STUTTGART. Wilde Staccati treiben Franz Schuberts Ballade »Der Erlkönig« an, umspielt von dramatisch insistierenden Läufen. In der Regel spielt diesen Part ein Klavier. Im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle konnte man das Stück nach Goethes Schauerballade jetzt aber mit Hornquartett hören: Fulminant, was die vier Jungs von German Hornsound auf ihren Instrumenten zu bieten hatten! Höchste Dramatik – aber trotzdem klang’s auch leicht, fluffig und elegant.
Eine gute Idee, mal einen Liederabend von vier Hörnern begleiten zu lassen. Der Tenor Daniel Behle hat das aber natürlich mit Hintergedanken getan. Denn das Thema seines Konzeptkonzerts lautet »Heimat«, und die Assoziationen, die Hörner mit ihrem warmen, weichen, vollen und dunklen Klangbild hervorrufen, führen geradewegs in die Romantik. Und da ist der deutsche Wald nicht weit – ob als Metapher oder Sehnsuchtslandschaft.
Fein ausbalancierter Bläserklang
Vier Hörner – mal im polyfonen Schönklang, mal in zackig-kantigem Marschduktus, mal verspielt und witzig arrangiert – könnten schnell zu laut sein für eine Menschenstimme. Nicht so Christoph Eß, Andrés Eloy Aragón Ayala, Stephan Schottstädt und Timo Steininger. Auch dank gediegener Sinfonieorchestererfahrungen aller vier Musiker gelingen die Balance und die dynamischen Verhältnisse geradezu perfekt. Daniel Behle hat aber auch ein Organ! In Richard Wagners »Gralserzählung« aus dem »Lohengrin« muss man gelegentlich Angst haben, dass er die Hörner übertönt.
Aber dieses Wagner-Pathos ist nur ein Tonfall, den er beherrscht. Denn ihm und Arrangeur Alexander Krampe ist zum Thema »Heimat« ein ganz schön praller Liederabend eingefallen, und da kann er beweisen, wie flexibel, geschmeidig, ausdrucksstark und höhensicher seine Stimme ist: erst in 27 Liedern und dann noch in allerlei Zugaben. Zum Thema »Heimat« gab’s und gibt’s halt viel zu sagen seit der Renaissance, in der schon Heinrich Isaac klagte: »Innsbruck, ich muss dich lassen.« Die Mischung des Abends bringt Erwartbares, aber auch Brüche. Zunächst natürlich Volkslieder: das witzig-pointiert gespielte und angemessen anzüglich gesungene »Ein Jäger aus Kurpfalz« oder das schwer romantisch arrangierte »Kommt ein Vogel geflogen«. Oder das DDR-Pionierlied »Unsre Heimat«, in dem sich wie von selbst der deutsche Wald aufbaut bei so viel Hornromantik. Passt aber, heißt es im Lied doch: »Unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald.«
Aber irgendwann wird es dann düster. Etwa in Kurt Weills nervös-lakonischer Vertonung des Gedichts »Die Flucht«, das Brecht, den Nazis entkommen, im Exil in Finnland geschrieben hat. Etwas irritierend, weil es dazu weder während des Konzerts noch im Programmheft Erläuterungen gab, wirkte in diesem Kontext das »Buchenwaldlied«, einst von Gefangenen dieses Konzentrationslagers der Nationalsozialisten geschrieben.
Wer nicht weiß, dass das Lied auf Befehl eines SS-Offiziers entstanden ist, wird die Zeile »O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist« wohl kaum richtig einordnen können. Behle sang es als einziges Lied des Abends ohne Begleitung. Wirkungsvoll kahl, ganz entbeint.
Erläuterungen hätten gutgetan
Es wäre auch wichtig gewesen, zu erfahren, dass Carlo Sigmund und Erika Taube, von denen das Lied »Jüdisches Kind« stammte, beide in Auschwitz umgebracht wurden. Solche Erläuterungen im Konzert hätten vielleicht auch die zwischendurch von Band zugespielten Rezitationen vom Schauspieler Mario Adorf ersetzen können – allerlei Gedichte und Prosa von Jean Améry bis Theodor Storm, die irgendwann thematische Überfütterungssymptome zur Folge hatten.
Ab und an wurde es auch ironisch bis sarkastisch: etwa in Georg Kreislers Liedsatire »Wien ohne Wiener«. Oder in Daniel Behles eigener Komposition: »Heimat ist dort, wo der Schlüssel passt«. Was eine Definition ist, die man sich eigentlich ganz gut merken kann. (GEA)