REUTLINGEN. Der griechische Film »Stelios«, der die Lebensgeschichte des Sängers Stelios Kazantzidis ins Kino bringt, ist eine angenehme Überraschung. Schon die ersten Szenen ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Bereits in jungen Jahren beginnt für das Flüchtlingskind Stelios der Ernst des Lebens. Der Film startet mit der Ermordung seines Vaters in den 1940er-Jahren.
Danach ändert sich Stelios' Leben schlagartig. Er übernimmt die Verantwortung, seine schwangere Mutter zu beschützen und später seinen Bruder aus dem Waisenhaus zurückzuholen. Für sie leistet er Schwerstarbeit. Als ihn sein Chef singen hört, schenkt er ihm eine Gitarre. »Du bist dafür geboren«, sagt er. In einem Interview, das der Sänger in seinem Boot gibt, erzählt er seine Geschichte.
Außergewöhnliche Stimme
Kazantzidis bringt sich selbst das Gitarrespielen bei. Allen Widerständen zum Trotz kämpft er sich durchs Leben und findet in der Musik Halt. Mit seiner außergewöhnlichen Stimme und Willenskraft erobert er die Musikwelt und wird zur Ikone. Bis heute wird er für seine Musik gefeiert. Er singt über Liebe, Schmerz, Heimweh, die Sehnsucht nach der verlassenen Heimat und verleiht dem Lebensgefühl der aus Griechenland angeworbenen Arbeitskräfte eine Stimme. Frank Sinatra sagte einmal: »Hätte Kazantzidis in Amerika Karriere gemacht, wäre er bekannter geworden als ich.«
Ein großer Gewinn ist der charismatische Protagonist. Auch wenn Christos Mastoras zum ersten Mal in einem Kinofilm mitwirkt, schafft er es, Kazantzidis so zu spielen, dass er interessant und attraktiv rüberkommt. Mastoras überzeugt mit seiner melodischen Stimme und klingt nicht wie eine billige Kopie von Kazantzidis. Sein freches Grinsen, die Art, wie er die Augenbraue hebt und die Stirn runzelt, lassen ihn sympathisch wirken.
Zwiespältige Persönlichkeit
Regisseur Yorgos Temberopoulos spart in seinem Film die dunklen Seiten von Kazantzidis nicht aus. Heute würde sein patriarchalisches Verhalten womöglich Empörung auslösen – doch das versucht der Regisseur nicht zu glätten. So gibt es Szenen, in denen der Protagonist seine Herzensdame auch mal am Arm packt oder sie vor lauter Eifersucht anschreit.
Tsemberopoulos gelingt es, den griechischen Zeitgeist der 50er-Jahre einzufangen. Die Gegensätze, die Kazantzidis' Charakter prägten, arbeitet der Regisseur heraus. Einerseits genießt es Kazantzidis, im Rampenlicht zu stehen; andererseits hat er den Trubel satt und möchte ungestört am Meer leben. Ein Ereignis, das ihn bestärkt, mit seinen Live-Auftritten aufzuhören, ist ein betrunkener Zuhörer, der ihn mit vorgehaltener Pistole zwingt, 22 Mal dasselbe Lied zu singen. (GEA)