Logo
Aktuell Ausstellung

Wer genau ist ein »Reutlinger Künstler«?

Am 2. April öffnet die Schau »Kunst Reutlingen« in den Wandel-Hallen. Da stellt sich eine Frage

Reutlinger Kunst oder nicht? Marienkirche Reutlingen, von CHC Geiselhart 1979 mit Bleistift festgehalten.  FOTO: PRIVAT
Reutlinger Kunst oder nicht? Marienkirche Reutlingen, von CHC Geiselhart 1979 mit Bleistift festgehalten. Foto: Privat
Reutlinger Kunst oder nicht? Marienkirche Reutlingen, von CHC Geiselhart 1979 mit Bleistift festgehalten.
Foto: Privat

REUTLINGEN. Die Schau »Kunst Reutlingen« gehört alle zwei Jahre zu den spektakulären Kulturereignissen der Region. 50 oder mehr Künstler zeigen in Räumen des Kunstmuseums und des Kunstvereins in den Wandel-Hallen Beispiele ihres Schaffens – das nächste Mal ab 2. April. Doch was genau ist »Kunst Reutlingen«? Sprich: Wer genau ist ein »Reutlinger Künstler«?

Diskussionen um die Abgrenzung gab es immer, dieses Jahr noch mehr als sonst, denn die Veranstalter haben die Kriterien enger gezurrt. In die Auswahl soll nur kommen, wer zumindest bis in die letzten drei Jahre im Kreis Reutlingen gewohnt hat oder dort sein Atelier gehabt hat.

Wie immer, wenn man eine Grenze enger zieht, fallen Leute raus. So meldete sich ein konsternierter CHC Geiselhart beim GEA mit der Klage, er fühle sich »heftig ausgegrenzt«. Geiselhart ist in Reutlingen geboren, groß geworden, zur Schule gegangen. Er thematisiert die Stadt seiner Kindheit immer wieder in seiner Kunst. Sein Atelier wie sein Haus liegen jedoch seit Langem in Nehren. Ist der an der Achalm gereifte Altmeister plötzlich kein Reutlinger Künstler mehr?

Bei den Veranstaltern ist man sich des Problems bewusst. Andererseits, verdeutlichen Kunstvereinsleiterin Imke Kannegießer und Kunstmuseums-Vize Johannes Krause-Schenk, muss man die Grenze irgendwo ziehen. Ihnen habe eine Liste vorgelegen mit Künstlern, die in bisherigen Ausgaben in der Auswahl waren. Darunter seien etliche gewesen mit Anschriften weit jenseits der Region. Teils sogar in Berlin. Das habe danach gerufen, aufzuräumen, so Krause-Schenk.

Kannegießer sagt, sie hätte es durchaus reizvoll gefunden, auch junge Künstler aus der Region mit aufzunehmen, die etwa in Berlin studieren. Andererseits sei man bei der letzten Ausgabe von »Kunst Reutlingen« 2020 (die dann Corona zum Opfer fiel) regelrecht mit Einsendungen überschwemmt worden. Was auch für Krause-Schenk ein Argument für stärkere Eingrenzung ist: »Unsere personellen Ressourcen sind nicht unendlich.«

Krause-Schenk sieht zudem einen besonderen Reiz, die Sache auf Kunstwerke zu verengen, die tatsächlich auch im Landkreis selbst entstanden sind. Vorher sei das Konzept eher vage gewesen, »für mich ist Reutlinger Kunst mit diesem Kriterium erst richtig greifbar geworden.« Im Übrigen sei natürlich jede Grenzziehung willkürlich, auch die des Landkreises.

Umstrittenes Wohnort-Kriterium

Kannegießer wiederum sieht die Frage auch vor dem Hintergrund der Problematik, dass es in Reutlingen chronisch wenig Möglichkeiten für die hiesigen Künstler gebe, sich zu präsentieren. »Kunst Reutlingen« sei eine der raren Gelegenheiten, seine Kunst in der Stadt zu zeigen. Es sei daher wichtig, gerade auch diesen Künstlern die Chance zu geben. Und dafür zu sorgen, dass nicht zu viele Bewerber von außerhalb in die Auswahl drängen. Anderswo, etwa im Kreis Tübingen, gebe es oft wesentlich mehr Möglichkeiten für die regionale Szene, sich zu zeigen.

Kannegießer betont zudem, um eine für den Besucher attraktive Ausstellung zu schaffen, gehöre die Begrenzung der Auswahl nun einmal dazu. »Natürlich könnten wir jeden zulassen und hier eine Petersburger Hängung machen. Aber eine schöne Ausstellung wäre das nicht!« Weshalb ihr auch wichtig ist, dass Juroren die Werke bewerten. Und solche, die schwach erscheinen oder nicht in die Gesamtschau passen, auch ablehnen.

So könne auch mal jemand, der schon zig Mal dabei war, mit seiner Bewerbung rausfliegen – und andererseits ein Newcomer plötzlich im Feld landen. Das mache ja den Reiz aus, so Kannegießer. Beim nächsten Mal würden die Karten wieder neu gemischt. Dann werde man auch die Erfahrungen mit der strikteren Grenzziehung diskutieren, versprach Krause-Schenk. Das Ganze sei im Fluss. Das Alter der Künstler in der Auswahl reicht diesmal von 19 bis fast 90 – Newcomer sind genauso dabei wie Routiniers.

Und CHC Geiselhart? Der gehörte seit den 1970er-Jahren zu den Stammgästen der Schau, die damals noch »Reutlinger Künstler« hieß. Als jemand, der in Reutlingen aufwuchs, der Stadt auch später eng verbunden war, empfand er schon die Aufforderung, seinen Bezug zu Reutlingen nachzuweisen, als »doch recht eigenartig«. Er tat es aber, im Wissen, dass den Verantwortlichen auf Veranstalterseite die Hintergründe nicht alle bewusst sein konnten. Punkt für Punkt legte er vor, samt einer umfänglichen Dokumentation seiner Werke mit Reutlingen-Bezug, darunter einer Porträt-Serie Reutlinger Persönlichkeiten von Hermann Bausinger bis Beate Thurow, einst selbst Chefin des Kunstmuseums. Um am Ende doch am Wohnort-Kriterium zu scheitern.

Warum also den Nachweis einer Reutlingen-Bindung einfordern, die man dann doch nicht anerkennt? Die Trennung von seinen Wurzeln schmerzt Geiselhart jedenfalls. So sehr, dass er sich veranlasst sieht, »hiermit meinen Abschied als Reutlinger Künstler zu erklären«.

Imke Kannegießer kann es verstehen, dass die strengeren Kriterien für Ärger sorgen: »Für die, die rausfallen, ist es immer enttäuschend.« Aber ein Kriterium müsse man nun einmal anlegen. »Und egal wie wir’s machen: Am Ende kriegen wir immer auf die Mütze!« (GEA)