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Aktuell Kleinkunst

Willy Astor zelebriert seine Wortakrobatik in der Reutlinger Stadthalle

Seit Jahrzehnten kennt man Willy Astors ausgetüftelte Pointen: Keiner kann wie er wilde Storys zusammenflunkern, in denen haufenweise Wörter aus einer bestimmten Wortwolke vorkommen, so was wie Autoteile oder Alkohol-Marken. Oder bekannte Pop-Hits mit neuen Texten bedichten. Am Samstagabend brachte er die Menschen in der gut gefüllten Reutlinger Stadthalle ausgiebig zum Lachen.

Das allerbeste Publikum im wunderbaren Reutlingen: Die Stadt hat Willy Astor am Samstagabend sogar in einem Lied besungen. "Reut
Das allerbeste Publikum im wunderbaren Reutlingen: Die Stadt hat Willy Astor am Samstagabend sogar in einem Lied besungen. »Reutlingen, du bist so, wie du bist.« Schlussakkord. »Ein kurzes Lied.« Foto: Jürgen Meyer
Das allerbeste Publikum im wunderbaren Reutlingen: Die Stadt hat Willy Astor am Samstagabend sogar in einem Lied besungen. »Reutlingen, du bist so, wie du bist.« Schlussakkord. »Ein kurzes Lied.«
Foto: Jürgen Meyer

REUTLINGEN. Zu Giganten geht man mit Grummeln im Bauch. Hat er es noch drauf? Oder hat er es eher hinter sich? Bei Willy Astor traf am Samstagabend beides ein bisschen zu. Aber mehr drauf als hinter sich. Die Menschen in der vollen Reutlinger Stadthalle feierten ihn angemessen, wenngleich weniger herzlich als früher. (Wann wird man eigentlich zu alt für Standing Ovations?)

Mit 63 Jahren ist die Markenbildung bei Willy Astor abgeschlossen. Er tut, was er immer tat, und macht das weiterhin grandios. Klar, er hat ja auf dem zweiten Bildungsweg an der Araltankstelle noch seinen Kanister gemacht. Die einen nennen es Wortakrobatik, die anderen Tüftelei. Und natürlich hat es auch mit Musik zu tun. Der gebürtige Münchner kidnappt Melodien und versieht sie mit aberwitzigen neuen Texten und Themen. Daraus baut er Medleys, klampft ironisch und ernst, verbiegt Wörter und wiederholt so manche Pointe, bis die Groschen fallen und genügend Menschen mitlachen.

Bewährtes Material

Mal Text, mal Song, wenig Improvisiertes diesmal: Am Samstagabend setzte er auf allerhand bewährtes Material. Zwar fehlte »Radkäppchen und der böse Golf«, die »Kaulquappensocken« hätte man gern wieder mitgesungen. Doch auch ohne die Greatest Hits war allerhand Wiedererkennbares aus seinen Bühnen-Jahrzehnten dabei. Was auffiel: eine Art Dauerwerbesendung für allerhand Astor-Produkte draußen am Merchandising-Stand. Vermutlich muss so ein »Aloneunderholder« auch ans Alter denken. Und, logisch, auch sein neues Kochbuch ist wieder ausgesprochen schön benannt: »Wir sehn uns vorm Gericht!«

Als Aloneunderholder hat man Personalprobleme, erklärte er beim Auftritt: nämlich Lachkräftemangel. Erst recht seit Corona sei es schwer, Publikum anzulocken. Drum strich er seinem Reutlinger Publikum Hummelhonig ums Maul, dass es eine wahre Pracht war. Er tat so verliebt – um ein Haar hätte er alle mit heimgenommen.

Notfall mit Dudelsack

Zu den neuesten Wunderwerken gehört sein Durchmarsch durch die Welt der Klassik. Egal ob Komponist, Instrument, Interpret: Sie waren zu Dutzenden dabei in der ersten und letzten Folge von »Wolfgang Amadeus Notarzt«. Warum nur ist noch nie jemandem aufgefallen, dass viele Martinshörner mit ihrer Quart ganz ähnlich klingen wie die ersten Töne der Kleinen Nachtmusik? Der Notfall ist ein geplatzter Dudelsack. Und los geht die aberwitzige Reise mit dem Krankenwagner, einem alten Opel Karajan. Man ist mit enormer Gershwindigkeit unterwegs bis zur Vollbrahmsung. Was war passiert? Der Dudelsack war zu lang vor der heißen Ouvertüre gelegen, hatte sich kurz aufgeplustert – und dann machte es scho päng, also: Chopin. Achduliefagott!

War früher auch schon so viel Altherrenwitz? Neulich hat einer mit seiner Zauberflöte in unserer ersten Geigerin keyboard! Dem Patienten, also dem Dudelsack, musste man explizit das Gemächt abtasten, Ei für Ei. Und wenn ein Dudelsack erst wieder fidel wird, endet das Ganze mit einem Notenständer. Na gut.

Am besten berührbar

Am besten ist Astor nicht, wenn er über Pubertiere rappend die Jugend beschwört. Am besten ist er, wenn er als Ü60 zu seinem ziemlich gleich alten Publikum spricht. Sich an seine Jugend erinnert, den Badesee, die Sehnsucht nach einer Freundin. Was ihn damals dazu brachte, Gitarre zu spielen. Hat er sicher schon tausende Male erzählt, trotzdem wirkt er da spür- und berührbar.

Gut ist auch, dass er eigene Rituale pflegt. Am Ende des Abends, nach all den losgetretenen Lach-Lawinen, fängt er die Menschen wieder ein. »Nautilus« heißt das mäandernde Gitarrenstück, mit dem er einen wieder ins Leben entlässt. (GEA)