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Wie Menschen zerbrechen

Das Stuttgarter Staatsschauspiel zeigt mit »Verbrennungen« ein starkes Stück über das Trauma des Kriegs.

Paula Skorupa und Elias Krischke in Burkhard C. Kosminskis Stuttgarter Inszenierung des Stücks »Verbrennungen«.  FOTO: T+T FOTOG
Paula Skorupa und Elias Krischke in Burkhard C. Kosminskis Stuttgarter Inszenierung des Stücks »Verbrennungen«. FOTO: T+T FOTOGRAFIE/TONI SUTER
Paula Skorupa und Elias Krischke in Burkhard C. Kosminskis Stuttgarter Inszenierung des Stücks »Verbrennungen«. FOTO: T+T FOTOGRAFIE/TONI SUTER

STUTTGART. Fünf Jahre hat sie nichts mehr gesprochen vor ihrem Tod, und jetzt hinterlässt sie ihren entnervten Kindern auch noch so ein Testament: Bäuchlings und nackt will Nawal ohne Sarg in die Erde gelegt werden. Zwei Briefe sollen die Zwillinge überreichen: einen an den längst tot geglaubten Vater und einen an den Bruder, von dem sie nie wussten. Sohn Simon reagiert wütend, Tochter Johanna aber macht sich dort auf die Suche, wo ihre Mutter herkam: im Nahen Osten, mitten aus einem jahrzehntealten Bürgerkrieg.

Immer mehr erfährt Johanna über das Trauma, das ihre Mutter ein Leben lang verfolgt hat, bis in das freie Land, wo ihre Kinder in Frieden aufgewachsen sind. Sie hört von Folter, Vergewaltigungen und endloser, sinnloser Rache, lernt ihre Mutter kennen als »die Frau, die singt«, durch alle Folter und alles Leid. Immer entsetzlichere Dinge erfahren Nawals Kinder über ihre eigene Herkunft.

»Verbrennungen« ist ein starkes, spannendes Stück, das als Krimi beginnt, in seinen zahlreichen Rückblenden zum Politdrama wird und mit der Wucht einer griechischen Tragödie endet. Am Stuttgarter Schauspiel hat Intendant Burkhard C. Kosminski das oft gespielte Werk des im Libanon geborenen, frankokanadischen Autors Wajdi Mouawad nüchtern und mit Elementen dokumentarischen Theaters in Szene gesetzt, mit beeindruckenden Darstellern bis in die kleinsten Rollen.

Gespielt wird in weiten Teilen in fremden Sprachen, in Hebräisch, Arabisch und Englisch, die Übersetzungen liest man auf den kargen weißen Flächen, die Florian Ettis Bühnenbild ausmachen. Langsam löst sich der klinisch weiße Boden unter den Füßen aller Beteiligten auf, bis dort nur noch Dreck und Sand ist, einmal fließt Blut in langen Strömen über die Höhe der Bühne herunter.

In fremden Sprachen

Obwohl Evgenia Dodina größtenteils in diesem fremden, rauen Hebräisch spricht, obwohl es auf der Flucht mit ihrer Freundin Sawda (der ebenso eindrucksvollen Salwa Nakkara) oft laut zugeht, macht sie Nawals Verzweiflung spürbar, die endlose Stärke dieser Frau, die zum Schluss todmüde Briefe an ihren Sohn, ihren Folterer, ihre Kinder schreibt.

Bei aller Grausamkeit der Ereignisse weht eine orientalische Traurigkeit, eine Melancholie des Aushaltens durch Mouawads Text. Paula Skorupa und Elias Krischke spielen Nawals geerdete Kinder, Matthias Leja ist der ein wenig versponnene Notar, der den Zwillingen hilft. Starke Porträts voll unterdrückter Wut und stummer Resignation liefern Lilian Barreto, Christiane Roßbach oder Noah Baraa Meskina als die Opfer und auch Täter, denen Johanna und Simon auf ihrer Suche begegnen.

Großartig tänzelt Martin Bruchmann als ein Rockstar des Tötens ins Bild, dem das Abknallen zum Auftritt wird – auch er ist nur ein traumatisiertes Opfer, eine Einlage von äußerstem Zynismus.

»Man weiß nicht mehr, wer auf wen schießt, noch warum. Das ist der Krieg«, sagt einer der Leidtragenden – dem Autor geht es nicht darum, wer Recht hat im Nahostkonflikt, sondern um den endlosen Kreislauf aus Rache und noch mehr Vergeltung, der seine Ursache längst vergessen hat. Immer tiefer steigt das Stück in dieses Grauen hinunter, zeigt wie starke Menschen zerbrechen und zu Killern werden, um selbst zu überleben. Deshalb sind so viele Flüchtlinge traumatisiert, genau wie Simon haben wir keine Ahnung und kein Verständnis für sie.

»Man muss den Faden zerreißen«, sagt Nawal, die dort einst gegen alles Leid gesungen hat und am Ende ihres Lebens nur noch schweigt. Sehr symbolisch fällt ein feiner Regen am Schluss, ob er wirklich alle Verbrennungen heilen kann? (GEA)

 

Weitere Aufführungen: 5., 6., 27. und 28. März