STUTTGART. »Geil«, fasst eine Dame mittleren Alters den Abend zusammen, nachdem sie im dritten Anlauf die überfüllte U-Bahn erreicht hat, die sie im Gedränge zurück zum Hauptbahnhof bringt, »einfach nur geil«. Ihr Pixie-Cut steht steil, das Shirt trägt die Aufschrift Pink und noch das Preisschild vom Merchandise-Stand. Keine Frage, woher sie kommt: vom »Summer Carnival« ihres Pop-Idols. Ihr Mitfahrer gleichen Alters pflichtet bei: Es sei »einfach nur genial« gewesen.
Tatsächlich feierte die Pop-Kultur in der MHP-Arena ein großes Fest. Die 44-jährige US-Sängerin Alecia Moore, so ihr bürgerlicher Name, schöpft zwei Stunden lang aus ihrem vollen Repertoire. »Ich bin so eine Art Zirkusnummer«, soll sie über den Titel der aktuellen Tour gesagt haben. Eine sehr menschliche Zirkusnummer: Sie trotzt dem Regen, gibt während des Konzerts Autogramme auf nassem Papier, freut sich über Plüschtiere und über Gummibärchen, die auf die Bühne fliegen und von ihr unmittelbar geöffnet und probiert werden. Von Allüren nichts zu spüren. Der Mittvierziger würde sagen: Pink ist meganett, irgendwie so natürlich. Man will mit ihr Aperol trinken und Spaß haben.
Schon der Opener machte klar, wohin die Reise geht: in die 90er- und Nuller-Jahre. »Get The Party Started« ist nach 23 Jahren noch immer die ansteckende Dancefloor-Hymne für 45.000 Fans, die kein Vorspiel brauchen. Sie sind bereit für alles und fressen dem netten Popstar aus der Hand. Jede Geste wird bejubelt und jede Gefühlsregung uneingeschränkt geteilt.
Gedankliche Umarmung
»Raise Your Glass« ist ebenfalls ein Jugendhit, ein Partykracher mit geistigem Hintergrund. Pink hat ihn 2010 für ihre namenlose Gefolgschaft geschrieben, bei der sie sich an diesem Abend oftmals für die Treue bedankt. Umarmung geht leider nicht, die Menge würde sie erdrücken. Gedanklich findet sie zwei Stunden lang statt. Bei Liebesliedern gehen Tausende Handy-Lampen an. Mitsingen ist Pflicht, die Menge ist textsicher. Ein schwules Paar wird auf Großleinwand gezeigt. Sie küssen sich spontan - Jubel im ganzen Rund.
Weil das Leben ein einziges Auf und Ab ist, dürfen auch ernste Themen nicht fehlen - Drogen, Trauer, Depression. »Just like a Pill« von 2001 beschreibt die Folgen einer Überdosierung, die Pink vor 30 Jahren erfahren musste. »Fu**in' Perfect« will den Fans Mut machen, so zu sein, wie sie sind - wer würde widersprechen. Pink schrieb den Titel während der Schwangerschaft und fordert Selbstakzeptanz. Das Publikum stimmt leichten Herzens zu.
Hoch in der Luft durchs Stadion
»Just like Fire« von 2016 reichert den typischen Pink-Sound mit Rap-Elementen an, zu denen Pink von ihrem eigenen Kind inspiriert wurde. An dieser Stelle absolviert sie eine Art Dreikampf: Ihre ohnehin von Tanznummern reiche Gesangsshow wird von Solo-Einlagen am Trapez gekrönt, die ihresgleichen auf Pop-Konzerten suchen. Wenn Pink bei »So What« am Hochseil durchs Stadion schwebt, käme selbst eine Helene Fischer ins Staunen. Kopfüber in 20 Metern Höhe über dem Golden Circle, dann zwei Meter über den hinteren Rängen und zurück auf die B-Stage - das macht sonst keine.
Unter den Mitstreitern fallen besonders Justin Derrico und Jason Chapman auf. Der Gitarrist lässt mit seinen Soli Hardrock-Gefühle aufblitzen und deckt die Metal-Seite ab, der Pianist spielt gefühlvolle Balladen fürs Herz. Überhaupt schart Pink ein erstklassiges Musik- und Tanzensemble um sich. Dominiert von ihrer Ausnahme-Stimme und den glanzvollen Sensationen fürs Auge ist die Show perfekt. (GEA)