PFULLINGEN. Da haben sie sich schon ein heikles Stück zur Eröffnung ihres Herbstkonzerts ausgesucht, die Musikerinnen und Musiker des Martinskollegiums Pfullingen. Denn die Ouvertüre zu Mozarts »Entführung aus dem Serail« ist gespickt mit lauter Tücken. Wobei die tückischen Teufel im Detail lauern. Wo sie auf den ersten Blick vielleicht gar nicht wahrgenommen werden. Zum Beispiel im Part der großen Trommel. Für den Mozart neben den herkömmlichen perkussiven Schlägel-Akzenten noch zusätzliche mit einer Holzrute vorsieht. Was das Orchester unter der genauso kundigen wie ausdrucksorientierten Führung von Stefan Bornscheuer genauso detailfreudig umgesetzt hat wie die fein abgestufte Dynamik in den Rahmenteilen bei gut ausgehorchtem thematischen Wechselspiel zwischen ersten Violinen und Celli oder die schmerzdurchwirkt schmachtende Moll-Romanze dazwischen. Eine toll platzierte Stretta beschloss diesen Einstieg in einen anspruchsvoll konzipierten und ansprechend musizierten Abend.
Ein Heimspiel stand im Mittelpunkt des Programms. Lukas Dorfmüller begann seine musikalische Bildung an der örtlichen Musikschule. Weitere Förderung durch professionelle Orchestermusiker in Reutlingen, Stuttgart und Barcelona schlossen sich an. Aktuell steht der erst 22 Jahre alte Flötist vor seinem Bachelorabschluss an der Musikhochschule in Lübeck. Und er musiziert bereits mit einer Konzertreife, die so manchen Etablierten in seinem Fach erblassen lassen könnte. Im Zusammenwirken mit dem stets präsent agierenden Martinskollegium und der Gestaltungsfreude von Stefan Bornscheuer gelang eine außergewöhnliche Wiedergabe von Carl Philipp Emanuel Bachs Concerto für Flöte, Streicher und Cembalo, letzteres souverän gespielt von Tim Krüger.
Wärme und Virtuosität
Griffen in Bachs Zeit die Komponisten zu Moll-Tonarten, hatte dies eine musikalisch-rhetorische Bedeutung. Auf jeden Fall war ein dramatischer Affekt mit im Spiel. Und dem hatten sich Bornscheuer genauso wie Dorfmüller schon im Eingangs-Allegro angenommen. Gehaltvoll und zupackend erklangen die Orchester-Ritornelle, angemessen zurückhaltend, dabei stets punktgenau, die begleitenden Passagen. In denen brillierte der Solist mit virtuoser Eleganz, zugleich dem Ideal eines in der Entstehungszeit des Stücks geforderten »singenden Allegro« entsprechend. Im zweiten Satz, »Un poco Andante«, gefiel die perfekte Tempowahl. Die Musik durfte atmen in ihrem natürlichen Fluss, die Soloflöte aufblühen und Wärme verströmen. Bis die klug strukturierte Kadenz zum Finalsatz hinleitete, dessen Sturm- und Blitzfiguren geradezu luzide und feurig von Dorfmüller aufgegriffen worden sind, mit bewunderungswürdiger technischer Akkuratesse.
Kein Wunder, dass ihn das begeisterte Publikum nicht ohne Zugabe vom Podium gehen lassen wollte. So erklang Glucks »Reigen seliger Geister« aus seiner Orpheus-Oper voller Hingabe, homogen von den Stimmführern der Streichergruppe getragen.
Delikate Bläser-Akzente
Welcher Musikliebhaber von heute hat in Kindheit oder Jugend nicht mindestens einmal Prokofjews »Peter und der Wolf« zu hören bekommen? Mitunter leidet dieses Stück, wenn ein märchenonkelhafter Zeigefingerpädagoge die Zwischentexte liest und Dirigent wie auch Orchester mehr oder weniger gelangweilt die lautmalerischen Episoden präsentieren. Dabei sind diese genauso delikat wie genial! Sie müssen aber auch so wiedergegeben werden. Wie jetzt vom Martinskollegium Pfullingen unter Stefan Bornscheuer. Sie haben das Stück ernst genommen. Und genauso kontrastfreudig wie temperamentvoll die Geschichte in Klang transformiert. Mit saftigem Streicherklang, exzellenten Bläsersolisten und der erforderlichen Prise Humor. Ob es einen Mehrwert bringt, die Sprecher-Partie auf zwei Personen zu verteilen, bleibt als Frage offen; gleichwohl haben Vater und Sohn Timo und Theodor Brunke den Text locker und prägnant rezitiert. Und eine heiter gestimmte Zuhörerschaft in den ersten Adventsabend entlassen. (GEA)