STUTTGART. Die Musicals in Stuttgart-Möhringen decken nunmehr das komplette klimatische Spektrum ab: Links der Straße herrscht Tropenhitze beim Lianenspektakel »Tarzan« im Palladium-Theater; rechts der Straße klirrt ab sofort nördlicher Frost in der Trickfilm-Adaption »Die Eiskönigin« im Apollo-Theater. Die offizielle Premiere am Dienstagabend wurde von einem mit Promis durchsetzten Publikum stürmisch bejubelt; zuvor hatte es bereits einige Previews gegeben.
Wenn man weiß, dass für »Die Eiskönigin« extra eine riesige LED-Wand ins Apollo-Theater einzog und acht Kilometer Kabel verlegt wurden, liegt der Gedanke nahe, man habe aus der Kinoanimation einen Bühnentrickfilm gemacht. Dieser Versuchung haben Regisseur Michael Grandage und sein Team erfreulicherweise konsequent widerstanden.
Ein Hauch von Barocktheater
Stattdessen setzt die Stuttgarter »Eiskönigin« auf ein Spiel mit seitlich eingeschobenen und von oben herabgelassenen Kulissen, wie es bereits in der Barockzeit in Blüte stand. Was passend ist, weil das Königreich Arendelle hier in einem Fantasie-Skandinavien des 18. Jahrhunderts angesiedelt wird. Dieses Feeling zieht die Produktion stimmig durch, von den mal adeligen, mal der Samentracht entlehnten Kleidern bis hin zu dem an nordische Stabkirchen angelehnten Bühnenprospekt in verwitterter Holzoptik (Kostüm- und Bühnendesign: Christopher Oram). Projektionen werden hier nur eingesetzt, um dieses Kulissenschiebe-Theater in seiner Wirkung zu steigern. Selbst der Eispalast, in den sich die vor ihren magischen Kräften erschreckende Elsa zurückzieht, wird nicht digital gezaubert, sondern durch raffiniert gestaffelte Vorhänge aus Glaskristallen.
Tänzer als Schneesturm
Auch die Inszenierung von Michael Grandage setzt auf analoge Theatertechniken. So wird der Schneesturm im dramatischen Finale von weiß gekleideten Tänzern dargestellt, die um die Hauptfiguren wirbeln. Die Videotechnik dient nur dazu, diese basalen Theatertechniken zu verstärken, indem etwa zusätzlich digitaler Schnee über die Kulissen rieselt.
Die beschworenen Welten sind dabei gerade durch ihre physische Präsenz noch greifbarer: der Königspalast, in den sich Elsa in ihrer Furcht, andere mit ihrer Eiskraft zu verletzen, einschließt in seiner gotischen Strenge genauso wie der filigran funkelnde Eispalast oder die naturhaft-bemooste Waldwelt des Bergvolks.
Diese Konzentration aufs Analoge hat auch Sinn, weil das Stück im Gegensatz zum Akrobatikspektakel »Tarzan« ein ausgesprochenes Schauspielerstück ist. Hier hat man mit Ann Sophie als Elsa und Abla Alaoui als Anna zwei Darstellerinnen gefunden, die das bestechend ausspielen. Alaoui brennt als quirlig-spontane Anna ein herrliches Feuerwerk ab, darstellerisch wie musikalisch. Ann Sophie wiederum bringt die Selbstzweifel der Elsa, ihr Misstrauen gegen die eigene Gefühlswelt, enorm authentisch auf die Bühne. Auch sängerisch: Mit ihrer Stimme, deren leichte Rauheiten und Härten genau zum Charakter passen, lotet sie von sanftem Mitgefühl bis zur klirrend hohen Verzweiflung beeindruckend das ganze Spektrum aus. Lässt dabei das Verletzliche ihrer Persönlichkeit mitschwingen.
Publikumsliebling ist natürlich der Schneemann Olaf. Der hier passend zum Gesamtkonzept von einem offen sichtbaren Puppenspieler gespielt wird. Kaj-Louis Lucke macht das sehr sympathisch. Das Rentier Sven, in dem die Puppenspieler Artem Salastelnyk und Paolo Ava versteckt sind, bleibt hingegen Randfigur.
Jonathan Hamouda Kügler ist ein aufgeweckt-patenter Rentierhalter Kristoff, Simon Loughton ein Prinz Hans, der sich glaubhaft vom Sympathen zum Machtmenschen wandelt, Eric Minsk ein herrlich blasierter Herzog Pitzbühl. Schwungvolle Tanzchoreografien lockern das Geschehen auf; der Bergkrämer darf die »Hygge«, die skandinavische Gemütlichkeit, lustig auf Schwäbisch besingen.
Mitreißende Musik
Die meist am Mainstream-Pop orientierte Musik von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez reißt mit und schafft in den Balladen und Rezitativen Räume für die Darsteller, um ihren Figuren Tiefe zu geben. Eindrucksvoll werden fremde Musikstile mit einbezogen – mittelalterliche Choräle in der Krönungszeremonie, Anklänge an Samengesänge in den Szenen mit dem Bergvolk. Schlüssig wird das in den Gesamtklang integriert. Die neue Produktion ist eine runde Sache. (GEA)
AUFFÜHRUNGSINFO
Das Musical »Die Eiskönigin« läuft im Apollo-Theater in Stuttgart-Möhringen jeweils Dienstag und Mittwoch um 18.30 Uhr, Donnerstag und Freitag um 19 Uhr, Samstag um 14.30 und 19 Uhr, Sonntag um 14 und 18.30 Uhr. (GEA) www.stage-entertainment.de/musicals-shows/die-eiskoenigin-stuttgart