REUTLINGEN. Sie sitzt gerade ziemlich einsam in den Wandel-Hallen: Imke Kannegießer, die Leiterin des Kunstvereins Reutlingen, hat zwar all die schönen Arbeiten der Ausstellung »Kunst Reutlingen« um sich herum im Ziegelbau an der Eberhardstraße – aber außer ihr kann sie derzeit niemand anschauen. Für Besucher ist wegen der Corona-Epidemie geschlossen, die anderen Mitarbeiter sind zu Hause. »Jetzt ist es plötzlich ein Vorteil, dass ich kaum Team und wenig Geld habe. So musste ich nicht einen ganzen Stab an Mitarbeitern nach Hause schicken«, sagt Kannegießer. Den Humor hat sie noch nicht verloren.
Ohnehin ist die Lage am Kunstverein nicht ganz so düster wie in vielen anderen Kultureinrichtungen. Eintritt verlangt man für die Ausstellungen hier ohnehin nicht, von daher brechen an dem Ende auch keine Einnahmen weg. »Und die institutionelle Förderung bleibt ja«, erklärt Kannegießer. Stadt und Regierungspräsidium unterstützen die Einrichtung, »das hilft uns über die schwierige Zeit«. Zumindest bei den Personalkosten.
Mittel nur für Soforthilfe
Ungeschoren bleibt der Kunstverein trotzdem nicht. Die institutionelle Förderung deckt nämlich nur den Grundbedarf ab. Die eigentlichen Mittel für die Ausstellungen muss Kannegießer über Drittmittel an Land ziehen. Bei jedem neuen Ausstellungsprojekt heiße es erst einmal Institutionen abklappern, die als Zuschussgeber infrage kommen. Etwa die Kulturstiftungen des Landes oder des Bundes. Eine gängige Praxis bei den Kunstvereinen, wie Kannegießer weiß: »Das machen die meisten dieser Einrichtungen so.«
Das Problem: »Fast alle Stellen, von denen Zuschüsse zu erwarten wären, haben ihre Fördertöpfe wegen der Coronakrise auf Eis gelegt«, erklärt Kannegießer. Die Mittel würden nun vorrangig in die Soforthilfe für Künstler und Einrichtungen umgeleitet, bei denen es momentan um die Existenz geht. Dafür hat Kannegießer großes Verständnis. Nur werde es so enorm schwer, zu planen.
Denn die Planungen laufen ja weiter. Ursprünglich im Mai hätte im Kunstverein eine neue Ausstellung mit dem jungen Hamburger Künstler Gerrit Frohne-Brinkmann eröffnen sollen. Der gelernte Bildhauer arbeitet oft installativ, mit Multimedia oder auch mit Performance. Für seine Schau in Reutlingen wollte er das Thema Feuer und Brände behandeln. Sinnig in einer Zeit, in der sich ein gefährliches Virus wie ein Flächenbrand verbreitet. Der Hamburger hatte eigene Erfahrungen mit einem Wohnungsbrand im heimischen Wohnblock im Hinterkopf. Auch den berühmten Reutlinger Stadtbrand von 1726 wollte er mit einbeziehen.
Die Eröffnung ist nun auf September verschoben. Während die Schau mit der in Berlin lebenden Koreanerin Sunah Choi frühestens im Dezember starten kann. Die Künstlerin, die eine Vertretungsprofessur an der Stuttgarter Kunstakademie hat, greift in ihren Installationen oft architektonische Situationen auf, will in den Wandel-Hallen die Geschichte des Baus als Industriebetrieb einfließen lassen.
Voraussetzung für beide Projekte ist jedoch, dass von irgendwoher Fördermittel fließen. »Im Moment bekomme ich nur Absagen«, seufzt die Kuratorin. Wenn sich das im Laufe des Jahres nicht ändere, stehe sie ohne Ausstellungsmittel da. »Das wird noch spannend!«
Traurig stimmt sie, dass der Kunstverein seine eigentliche Bestimmung derzeit nicht erfüllen kann. »Wir haben ja einen Bildungsauftrag, zwischen dem aktuellen Kunstgeschehen und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Das fällt jetzt gerade weg.«
So hätte es etwa im Rahmen der Ausstellung »Kunst Reutlingen« auch Künstlergespräche geben sollen. Die nun natürlich ausfallen. Einen Rest Hoffnung hat Kannegießer noch, dass in der Schlussphase der Schau Ende April oder Anfang Mai noch etwas möglich ist. Oder dass sich der eine oder andere Künstler übers Internet über seine Werke äußern kann.
Präsenz zeigen im Netz
Einen aufwendigen virtuellen Ausstellungsrundgang im Netz hält sie auf die Schnelle nicht für machbar. Dafür habe der Kunstverein nicht die Mittel, das bleibe den großen Museen vorbehalten. »Die machen das ja oft schon lange und heben das jetzt eben noch etwas mehr hervor.«
Mit einfacheren Mitteln im Internet Präsenz zeigen, das will sie jedoch sehr wohl. Auf Facebook, Instagram und der eigenen Homepage postet sie fleißig, auch immer wieder Häppchen zur aktuellen Ausstellung. »Ich muss nur schauen, dass ich das gut dosiere und mein Pulver nicht auf einmal verschieße.« Auch sonst hat sie genug zu tun. Zu der viel gelobten Ausstellung mit den beiden Berliner Künstlerinnen Sophie Reinhold und Ruth Wolf-Rehfeldt im Herbst 2019 soll es noch einen Katalog geben. Entsprechende Mittel hat Kannegießer bereits 2019 aufgetrieben.
Inzwischen gehen die Planungen an den kommenden Ausstellungen weiter. Und irgendwann wird man hoffentlich wieder Besucher empfangen können – mit allen gesundheitlichen Vorkehrungen. Groß genug sind die Räume ja, dass Gäste auf Distanz gehen können.
»Ich gehe nicht davon aus, dass wir am 20. April wieder öffnen können«, schätzt Kannegießer. »Aber vielleicht zeichnet sich dann ab, ab wann es weitergeht.« Man müsse sich von Etappe zu Etappe vorarbeiten, da ist sie ganz pragmatisch. »Ich bin jedenfalls optimistisch, dass wir im September weitermachen können.«
Der Hunger nach Kultur werde jedenfalls sehr groß sein, wenn es wieder losgeht. Jeder werde Lust haben, Kultur wieder richtig sinnlich zu erfahren, statt nur digital. »Wenn es so weit ist, sollten Kultureinrichtungen wie wir handlungsfähig sein«, betont Kannegießer. Was voraussetzt, dass wieder Mittel fließen. (GEA)