RAVENSBURG. Sie stand im Austausch mit Louise Bourgeois und war befreundet mit Künstlern wie Christian Boltanski oder Annette Messager. Max Ernst schätzte ihre Skulpturen, Marcel Duchamp setzte sich für sie ein. Doch erst lange nach ihrem Tod fand das Werk von Alina Szapocznikow (1926–1973) die gebührende Beachtung, lässt man ihre Teilnahme an der Biennale von Venedig 1962 außer Acht.
So waren 2007 posthum Werke von ihr auf der Documenta 12 zu sehen. In den letzten 15 Jahren würdigten Institutionen wie das MoMA in New York, die Londoner Tate Modern oder das Centre Pompidou in Paris das Schaffen der 1973 mit 46 Jahren an Brustkrebs verstorbenen Bildhauerin und Zeichnerin. Jetzt bietet das Kunstmuseum Ravensburg in einer mit dem Musée de Grenoble organisierten Ausstellung Einblicke in das facettenreiche Werk der polnischen Künstlerin. »Alina Szapocznikow. Körpersprachen« ist erst die zweite Einzelschau mit Werken von ihr in Deutschland. Sie beweist Mut, denn das Œuvre ist alles andere als eingängig.
Mehrere KZs überlebt
Als jüdischstämmige Jugendliche überlebte Szapocznikow während des Zweiten Weltkriegs Aufenthalte in den Ghettos von Lodz und Theresienstadt sowie in den Konzentrationslagern von Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen. Die Erfahrungen, die sie in dieser Lebensphase machte, flossen auch in ihre Kunst ein. Die stellt den menschlichen Körper in seiner Verletzlichkeit ins Zentrum. Nach einem Studium der Bildhauerei in Prag und Paris und der Rückkehr nach Polen infolge einer schweren Erkrankung ließ sich Alina Szapocznikow 1963 dauerhaft in Paris nieder.
Zeitlich spannt die Ravensburger Schau mit mehr als 80 Skulpturen und Zeichnungen einen Bogen von der Mitte der 1950er-Jahre bis zu Szapocznikows frühem Tod. Bemerkenswert in der von Kunstmuseumsdirektorin Ute Stuffer kuratierten Präsentation ist die Originalität ihrer Werke, die von Experimentierfreude in den verwendeten Materialien und in der Formensprache zeugen. Der menschliche Körper erscheint vornehmlich in fragmentarischer Unvollständigkeit, mitunter zerstückelt und deformiert – eine Bildsprache, die in der Kühnheit noch die Gemälde ihres Zeitgenossen Francis Bacon in den Schatten stellt. In einer monströsen Vergrößerung gestaltete sie bei ihr gefundene unförmige Tumoren als Skulpturen. Bei alledem haben nicht wenige Werke zugleich eine humorvolle Note.
»Ich bin davon überzeugt, dass von allen Äußerungen des Vergänglichen der menschliche Körper am verwundbarsten ist, die einzige Quelle aller Freude, allen Leidens und aller Wahrheit«, sagte sie gegen Ende ihres Lebens. Kennzeichnet ihre Anfänge ein mehr traditioneller, figurativer Stil, so sind starke Verformungen des menschlichen Körpers, etwa in der ungewöhnlichen Längung des Halses in einem Frühwerk wie »Trudny wiek« aussagekräftig für die Situation der Zeit. Besonders forciert erscheint die Dekonstruktion und Fragmentierung des menschlichen Körpers in »Maria Magdalena«. In »Pnaca«, übersetzt »Kletternde«, ist die Form des menschlichen Körpers kaum noch erkennbar.
Inspiriert vom Surrealismus
Die experimentierfreudigste Schaffensphase Szapocznikows beginnt Mitte der 1960er in Paris. Die Auseinandersetzung mit dem Surrealismus und dem Nouveau Réalisme führen zu Werken wie der Plastik »Machine en chair« (»Fleischige Maschine«) oder »Goldfinger«; letzteres Werk kombiniert Autoteile mit organischen Formen wie weiblichen Körperteilen.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung »Körpersprachen« mit Plastiken von Alina Szapocznikow ist im Kunstmuseum Ravensburg, Burgstraße 9, bis 6. Juli zu sehen. Geöffnet ist Dienstag 14 bis 18 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 19 Uhr. (GEA)
www.kunstmuseum-ravensburg.de
Hinzu kommen Experimente mit industriellen Materialien wie Polyester und Polyurethan. Abgüsse von Körperzonen, zumal des eigenen Körpers, werden zu ihrem Markenzeichen. Auch zwischen Skulptur und Gebrauchsgegenstand wie Lampen oszillierende Werke entstehen – und nicht zuletzt fotografisch dokumentierte Skulpturen aus Kaugummi, den sie im Mund modellierte. Ein ergreifendes Dokument der Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers ist die im Wissen um den nahenden Tod entstehende letzte Werkserie »Herbier« (»Herbarium«): Abgüsse ihres eigenen Körpers und dem ihres Sohnes Piotr. (GEA)