BERLIN. Der Musiker und Singer-Songwriter Jesper Munk widmet sich anlässlich des zehnjährigen Jubiläums seines bislang erfolgreichsten Albums »Claim« wieder mehr seinem Frühwerk. Auf seinem im September erschienenen Album »best of … live« - einem zweigeteilten Doppelalbum mit jeweils eigenständigen Livemitschnitten zusammen mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg und seiner Begleitband The Cassette Heads - sind alle seine Evergreens vertreten. Vor seinem Auftritt im Reutlinger franz.K am 26. Oktober spricht er von seinen Einflüssen und der Gegenwart.
GEA: Sie galten zu Beginn als Wunderkind und Erneuerer des Blues. Blues ist heute eine ganz entschiedene Nische und spielt ja weder beim zeitgenössischen R 'n’ B noch beim Hardrock eine Rolle. Woran könnte das liegen? Und worin bestand der Reiz, dort zu beginnen?
Jesper Munk: Ich war natürlich nicht der Erneuerer des Blues oder ein Wunderkind. Fast jede Musik, mit der ich aufgewachsen bin, kam von Blues oder Irish Shanties. Als ich meiner ersten Band beigetreten bin, sind wir schnell bei Blues gelandet. Für mich hat das alles verändert. Blues kam mir einfach wie die ehrlichste, natürlichste Antwort auf die Neuzeit vor und gab mir gleichzeitig einen Rückzugsort, tiefgründig, intim und Kraft schöpfend.
»Musik wurde bei uns zu Hause fast sakral behandelt «
Welche Rolle spielte das Elternhaus für Sie? Ihr Vater ist Musiker, begleitet Ihre Karriere, auch die Münchner Umgebung dürfte sich ausgewirkt haben – welche Einflüsse sind für Sie heute noch spürbar?
Munk: Ich bin durch meine Eltern mit vielen Musikern und musikaffinen Leuten aufgewachsen. Ich durfte viele Konzerte sehen, und Musik wurde zu Hause fast sakral behandelt. Ich bin echt froh über die Perspektive auf und Nähe zur Musik. Jeglicher Zugang zu Musik ist ein Geschenk. Abgesehen davon hatte ich auch noch sauviel Glück, alle Freunde und Mitmusiker meiner ersten Band kennenzulernen. Wir haben uns bis heute sehr beeinflusst, denke ich.
Wie hat sich die deutsche Musikszene seit der Veröffentlichung Ihres Debüts verändert? Welche Tendenzen zeichnen sich ab, wie wirken sich die Kürzungen im Kulturbereich aus?
Munk: Hm, Corona war wohl die offensichtlichste Veränderung im Live-Geschäft. Inzwischen verkauft man als kleine oder mittelgroße Band einfach wenig bis zu wenig Tickets. Vielleicht wurden manche Konzerttraditionen aufgegeben von manchen Freundeskreisen, oder es ist einfach zu wenig Geld da. Wenn Kulturgelder fehlen, erhöhen sich natürlich die dann ungedeckten Kosten der Veranstalter, welche den Musikerinnen und Musikern dann weniger Garantie zahlen können. Ticketpreise gehen hoch, weniger Menschen leisten sich Kultur, Läden schließen, es gibt weniger Live-Musik und Austausch. Es lohnt sich, lokale Künstler zu unterstützen, jede CD, jeder Sticker. Noch extremer empfinde ich seit Jahren den schleichenden Einfluss von Social Media und Streaming Services auf die Kultur, das kann man aber kaum in der Kürze diskutieren.
»Punk, Postpunk und New Wave waren Teil meiner musikalischen Sozialisierung «
Public Display of Affection (P.D.O.A.) und Plattenbau sind zwei Bandprojekte, mit denen Sie gearbeitet haben – überraschend, für jemanden, der erst Blues spielte. Waren Sie auf der Suche? Wonach? Was hat Sie angetrieben, Stile wie Noise, Punk, New Wave zu erkunden? Gibt es hier überhaupt Gemeinsamkeiten mit dem Blues?
Munk: Punk, Postpunk und New Wave waren definitiv schon Teil meiner musikalischen Sozialisierung durch meinen Vater. In meinem eigenen Projekt fand ich aber nicht immer Platz, die Energie unterzubringen. Zu der Zeit, als Maddy (Madeleine Rose, Jesper Munks damalige Ehefrau, d. Red.) und ich P.D.O.A. gegründet haben, hatte ich ehrlich gesagt wenig Lust auf Rampenlicht und viel Lust darauf, Erfahrung zu sammeln. So bin ich dankbarerweise auch bei Plattenbau gelandet - zu der Zeit meine Lieblingsband aus Berlin -, und bei P.D.O.A. übernahm Madeleine Rose die Front. Bis auf Arrangements, andere Technik und deutlich mehr Interaktionen mit den Gitarreneffekten habe ich genauso weiter Gitarre gespielt. Alles Blues, mehr oder weniger.
Bei all diesen Projekten und Bands gab es einen deutlichen Retro-Faktor. Empfinden Sie die Popmusik der Gegenwart, insbesondere in Deutschland, als ungenügend, und wenn ja, weshalb? Was fehlt ihr?
Munk: Ruhe und Diversität, glaub' ich.
2022 veröffentlichten Sie das Album »Taped Heart Sounds« mit Coverversionen. Gehörten Hank Williams, J.J. Cale, Tom Waits, Jacques Brel, Etta Jones und die anderen von Anfang an zu Ihren Vorbildern? Was kann man heute von ihnen lernen?
Munk: Ruhe und Diversität vielleicht schon wieder. Musik im Radio kommt mir heute funktionaler vor als früher, und ich würde mir für meine Kinder mehr Ruhe wünschen.
Auf dem Album »Yesterdaze« (2024) hört man nun eine Musik, die mit einem souligen Retro-Sound, einem Bar-Balladen-Feeling daherkommt, aber zugleich elektronische Momente besitzt, Verfremdungen, die wiederum an eine New-Wave-Ästhetik erinnern. Die Stimme wirkt auch deutlich entfernter, ist stärker mit Hall belegt. Wie kam es zu dieser Mischung?
Munk: Eigentlich haben ein paar Freunde - The Cassette Heads - und ich einfach mit unserem Lieblingsequipment gespielt, und das kam raus. Auf Cassette Tape aufgenommen, Gitarrenpedals zwischen älteren Mikrofonen aufgebaut und live performt.
Zur Person
Jesper Munk, 1992 in München geboren, heute in Berlin lebend, ist Blues-, Soul-, Rock- und Folk-Singer-Songwriter und Gitarrist. Er hat zeitweise seinen Stil geändert, weg vom Blues, hin zu Indiepop, Crooning und Soul. (GEA)
Auf dem Album »best of … live« wird die Distanz wiederum durch ein Orchester konterkariert ...
Munk: Mit einem Orchester performen zu dürfen, stand natürlich auf der Bucket List. Das jetzt noch veröffentlichen zu dürfen, ist eine Riesenehre. Auf der zweiten Vinyl der Doppel-LP spiele ich mit besagten Cassette Heads, und diese werden auch auf Tour dabei sein, das Orchester ist beschäftigt. (lacht)
Sie haben in Interviews bereits über Ihr nächstes Album gesprochen, »Junk« soll es heißen. Was darf man von ihm erwarten?
Munk: Ich wollte dieses Album schon länger machen und habe eine relativ klare Vorstellung, muss nur sehen, wie ich das jetzt aufs Blatt und auf Band bekomme. (GEA)

