TÜBINGEN. Das Dunkel sich lichtet und die Szene wirkt erst einmal unaufgeräumt: Die variablen Teile des Bühnenbildes, das Valentin Baumeister für »Im Taumel des Zorns« schuf, stehen chaotisch beisammen zu Beginn der sechsten und vorletzten Folge der Fortsetzungsgeschichte im Zimmertheater. Cecilia Zymny, Merit Tiefenbrunn und Ove Kalshoven, gespielt von Lauretta van de Merwe, Seraina Löschau und Morris Weckherlin, schaffen Ordnung, rücken die Dinge zurecht, machen weiter. Holle Toepfer (Eva Lucia Grieser) ist verwundet, wurde angeschossen – und Enno, gespielt von Cyril Hilfiker, fehlt.
Im Keller falsch abgebogen
Über fünf Theaterfolgen hin waren fünf Charaktere eingeschlossen in einer Krankenhausapotheke. Folge um Folge entstanden neue Anordnungen, Spannungsverhältnisse. Nun naht das Ende. Episode 6 eröffnet einen letzten Raum, in dem noch einmal Motive und Möglichkeiten kreisen.
»Der Fall der Kugel«, so der Titel der Episode, wurde von Zimmertheater-Dramaturgin Corinna Huber verfasst, ihr erstes Stück. Regie führt Jana Vetten. Die Musik von Konstantin Dupelius und Justus Wilcken zieht sich als trocken-perkussiver Rhythmusteppich durch, hier und da mit Bassriffs geradezu rockig. Martin Kendon lässt das Licht von hier nach dort springen, taucht den Bühnenraum in grelles Weiß, breitet Zelte aus Licht über den Darstellern aus. Holle, schwerverletzt, versinkt in Delirien von Jägern – das Keyboard spielt kleine Fanfaren dazu, an der Wand leuchtet kreisrundes Grün. Holle erzählt, wie sie die Waffe beschaffte, die sie beim Einbruch trug: Ein Nachbar, passionierter Jäger und ehemaliger Arzt, gab sie ihr.
Affäre mit dem Pathologen
Cecilia Zymny hat ein ähnliches Geheimnis. Sie bog im Keller des Krankenhauses falsch ab und landete so beim Pathologen Yuri, einem Bodybuilder, mit dem sie eine Affäre begann, und den sie mit Steroiden versorgte. Holle als Moderatorin und Ove als Yuri spielen ein komisches Talkshowinterview mit Puppen, in dem der grotesk zwergenhafte Muskelprotz alles gesteht. Gleichzeitig spielen Merit und Cecilia die Krankenhausleiter Sören und Helmut, von denen man nur die Unterkörper sieht, während der Rest von einem Tuch verdeckt ist. Da stehen sie, die »Riesen« des Krankenhauses, treten von einem Fuß auf den anderen und plaudern klamaukhaft.
Remix vor dem Finale
Oft gleitet der Text der vorletzten Episode in ein strenges Metrum, manchmal kommen auch Endreime hinzu, sodass das Stück plötzlich wirkt wie ein Spiel mit klassischen Vorlagen. Hinzu kommen Talkshow und Puppenspiel. Als Holle zu Beginn angeschossen in die Apotheke getragen wird, legen Cecilia, Merit und Ove sie im Hintergrund ab – regungslos bildhaft liegt sie da, mit blutverschmiertem Bein, wie ein Jesus vom Kreuz genommen. Später werden sie Holle in grotesker Aktion einen Druckverband verpassen.
Indessen hat sich die Figurenanordnung in der Apotheke geklärt. Alle sind sich nun einig, nur einer fehlt. Was ist aus Enno geworden? Zuletzt klopft es, Holle erwacht punktgenau aus ihrem Delirium: Das Fernsehteam steht vor der Tür. Die große Enthüllungsshow kann beginnen. »Episode 6: Der Fall der Kugel« geht ihr voran – als ein Potpourri der Erzählweisen, ein Remix von Motiven, nicht so stringent und spannend wie die vorhergehenden Episoden, aber vorzüglich gespielt, einfallsreich inszeniert und sehr unterhaltsam. (GEA)