WALDENBUCH. Eine Wanduhr, Kleidung oder Besteck – über solche Alltagsgegenstände macht man sich meistens wenig Gedanken. In zwei Ausstellungen im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch ist das anders. In »Meine kleinen Schätze« erzählen Menschen anhand von je zwei Alltagsgegenständen von ihren Migrationserfahrungen. Und in der Schau »ZeitSprünge« werden unter 19 Stichworten jeweils zwei Gegenstände von heute und früher einander gegenübergestellt: zum Beispiel ein Wasserhahn und eine Fritzbox unter dem Titel »Infrastruktur«.
Eines der ersten Ausstellungspaare lädt dazu ein, sich zu überlegen, was »Prestige« bedeutet und wodurch es sichtbar wird. Die Antwort der Ausstellungsmacher für die heutige Zeit: eine goldene Radfelge. Das historische Gegenstück ist eine goldene Radhaube – allerdings eine, die von einer reichen, verheirateten Oberschwäbin getragen wurde. Der Hut stammt aus dem 19. Jahrhundert.
Was brauchbar ist
Jedes Ausstellungspaar ist ein Mosaikstein, der reflektieren lässt: Was hat sich geändert? Was ist gleich geblieben und wird heute nur anders ausgedrückt?
Ein Kontrast, der immer wieder deutlich wird, ist der neue Umgang, teilweise die Verschwendung, von Ressourcen. Neben einer rissigen Markenjeans liegt ein geflicktes Bettzeug, »Wertschätzung« steht daneben. Fast wie ein modernes Kunstwerk ist auf einem Haufen Einwegbesteck viel benutztes Metallbesteck drapiert. Eindrucksvoll ist auch der Würfel aus modernem, gepresstem Schrott, der vor einem alten Schrank steht. Der Schrank ist Teil der »Kruscht-Ecke« aus dem Haus eines Nebenerwerbsbauern aus Enzweihingen. Dieser hat bis 1983 Dinge angesammelt, die in den Augen vieler anderer wohl Müll wären.
Auch der Einfluss der Digitalisierung ist unübersehbar. An mehreren Stellen steht einem historischen Gegenstand einfach ein i-Pad gegenüber: sei es dem Lexikon oder dem übergroßen eisernen Schlüssel aus dem 18. Jahrhundert, der für »Netzwerk« steht. Unter diesem Schlüssel aus Ellwangen trafen sich regelmäßig Schlosser, um sich auszutauschen oder rechtliche Absprachen zu treffen.
Parallelen zwischen den zwei Alltagswelten gibt es aber dann doch auch: zum Beispiel beim Thema »Vortäuschen«. Hier wurden eine gefälschte Markenhandtasche und ein Kästchen aus dem 17. Jahrhundert ausgewählt. Dieses Wismutkästchen ist aus einfachem Fichtenholz, doch die Malereien aus schimmernder Bleifarbe sollten den Anschein von Metalleinarbeitungen erwecken und größeren Wert vortäuschen. Manchmal liegt eben nicht nur die Schönheit im Auge des Betrachters, sondern auch der Wert.
So ist es auch bei den Gegenständen in der zweiten, kleinen aber feinen Ausstellung im Waldenbucher Schloss. Ein Familienalbum und eine Wanduhr. Diese beiden Gegenstände hat die 25-jährige Merve Uslu ausgewählt, um in der Ausstellung »Meine kleinen Schätze« von ihrer Identität als »Bindeglied zwischen zwei Kulturen« zu erzählen. Die Tafeln der Ausstellung »Meine kleinen Schätze« sind im ganzen Museum verteilt. Auf ihnen ist ein QR-Code, über den man innerhalb weniger Minuten hören kann, welche besondere Bedeutung die Gegenstände haben.
Unbezahlbare Schätze
Die meisten Gegenstände sind selbst nicht da, der QR-Code vermittelt das Eigentliche. Das kommt daher, dass die Ausstellung zunächst nur ein digitales Storytelling-Projekt war. Dieses wurde von SWR 2 und der SWR-Beauftragten für Vielfalt und Integration, Anna Koktsidou, produziert und nun dauerhaft ins Museum überführt.
Die Ethnologiestudentin Uslu setzte sich intensiv mit der Geschichte ihrer Großeltern auseinander, die in den 60ern aus der Türkei nach Deutschland gekommen waren. Sie drehte darüber den Dokumentarfilm »Kismet – Eine Geschichte zwischen Schicksal und Sehnsucht«. Dabei arbeitete sie viel mit Fotos: Darum symbolisiert das Album ihre Bindung zur Türkei. Die alte Wanduhr steht für ihre deutsche Seite. Sie verbindet sie mit einem Zitat ihres Opas: »Ich wollte zwei Jahre in Deutschland bleiben. Die zwei Jahre sind immer noch nicht vorüber.«
Es gibt zwölf weitere solcher Geschichten. Unter den Erzählenden sind auch Politiker wie Muhterem Aras, die baden-württembergische Landtagspräsidentin, oder der gebürtige Bad Uracher Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Özdemirs zwei Gegenstände sind sogar zu sehen: Es sind der Mantel seines Vaters und die große Schere seiner Mutter. Özdemir erzählt sehr persönlich, was diese Gegenstände für ihn bedeuten.
Zum inneren Bild seiner Mutter gehört für Özdemir die Schere, denn die Mutter war Änderungsschneiderin. Sie war es auch, die den Mantel seinem Vater schenkte. Dieser musste oft zur Frühschicht in die Spinnerei und war die Kälte nicht gewohnt.
Als der Vater starb, traute Özdemir sich zunächst nicht, den Mantel anzuziehen. Er wollte ihn auf keinen Fall irgendwo vergessen. Das hätte sich für ihn so angefühlt, wie wenn er den Vater ein zweites Mal verloren hätte. Irgendwann überwand er sich dann aber doch. Nun hat er vor, den inzwischen 57 Jahre alten Mantel seinem Sohn zu vererben. (GEA)

AUSSTELLUNGSINFO
Die Ausstellung »ZeitSprünge« und die Dauerausstellung »Meine kleinen Schätze« sind im Museum der Alltagskultur im Waldenbucher Schloss, Kirchgasse 3 in Waldenbuch, zu besichtigen. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Samstag von 10 bis 17 Uhr und sonntags von 10 bis 18 Uhr. (GEA) www.museum-der-alltagskultur.de
