REUTLINGEN. Hier die Neuinterpretation eines Klassikers, dort ein zärtliches Personen- und Generationsporträt: Viele der Filme der Französischen Filmtage (noch bis zum 5. November) sind auch im Reutlinger Kino Kamino zu sehen. Zum Teil mit Gästen, die mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Am Freitag waren das beispielsweise der Regisseur und Drehbuchautor Dani Kouyaté und Kameramann Marc De Backer, die ihre Version von »Macbeth«, »Katanga, Tanz der Skorpione«, vorstellten, am Samstag die Filmproduzentin Sandra da Fonseca, die über das Porträt »Ari« sprach.
Sandra da Fonseca hat bereits drei Filme der Regisseurin Léonor Serraille produziert, der die Französischen Filmtage eine Werkschau widmen, darunter auch »Ari«. Ein Film, der, so die erste Idee, das Porträt eines jungen Lehrers, der scheitert, hätte werden können. Oder auch ein Film über Schauspielerinnen und Schauspieler in der Ausbildung. Beides kommt im Film vor. Doch Serraille entwickelte ihr Drehbuch - teilweise noch während des Drehs - in der Auseinandersetzung mit jungen Miminnen und Mimen weiter. Entstanden ist so das Porträt eines jungen Lehrers, aber auch einer ganzen Generation, die auf der Suche nach Erfüllung im Leben ist, sich damit aber teilweise schwertut, weil ihr, wie Ari, ein Stück weit der innere Kompass fehlt. Sätze wie »Ich pass' da nicht rein« oder »Das Leben macht einen kaputt« fallen da. Hinzu kommen sprunghafte Handlungen, spontane Weinanfälle oder Aggressionen, ein Sich-Klammern an Dinge - wobei auch hier das ersehnte Glück ausbleibt.

Léonor Serraille, deren Film »Jeune Femme« 2017 die Caméra d’Or bei den Filmfestspielen von Cannes gewann, begleitet in »Ari« einfühlsam und mit beeindruckenden Dialogszenen das Stolpern junger Menschen im Leben, lässt einen als Zuschauer die Sinnsuche in mit subjektiver Kamera gefilmten Bildern miterleben. Wobei für den angehenden Grundschullehrer Ari an einer Stelle der Knoten platzt, sich neue familiäre Bindungen für ihn auftun.
»Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler haben mit zur Charakterzeichnung beigetragen«, sagte Produzentin Sandra da Fonseca mit Blick auf die Drehbuchentwicklung und den Film. Léonor Serraille habe einzeln mit ihnen Gespräche geführt, um das, was ihnen im Leben wichtig ist, zu ergründen.
Flirt mit dem Theater
Für den burkinischen Regisseur Dani Kouyaté, der in den 1990er-Jahren am Theater Die Tonne Johann Wolfgang von Goethes »Iphigenie auf Tauris« inszeniert hat, war es ein Wiedersehen mit Reutlingen. In faszinierenden Schwarz-Weiß-Bildern erzählt er seine eigene Version von William Shakespeares Drama »Macbeth« und bleibt in seinem Film »Katanga, Tanz der Skorpione« doch nah am Original. Wobei er bewusst mit dem Theater »flirtet«, wie er es nennt.
Die Klassiker, findet er, haben eine humane Tiefe, sind menschlich und universell. Er selbst sieht sich als Teil der Griot-Tradition. Griots, das sind in Teilen Westafrikas berufsmäßige Sänger, Dichter und Instrumentalisten, die epische Texte als Preissänger, Geschichtenerzähler, Lehrer oder rein zur Unterhaltung vortragen, wobei sie durch mündliche Überlieferung traditionelles Wissen weitergeben. »Katanga, Tanz der Skorpione« hat Dani Kouyaté in Mooré, der von weiten Teilen der Bevölkerung Burkina Fasos gesprochenen und verstandenen Sprache, in einem afrikanischen Kontext gedreht.
Gedreht unmittelbar nach einem Staatsstreich
Manche Menschen dort hätten es anfangs nicht glauben können, dass ein Europäer - Shakespeare - eine Geschichte habe erzählen können, die so sehr mit ihren Konflikten und ihrem Leben zu tun habe, sagte Dani Kouyaté im Kamino. Gedreht wurde in Burkina Faso wenige Wochen nach dem letzten Staatsstreich. Das von Macht und Verrat handelnde Drama erhielt den Étalon d’or de Yennenga als bester Film des Panafrikanischen Film- und Fernsehfestivals von Ouagadougou (Burkina Faso).
Der Film zeigt nicht zuletzt Frauen, die sich erfolgreich gegen Machtwillkür stemmen. Ein für Afrika durchaus realistisches Szenario, wie die jüngere Geschichte zeige, so Regisseur Kouyaté. »Wenn die Frauen mit ihren Küchenwerkzeugen auf die Straßen gehen, ist das immer ein schlechtes Zeichen für die Herrscher.« In Mali und Burkina Faso seien Diktatoren im Zuge solcher Proteste gestürzt worden.
Mechanismen der Macht
Der Film ist ästhetisch sehr ansprechend und wirkt, wären Autos, moderne Uniformen und Waffen nicht, fast zeitlos. Eine Parabel, die erhellend grundlegende Mechanismen der Macht aufzeigt. Mit Klängen einer Querflöte (Musik: Dramane Dembélé), die bisweilen zu flüstern scheint. (GEA)

