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Visionen eines Grenzgängers: John Cale in Stuttgart

John Cale hat mit The Velvet Underground Musikgeschichte geschrieben. Im Stuttgarter Theaterhaus interpretierte der 83-Jährige alte und neue Songs auf überraschende Weise.

Eklektische Rock-Legende: John Cale im Theaterhaus Stuttgart.
Eklektische Rock-Legende: John Cale im Theaterhaus Stuttgart. Foto: Thomas Morawitzky
Eklektische Rock-Legende: John Cale im Theaterhaus Stuttgart.
Foto: Thomas Morawitzky

STUTTGART. Vor 61 Jahren gründete John Cale gemeinsam mit Lou Reed The Velvet Underground, zu ihrer Zeit kaum erfolgreich, später dann einflussreicher als die meisten. Auf Cales Solo-Alben finden sich makellose Popmusik, Experimente am Rande der klassischen Musik, beinharter Rock ’n’ Roll. Er trat als brüllender Paranoiker mit Stahlhelm auf die Bühne und nahm unzählige Alben mit ruhig verhaltener Filmmusik auf. Er produzierte Patti Smith, The Stooges, Nico. Am Sonntagabend ist er ins Stuttgarter Theaterhaus gekommen, um sein eigenes jüngstes Werk vorzustellen – und um einige Stücke seines großen Repertoires noch einmal in ein anderes Licht zu rücken.

»Poptical Illusion« heißt es, mit Effekten, Samples aufgeladen. Es überrascht, dass Cale gerade bei einem Stück dieses Albums, »How We See The Light«, zum ersten Mal zur E-Girarre greift und den Song in einen manisch bohrenden, minimalistisch grellen Sound kleidet. Noch mehr überrascht, dass er später »Do Not Go Gentle Into That Goodnight«, Teil eines Zyklus, in dem er Gedichte seines Landsmannes Dylan Thomas vertonte, in eine heiter melancholische Tanznummer verwandelt.

Fusion aus Art-Rock und Pop

»Villa Albani« derweil, von »Caribbean Sunset« (1984), wächst sich am Ende des Konzertes zu einer mitreißenden Fusion aus Art-Rock und Pop aus. Andere Klassiker spielt John Cale in Rockversionen, die nahe bei den Originalen liegen. Begleitet wird er von Dustin Boyer an der Gitarre, Joey Maramba am Bass und Alex Thomas am Schlagzeug. »Commander Company« vom aktuellen Album tritt auf mit brutalem Industrial-Sound, »Setting Fires« und »My Maria« sind überschwänglicher Pop in kalter Bewegung. »Long Way Out Of Pain« war bislang ungehört, und mit »Rosegarden For A Funeral of Sores« taucht die obskure Cover-Version eines Songs der Gothic-Band Bauhaus aus den späten 1970ern auf.

John Cales Stimme ist rau, gepresst, dabei aber überaus ausdrucksstark, nuanciert und intensiv; sie geht unter die Haut, lässt man das zu. John Cales Musik ist sperrig, seit jeher, verweigert sich jeder eindeutigen Zuordnung – ein brillanter Starrkopf ist er noch mit 83 Jahren. Der Tag des Stuttgarter Konzertes ist Cales Geburtstag. Vielleicht deshalb spielt er im Theaterhaus keine Zugabe. Zwei Tage zuvor, in München, verabschiedete er sich mit Lou Reeds »I’m Waiting For My Man«, im Theaterhaus dagegen hört man am Sonntag keinen einzigen Song von Velvet Underground.

Komplexe Vision einer populären Musik

John Cale hat nicht die Viola gespielt, an diesem Abend. Viele Songs, die man erwartet hatte, hat man nicht gehört – das grandiose »Paris 1919«, das wüste, paranoide »Fear«, »Close Watch« oder seine tiefschwarze Version von Leonard Cohens »Halleluljah«. Aber einmal mehr hat John Cale seine komplexe Vision einer populären Musik sehr überzeugend auf die Bühne gebracht. (GEA)