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Württembergische Philharmonie Reutlingen startet mit Dvořák in Saison

Die Württembergische Philharmonie Reutlingen startete mit dem Cellokonzert von Antonín Dvořák und dem »Konzert für Orchester« von Béla Bartók in die Saison. Schmerz, Witz und sanfte Träumerei lagen da oft dicht beieinander.

Völlig in die Musik versunken: Steven Isserlis im Cellokonzert von Antonín Dvořák.
Völlig in die Musik versunken: Steven Isserlis im Cellokonzert von Antonín Dvořák. Foto: Armin Knauer
Völlig in die Musik versunken: Steven Isserlis im Cellokonzert von Antonín Dvořák.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Sie wissen, wie man dem Publikum ein Leuchten in die Augen zaubert zum Saisonauftakt: Die Württembergische Philharmonie Reutlingen und ihre Chefdirigentin Ariane Matiakh haben auf Antonín Dvoráks Cellokonzert und das »Konzert für Orchester« von Béla Bartók gesetzt am Montagabend beim ersten Sinfoniekonzert in der Stadthalle - und lagen damit goldrichtig. In Dvoráks Konzert konnte man sich so richtig hineinlegen; Bartóks Stück wiederum brachte jede einzelne Instrumentengruppe so richtig zum Funkeln.

Gleichzeitig umschifften Matiakh & Co. galant den Vorwurf, man habe sicherheitshalber einfach zwei populäre Hits aufs Programm gesetzt. Denn in beiden ist eine unterschwellige Trauer das Thema und eine innere Zerrissenheit, die sich in scharfen Kontrasten Luft macht. Und in innerlich wie äußerlich zerrissenen Zeiten leben wir ja heute erneut wieder. Netter wäre es womöglich gewesen, die Reihenfolge umzudrehen: die kühle Schärfe Bartóks an den Beginn zu stellen und Dvorák mit seiner geradezu atemberaubenden Versöhnungsvision im Finale an den Schluss. Den Solisten bis nach der Pause zu vertrösten, wäre allerdings auch wieder unhöflich gewesen.

Versunken in sein Spiel

Also erst Dvorák. Mit einem Steven Isserlis als Solist, dessen Auftritt ein Erlebnis ist. Der erfahren Brite wirft das Haupt, schüttelt die silbergraue Mähne, ist wie in eine andere Welt versunken. Wenn seine Augen nicht geschlossen sind, blickt er schräg nach oben, als nehme er Kontakt auf zu jener Sphäre, aus der ihm Dvoráks Empfindung zuströmt.

Dessen Musik hat vor allem im Kopfsatz durchaus machtvolle Gesten zu bieten. Und doch ist Protzen die Sache Dvoráks nicht. Die von Isserlis noch weniger. Sein Stradivari-Cello mit Beinamen »Marquis de Corberon«, zur Verfügung gestellt von der Royal Academy of Music in London, hat seine Stärken keineswegs in einer überbordenden Tonfülle. Wenn sich Isserlis in wilde Attacken wirft, dann wird der Klang eher pergamentartig - der Schwabe würde sagen »räs«. Die Intensität dieser Stellen im Kopf- und Schlusssatz macht Isserlis vielmehr durch die fiebrige Erregung spürbar, die er in die Musik wirft. Sein ganzer Körper wird dabei geschüttelt.

Beseelte Kantilenen: Steven Isserlis kostet die sanglichen Stellen wunderbar aus.
Beseelte Kantilenen: Steven Isserlis kostet die sanglichen Stellen wunderbar aus. Foto: Armin Knauer
Beseelte Kantilenen: Steven Isserlis kostet die sanglichen Stellen wunderbar aus.
Foto: Armin Knauer

Das ist mitreißend - wahrhaft berührend jedoch die Art, wie er die sanften Träumereien ausmalt, die mit diesen Attacken scharf kontrastieren. Hier kann sein Instrument seine Stärke ausspielen: eine sonor summende Feinschattierung, die aus beseelten Tiefen heraufsteigt. Und hier kann Isserlis seine eigene Stärke ausspielen: die Fähigkeit, zarteste Melodielinien über weite Bögen hinweg ganz frei zu gestalten und dabei mühelos die Spannung zu halten. Gerade im lyrischen zweiten Satz schafft er so Gesänge von ergreifender Innerlichkeit, die mit sanften Beschleunigungen und Verzögerungen dahinschweben. Während Matiakh das Orchester nahtlos an die atmende Phrasierung des Solisten schmiegt. Große Klasse. In einer sanft wiegenden Elegie als Zugabe - »El cant dels ocells« (der Gesang der Vögel) von Pablo Casals in einer Bearbeitung von Sally Beamish - zeigt Isserlis erneut sein Gespür für zarte Sanglichkeit.

Bartóks »Konzert für Orchester«

Dass die WPR Bartóks virtuoses »Konzert für Orchester« draufhat, das hat sie 2008 unter Ola Rudner sogar in Budapest gezeigt, wo das Werk Nationalheiligtum ist. Im historischen Konzertsaal des Franz-Liszt-Konservatoriums, also mitten in der Höhle des Löwen. Das Wagnis glückte, Rudner zündete mit den Musikern ein Feuerwerk, das seinesgleichen sucht.

Soweit sich das bei dem zeitlichen Abstand sagen lässt, arbeitete Matiakh stärker die skalpellartige Schärfe von Bartóks Ironie heraus. Auch in ihrer Version tönt von überallher aus dem Klangapparat die geradezu zirzensische Lust am Musizieren: luftig, leicht, sich geradezu berauschend am barockisierenden Tänzeln und Fugengeschiebe, am chaplinesken Zickzack der krummen Rhythmen. Aber unter Matiakh kommt das alles auch als stählern blitzende Oberfläche rüber. Unter deren schneidender Kühlheit umso brennender der ganze Schmerz von Krieg und Heimatferne und Isolation tobt, der den vor den Nazis in die USA geflüchteten Komponisten in den frühen 1940ern peinigte.

Humor gegen Widrigkeiten

So war es dann vielleicht doch gut, dass gerade dieses Werk am Ende stand. Mit seinen Widersprüchen, die sich anders als bei Dvorák eben nicht wie von Zauberhand auflösen. Sondern einen slapstickhaften Galgenhumor herausfordern, der dann trotzdem irgendwie tröstlich ist. Das Publikum in der sehr gut besuchten Halle nahm die Botschaft mit heftigem Applaus auf. (GEA)