wird erst schön durch die Liebe« von Theo Mackeben aus der Musik zum Film »Heimat« von 1938.
Dieser Film steht für direkte Einbindung Leanders in die NS-Propaganda. Ähnlich wie der komödiantische Heinz Rühmann, der Kämpfertyp Hans Albers oder die temperamentvoll tanzende Marika Rökk gehörte auch Zarah Leander zu jenen von den NS-Granden geschätzten Unterhaltungskünstlern, die ihrem Publikum reichlich Identifikationsmöglichkeiten zur Aufmunterung und zum Durchhalten boten.
Nur wenig Farben und Varianten bei der Ausdrucksgestaltung
Nichtsdestoweniger belegen erhaltene Film- und Tondokumente den außergewöhnlichen Rang der Künstlerin. Die von ihr gesungenen Lieder wirken noch immer durch ihre emotionale Kraft. Eine Herausforderung also, wenn eine Sängerin von heute wie Eleonore Hochmuth das Remake versucht. Die sich ebenfalls ins Stimmfach des Kontra-Alts einordnet. Dabei durchaus über ein zur Tiefe stabil ausgebautes, fast baritonales Register verfügt, welches ihr jedoch nicht die stimmliche Wucht einer Leander verleiht. Wie auch die Registerwechsel nicht geschmeidig genug funktionieren und die Stimme ab der Mitte nicht die Leuchtkraft des großen Vorbilds entfaltet.
Hinsichtlich der Ausdrucksgestaltung hätte man sich mehr Farben, Varianten in der Phrasierung und Textgestaltung gewünscht. Vom rauchig-luziden Timbre war nur in Spurenelementen etwas zu vernehmen. Und wenn bei den Originalaufnahmen der Wind, der ein Lied erzählt, alleine durch das Mezza di voce bei »Wind« vor dem inneren Auge und Ohr des Hörers eine Meereslandschaft aufgehen lässt, irritierte nun die knappe fast kurzatmige Artikulation der Worte »Wind« oder »zählt« bei nachgerade marschmäßig betonter erster Schlagzeit.
Mit der Entstehungszeit verbunden
Bedenklich schließlich stimmte der Ansatz des Konzerts, die Liedtexte »von der dunklen Zeit ihrer Entstehung zu lösen«. Denn sie sind nun einmal untrennbar mit ihrer Entstehungszeit verbunden. Eine Zeit, deren Ungeist wieder zunehmend an politischer Relevanz und gesellschaftlicher Akzeptanz zu gewinnen sich anschickt. Da hätte man sich vom Moderator mehr Reflexion und kritische Einordnung in die Zeitläufte gewünscht. Was die Kraft der Musik ja nicht geschmälert hätte. (GEA)