REUTLINGEN. Er spielte in Terrence Malicks Filmdrama »Ein verborgenes Leben« einen Bauern, der aus Gewissensgründen den Kriegsdienst bei der Wehrmacht verweigert und von den Nationalsozialisten hingerichtet wird. Er war in Quentin Tarantinos Oscar-prämiertem, kontrafaktischem Kriegsfilm »Inglourious Basterds« als SS-Sturmbannführer zu sehen. Und in Phillip Noyces Actionthriller »Salt« als Ehemann der von Angelina Jolie gespielten Hauptfigur. Jüngere Zuschauer dürften den Schauspieler August Diehl aber auch aus Filmen wie »Die Abenteuer des Huck Finn« (als alten Finn) und »Der Räuber Hotzenplotz« (als Zauberer Petrosilius Zwackelmann) kennen.
Echoraum in der Musik
Der Berliner trat am Donnerstag im »Musikalisch-literarischen Salon Reutlingen« auf, jenem vom Kulturamt der Stadt veranstalteten und von Ute Kleeberg und Uwe Stoffel von der Edition See-Igel mit Inhalt gefüllten Format. »Weiß ich, was ein Mensch ist? Weiß ich, wer das weiß!« stand als Motto über dem Abend im gut gefüllten Kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle. Worte Bertolt Brechts, auf die in seinem 1930 entstandenen Lehrstück »Die Maßnahme« die Zeilen folgen: »Ich weiß nicht, was ein Mensch ist. Ich kenne nur seinen Preis.«
Ute Kleeberg schien es darum zu gehen, dieses zynische Bild des Menschen mit einem vielschichtigen zu konterkarieren (auch mit Brechts Worten übrigens). Sie hoffe, dass das Publikum sich von den ausgewählten Texten rund ums Menschsein berühren lasse, schickte sie der Lesung August Diehls voraus, bei der die Texte einen Echoraum in der Musik fanden, die der in Baden-Baden geborene Pianist und Komponist Christoph Grund auf dem Konzertflügel spielte.
Blieb das Schöpfen von inneren Welten aus äußerlich Beschriebenem bei Andrzej Stasiuk (»Suceava«) noch ein wenig im Ungefähren, wurde in der berühmten »Madeleine-Szene« aus Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« der Vorgang des Erinnerns plastisch: Der Ich-Erzähler trinkt Tee und isst eine Madeleine, ein französisches Gebäck. Der Geschmack setzt eine Kaskade von Erinnerungen in Gang.
Warme Empfindungen
In Texten von Peter Bichsel löste das kitschige Modell des Nationaldenkmals Viktor Emanuels II. in Rom warme Empfindungen bei einem Ich-Erzähler aus, weil es ihm die Welt des Großvaters wiederbrachte, und führten die Begegnung mit einem Kind und ein Satz von Friedrich Dürrenmatt zur Beschäftigung mit der Frage, wie es war, »als wir noch fliegen konnten«, sprich: als der Kinderglaube und die damit verbundene Zuversicht Berge versetzten. Als wir noch nicht stark sein mussten für die Welt da draußen. Aber auch gänzlich ohne Angst waren.
August Diehl schält die Gedanken aus dem Manuskript. Ohne Pathos, mit wachem Geist. Mit einem Glitzern in den Augen, wenn er sich in einen Menschen, der Glück empfindet, hineinversetzt. Mit einem Augenmerk auch für die Beladenen. Besonders berührend ist ein Text von Stefan Zweig (»Ein Mensch, den man nicht vergisst«), der dem tier- und menschenfreundlichen An-ton, einem Lebenskünstler, dessen Zukunftssicherung einzig seine gelebte Solidarität ist, ein Denkmal setzt. Hier findet der Glauben Zweigs an die Möglichkeiten menschlicher Wirkkraft Ausdruck. In Brechts »Das Paket des lieben Gottes« wird einem Mann, der »in keiner guten Haut steckte«, im Moment, als ihm seine Mitmenschen einen Streich spielen, unverhofft eine schwere Last von der Seele genommen.
Schön, wie die Musik diese literarischen Zeugnisse des Menschseins ergänzte, spiegelte, weitete. In verträumten Klängen von Rudolf Friml (»Suite Mignonne«) oder Claude Debussy (»Reverie«). Im unerschöpflichen Kosmos Johann Sebastian Bachs. In Robert Schumanns zarter bis extrovertierter »Arabesque«. Und in einer Improvisation Christoph Grunds, bei der dieser die Saiten des Klaviers zupfte, kratzte und strich.
Wie immer beim »Musikalisch-literarischen Salon« bestand im Anschluss an die Veranstaltung die Möglichkeit, miteinander und mit den Künstlern im Foyer ins Gespräch zu kommen. (GEA)