REUTLINGEN. »Man sieht nur mit dem Herzen gut.« Über 100 Jahre bevor Antoine de Saint-Exupéry diesen Satz in seiner Erzählung »Der kleine Prinz« formulierte, hat der in Stuttgart geborene und mit nur 24 Jahren dort gestorbene Schriftsteller Wilhelm Hauff dies als Essenz in ein Märchen gepackt. »Das kalte Herz« erzählt von einem Verblendeten. Einem, der bereit ist, alles für anstrengungslosen Reichtum und gesellschaftliche Anerkennung zu geben, und sei es das eigene Herz. Durch einen Pakt mit dem Holländermichel, der mit dem Bösen im Bunde steht, bekommt der arme Kohlenbrenner im Schwarzwald Peter Munk stattdessen einen Stein eingesetzt. Und wandelt durch die Welt mit der Rücksichtslosigkeit eines Psychopathen. Er ignoriert die eigene Mutter, erschlägt seine Frau, weil sie sich, als er reich geworden ist, Armen gegenüber barmherzig zeigt.
Ganz so drastisch kommt die Geschichte in »Cold! Das kalte Herz«, das die Regisseurin Karin Eppler als Familienstück am Reutlinger Theater Die Tonne eingerichtet hat, nicht daher. Dort heißt es, Peter Munk hätte seine Frau Lisbeth umgebracht, wenn er sie angetroffen hätte. Das Glasmännlein, der gute Geist in diesem 1827 veröffentlichten Märchen, hat ihr rechtzeitig Schutz gewährt, wie das Publikum in dem frisch uraufgeführten Stück im kleineren der beiden Tonne-Säle in der Jahnstraße beobachten kann.
Teuer erkaufte Erkenntnis
Wenn Peter Munk am Ende überzeugt ist, eines im Leben nicht haben zu wollen, dann ist das ein kaltes Herz. Diese Erkenntnis - auch die, dass er es zuvor versäumt hat, ein guter Mensch zu sein - ist für ihn und seine Umgebung teuer erkauft. Aber wo, wenn nicht in einem Märchen, kann sich durch günstige Fügungen, geheimes Wissen und auch ein Stück weit Magie am Ende alles doch noch zum Guten wenden. Da braucht es - besonders für das junge Publikum - keinen Totschlag im Stück, dessen Folgen dann rückgängig gemacht werden. Das war Karin Eppler wichtig.
Ihre Theaterfassung ist für Zuschauerinnen und Zuschauer ab zehn Jahren empfohlen. Und, ja, empfohlen beziehungsweise ans Herz gelegt werden kann dieser Mix der Darstellungsformen aufs Wärmste. Nicht zuletzt wegen seiner optischen Reize, seiner sinnlichen Qualitäten. Die Produktion wurde von den Videokünstlern von Casa Magica (Sabine Weißinger und Friedrich Förster) ebenso unterstützt wie von der Ausstatterin und Puppenbauerin Iskra Jovanovic-Glavaš. Durch Projektionen, die Wunschbildern, aber auch Schreckensvisionen entsprechen, durch ein inspiriert umgesetztes Ineinandergreifen von Schauspiel, Figurenspiel, Schattenspiel, live geführten Stabfiguren und Film entfaltet die Aufführung eine kraftvolle Wirkung. Erschreckt. Fesselt. Und berührt damit, dass ein Mensch seine Menschlichkeit wiederfindet, dass Selbstentfremdung und böser Zauber gebannt werden.
Schnippische Figur
Hauffs Erzählung ist als an der Schwelle stehend zwischen Romantik und Realismus gedeutet worden. Ottmar Hinz sieht darin ein »subtiles Psychogramm verletzter, verletzender und heilender Männlichkeit«. Das Glasmännlein mag man als Peter Munks Gewissen, seinen moralischen Kompass, sein Über-Ich deuten. Oder, wie Jessica Schultheis es so wunderbar spielt, als sanft lenkende, etwas aufgedrehte, leicht schnippische Figur. Als Lisbeth verkörpert Schultheis zudem einen auf das im menschlichen Miteinander nicht Aufgesetzte, Echte pochenden Typ.
Chrysi Taoussanis gibt der Figur von Peter Munks Mutter Güte und Fürsorge mit und wirkt als der ebenfalls von ihr verkörperte Holländermichel düster und gruselig. Constantin Gerhards als Peter Munk gibt überzeugend den glühenden Träumer und Verletzend-Kaltherzigen.
Atmosphärisch aufgeladen
Dark-Ambient-Klänge und Klangflächen laden die Bühnenerzählung atmosphärisch auf. In Projektionen sind Mia Cabraja, Nikita Nagel und Michel op den Platz als Partypeople zu sehen. Peter Munk will anfangs Teil dieser scheinbar aller materiellen Sorgen enthobenen, von allen anerkannten Gesellschaftsschicht sein. Am Ende zeigt er sich in seinen Träumen und in seinem Verhalten gereift. (GEA)

