REUTLINGEN. Der rote Faden für das Konzert des Trio Parnassus, zugleich Schlusspunkt der aktuellen Saison des Reutlinger Kammermusikzyklus, wurde von Komponistinnen aus dem 19. Jahrhundert gesponnen. Damals hatten es schaffende Künstlerinnen in allen Genres schwer, im männlich dominierten Kulturbetrieb ernst- oder überhaupt erst einmal wahrgenommen zu werden. Vor allem, wenn sie »nur« aus dem Bürgertum stammten und nicht adeligen Geblüts waren. Etwa wie Wilhelmine, die Schwester Friedrichs II., die als Markgräfin von Bayreuth, lange bevor Richard Wagner seine Nibelungenzwerge vom Rhein an den Roten Main verlegt hatte, Opern ähnlichen Umfangs komponierte und als ihre eigene Intendantin aufführen ließ.
Luise Adolpha Le Beau hatte da schon mehr zu kämpfen. Sie studierte um 1880 bei Joseph Gabriel Rheinberger in München, aber nicht etwa an der Königlichen Musikschule, welcher er vorstand, sondern privat. Denn an den künstlerischen Ausbildungsstätten hatten junge Damen, so begabt sie auch sein mochten, in der Regel keinen Zutritt. Aus diesen Lehrjahren stammt ihr Klaviertrio in d-Moll, mit dem das Trio Parnassus sein Konzert eröffnete. Und interessanterweise standen alle Werke dieses Abends in Moll.
Tänzerisch grundiert
Für stilbewusste Interpreten muss dies ausschlaggebend sein. Denn insbesondere die Molltonarten waren noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein, so bei Mahler oder Strauss, musikalisch-rhetorische Bedeutungsträger. D-Moll galt als dramatische, oft gar als Todes-Tonart. Und dramatisch aufgewühlt fand auch Le Beau den Einstieg in ihr Opus 15. Das Trio Parnassus spielte es bei stets kultivierter Umgebung und Phrasierung. Die solistischen Passagen hatten Julia Galic, Michael Groß und Johann Blanchard genauso makellos im Griff, wie sie beim Begleitwerk die gebotene Zurückhaltung übten. Die auf den Lehrmeister Rheinberger zurückzuführende strenge kontrapunktische Faktur wurde deutlich herausgearbeitet, ohne deswegen in trockene Gelehrsamkeit zu verfallen. Der Schwung insbesondere der raschen Ecksätze durchzog alle Stimmen bis zu den Schlussakkorden. Die weit gesponnenen Melodiebögen im Andante führte die Violinistin sensibel und dankenswerterweise auch mit weniger schluchzenden Portamenti als ihr Kollege am Cello aus, umrahmt von zarten Klaviergirlanden; das Scherzo erklang klar konturiert mit eleganter tänzerischer Grundierung.
Cécile Chaminades gehaltvolle, schon dem Impressionismus nahestehenden Kompositionen als Stücklein abzutun, die sich allenfalls für den Hausmusikgebrauch eignen würden, wie dies noch in der Ausgabe des »New Grove Dictionary of Music and Musicians« aus den 1980er-Jahren nachzulesen ist, ist eine grobe Fehleinschätzung. Ihr Klaviertrio in a-Moll ist ein starkes Werk, besticht durch seine ungewöhnliche Struktur und seinen herben Charakter, der mit süßlich-kitschiger Salonmusik nicht das Geringste zu tun hat. Dies machte das Trio Parnassus mit seiner ausgewogenen Wiedergabe bei fein reduziertem Vibrato im warm verströmenden Mittelsatz und dem energiegeladenen Finale deutlich. Die drei Ausführenden sind dabei den virtuosen Anforderungen vollumfänglich gerecht geworden.
Elegische Violin-Kantilene
Clara Schumanns Klaviertrio op. 17 zählt zu den gewichtigen Werken der Komponistin. Die gewählte Tonart g-Moll steht im Verständnis der Entstehungszeit für den »Ausdruck höchster Leidenschaft im Schmerz«, was schon in der elegischen Violin-Kantilene zum Ausdruck kommt, die dieses Stück eröffnet und als Zentralaffekt durchzieht. Das Trio Parnassus zeichnete ihn ergreifend nach und entfaltete die fast schon symphonischen Verästelungen, die Clara Schumann hier angebracht hatte. Es wurde durchweg facettenreich gestaltet, mit einem sorgfältig platzierten kleinen Rubato hier, einer zarten dynamischen Nuancierung dort und, wo gefordert, mit rhythmisch straffen Akzenten. Dem dramatisch zugespitzten Finalsatz ließ das Trio Parnassus schlussendlich noch eine verträumte Zugabe folgen, »Soir« von Mel Bonis, die eigentlich Mélanie hieß, ihren Vornamen jedoch androgynisierte. Sie wollte ja schließlich von den männlichen Kollegen und Musikkritikern wahr- und ernst genommen werden … (GEA)