PISTOIA/REUTLINGEN. Die Städtefreundschaft zwischen Pistoia und Reutlingen hat schon so manche Künstler über die Alpen befördert – aber noch nie ein komplettes Sinfonieorchester. Das änderte sich nun mit der Italien-Tournee des VHS-Orchesters Dettingen. In der letzten Oktoberwoche brach Dirigentin Paula Stark mit ihren Schützlingen in zwei Reisebussen zu einer achttägigen Toskana-Tour auf. Drei Konzerte gaben die Musiker in der unweit von Florenz gelegenen Stadt Pistoia und Umgebung; dazu erwartete sie ein üppiges Besichtigungsprogramm.
Ausgeheckt hatten diese erste Auslandstournee des Orchesters Dirigentin Paula Stark und Thomas Becker. Letzterer ist als Kulturbeauftragter der VHS Reutlingen für das Orchester zuständig – und als Vorsitzender des veranstaltenden Vereins »Amicizia Pistoia-Reutlingen« der Mann im Zentrum der Städtefreundschafts-Aktivitäten zwischen den beiden Kommunen. Unterstützt von »Amicizia«-Mitstreiter Karlheinz »Carlo Enzo« Walter hatte Becker das Programm bis ins Detail ausgetüftelt.
Drei Orte, drei Konzerte
Die drei Konzertorte verdankte das Orchester seinem Solisten, dem aus der Gegend von Pistoia stammenden Profifagottisten Maurizio Fedi. Einem Gastspiel in Fedis Heimatstadt Agliana folgte ein Auftritt im historischen Ratssaal von Pistoia und schließlich ein Konzert im Teatro Pacini in Pescia unweit von Lucca.
Jeder der Orte hatte seinen Reiz. Das Teatro Moderno in Agliana entpuppte sich als schnuckeliges Ex-Kino, das man in ein Theaterzentrum umgebaut hatte. Die roten Plüschsessel aus Kinozeiten zieren noch immer das Parkett. Da hier meist Theater gespielt wird, ist die Akustik auf Sprechstimme ausgelegt und entsprechend trocken. Das Orchester ließ sich davon nicht beirren und legte einen souveränen Auftritt hin. Solist Maurizio Fedi zauberte geradezu bei seinem Heimspiel mit dem Fagottkonzert von Carl Maria von Weber.
»Star Wars« im Ratssaal
Das Programm entsprach einer leicht gekürzten Version der Herbstkonzerte in Dettingen. Als Gruß ans italienische Publikum hatte man Opernmusik von Rossini und Mascagni mitgebracht, zudem Filmmusiken von Ennio Morricone (»La Califfa« mit gefühlvollem Oboensolo von Markus Pfisterer, »Once Upon a Time in America«) und Nino Rota (»Der Pate«). Ehe Soundtrack-Kracher von John Williams (»Das Imperium schlägt zurück«, »Superman Returns«) das donnernde Finale einleiteten.
Im historischen Ratssaal zu Pistoia mit seiner enormen Höhe kam der Klang noch strahlender rüber. Fedis Fagottpart klang noch leichtfüßiger, die Solotrompete von Tobias Freudenberg im Intro zu »Der Pate« schwebte traumhaft, das Akkordeonsolo von Ingrid Schöll schimmerte seidig. Streicher, Blechbläser, Holzbläser, Klavier und Schlagwerk funkelten um die Wette. Pech, dass am selben Tag ein Starkregen Erdrutsche ausgelöst hatte. So saßen Bürgermeister und Räte im Krisenstab, statt das Konzert zu genießen.
Komponist im Publikum
Das Teatro Pacini in Pescia erinnerte mit seinen Logenrängen an eine Mini-Ausgabe der Mailänder Scala. Die Bühne mit ihrem schräg ansteigenden Boden und der komplizierten Beleuchtungs-Maschinerie hatte ihre eigenen Tücken. Es brauchte ein paar Versuche, bis alles perfekt ausgeleuchtet und das E-Piano in die Balance gebracht war. Doch dann wurde es auch hier ein begeisternder Auftritt, gekrönt von den typischen »Bravi!«-Rufen – der Mehrzahl von »Bravo«, weil es ja viele Musiker sind.
Einer lauschte besonders aufmerksam in Pescia: Antonio Bellandi, Leiter der Musikschule dort und Komponist der Suite »La storia die San Martino«, aus der die Streicher des Orchesters zwei Sätze aufführten. Sie zauberten dabei einen feinen, durchsichtigen Klang, gekrönt von einem empfindsamen Solo von Konzertmeisterin Tanja Robisch. Der Meister zeigte sich glücklich über die Umsetzung seiner zart-melancholischen Musik.
Jazznummer als Zugabe
Am meisten Spaß hatte das Publikum mit der rasanten Jazznummer »Cantina-Band« aus dem »Star Wars«-Film »Eine neue Hoffnung«, furios umgesetzt von Bläsern und Schlagwerkern des Orchesters. Ein fetziger Kracher, in dem Kevin Reifner die Schlägel schwindelerregend auf die Xylofonstäbe prasseln ließ.
Das Begleitprogramm wartete mit Stadterkundungen in Pistoia, der einstigen Römerstadt Lucca und dem industriell bedeutenden Prato auf – wobei jeweils Thomas Becker und Karlheinz Walter Wissenswertes vermittelten. In Lucca mussten sie sich gegen den Trubel des »Lucca Comics & Games Festival« durchsetzen mit zahllosen kostümierten Fans.
Ausflug in die Unterwelt
In Pistoia ging es sogar in die Unterwelt, wo ein Verein das einstige, inzwischen mit Gewölben überbaute Flussbett zu einem unterirdischen Museum ausgebaut hatte. Auch der Fondazione Luigi Tronci stattete man einen Besuch ab, einem Musikalien- und Schlagwerk-Museum, dessen inzwischen 90-jähriger Gründer Luigi Tronci die Gäste mit Perkussionsgerät verschiedenster Kulturen vertraut machte.
Zum musikalischen gesellte sich der künstlerische Austausch: Die Reutlinger Malerin Susan Alms eröffnete im Hotel Milano in Pistoia eine Ausstellung mit abstrakten Bildern, die hier bis März zu sehen sind. Was ein Streichquintett aus dem Orchester stimmig mit Sätzen von Reger und Dvorák umrahmte.
Ausuferndes Halloween-Treiben
Zwischen all dem blieb noch Zeit für einen Bummel über den seit dem Mittelalter nachgewiesenen Krämermarkt Pistoias. Sowie für eine Begegnung mit dem ausufernden Halloween-Treiben in der Stadt. Eine Woche voller Musik, Kultur, Bildung und toskanischen Traditionen. Teilnehmer wie Veranstalter zeigten sich begeistert – und kamen zum Schluss: Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. (GEA)





