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Aktuell Literatur

»Und noch zehn Minuten bis Buffalo«

Seine Werke sind lebendig bis heute: Der Dichter und Journalist Theodor Fontane wurde vor 200 Jahren geboren.

Als Apothekersohn 1819 in Neuruppin in Nordbrandenburg geboren, wurde Theodor Fontane zu einem der wichtigsten Vertreter des lit
Als Apothekersohn 1819 in Neuruppin in Nordbrandenburg geboren, wurde Theodor Fontane zu einem der wichtigsten Vertreter des literarischen Realismus. Hier ist er auf einem Gemälde von Carl Breitbach von 1883 abgebildet. FOTO: WIKIPEDIA
Als Apothekersohn 1819 in Neuruppin in Nordbrandenburg geboren, wurde Theodor Fontane zu einem der wichtigsten Vertreter des literarischen Realismus. Hier ist er auf einem Gemälde von Carl Breitbach von 1883 abgebildet. FOTO: WIKIPEDIA

NEURUPPIN/REUTLINGEN. Im »Fontane-Jahr« 2019 wird eines großen deutschen Dichters gedacht. Mit realistisch erzählten Romanen und bewegenden Balladen hat sich Theodor Fontane in die deutsche Kultur eingeschrieben. Er wurde am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren, gestorben ist er am 20. September 1898 in Berlin.

Zu seinen lebendig gebliebenen Werken gehören vor allem einige Balladen. Dies ist auch den Schulen zu verdanken. Eine Figur wie »Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland« ist anrührend und tiefsinnig zugleich. Er will über seinen Tod hinaus den Kindern Birnen schenken. Deshalb nimmt er eine Birne mit ins Grab. Aus dem Birnbaum, der daraus erwächst, flüstert es den Kindern in ihrer niederdeutschen Muttersprache zu: »Wiste ’ne Beer«, »Kumm man röwer, ick gew di ’ne Birn.« So sorgt der verantwortungsvolle Gutsbesitzer aus dem Grab heraus für neues Leben und Genuss – ein warmherziger Generationenvertrag.

Die Balladen

Seine Balladen zur nordischen, englisch-schottischen und märkisch-preußischen Geschichte finden heute weniger Beachtung. Lebendig geblieben und neue Aktualität gewonnen haben zwei Balladen zum Thema Technik und damit verbundenen Katastrophen. Aus dem Bericht über einen brennenden Dampfer auf dem amerikanischen Erie-See gestaltet Fontane eine Rettungstat: Der Steuermann »John Maynard« opfert sein Leben, um die Passagiere ans Ufer zu bringen. In dramatischer Zeitverknappung – »noch dreißig … zwanzig … fünfzehn … noch zehn Minuten bis Buffalo« – gelingt die Rettung. Eine moderne Heldengeschichte.

Weiter gespannt ist die Ballade »Die Brück’ am Tay«. Das Gedicht schildert ein Eisenbahnunglück in Schottland. Die 1871 bis 1878 erbaute Firth-of-Tay-Brücke bei Dundee überspannte erstmals einen Meeresarm. Am 28. Dezember 1879 stürzte die Brücke mit einem Personenzug in einer Sturmnacht ein. Während der Zug gegen den Sturm »keucht«, vertraut der Lokomotivführer voll Stolz auf eine technische Großleistung: »Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf, / wir bleiben Sieger in solchem Kampf.« Dann stürzt die Brücke samt Zug ins Meer, »als ob Feuer vom Himmel fiel, / erglüht es in niederschießender Pracht.« Diese Zerstörung menschlicher Ingenieurskunst schreibt Fontane den Hexen aus Shakespeares »Macbeth« zu – »Tand, Tand / ist das Gebilde von Menschenhand.«

Diese Ballade steht für ein grundsätzliches Spannungsverhältnis: Der Mensch sucht die Natur zu beherrschen – die Naturkräfte bedrohen und zerstören die menschliche Zivilisation.

Die Geschichte und Tragik des »Brück’ am Tay«-Themas im Kontext der damaligen Technik-Situation erzählt eindrucksvoll der schwäbische Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth (geboren 1836 in Kirchheim unter Teck, gestorben 1906 in Ulm) in seinem Buch »Die Brücke über die Ennobucht – Berufstragik«. Vieles war noch unbekannt, zum Beispiel Materialkenntnis: »Wie mag es einer Eisenstange zumute sein, ehe sie bricht?«

Reiseliteratur und Theaterkritiken

Der als »Apotheker erster Klasse« approbierte Fontane hat diesen Beruf bald aufgegeben und sich und seine Familie als Journalist durchgebracht. Über Aufenthalte in England, Frankreich und Dänemark sind Reisebücher entstanden. Bis heute berühmt geblieben sind die »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«. In dem fünfbändigen Werk beschreibt Fontane sehr genau Orte, Schlösser, Klöster in ihrer landschaftlichen Lage und mit ihrem geschichtlichen Hintergrund. In dem »Herausziehen des exakten Berichts«, das der Reporter leistet, erkennt Fontane auch einen »ungeheuren Literaturfortschritt«, wie er sich in den Realismus-Literaturen Europas vollzog.

Als Reporter beschreibt Fontane die Außenseite seiner Lebenswelt, in den »Causerien über Theater« nimmt er als Kritiker eine Innenseite der Kultur in den Blick. Über die differenzierte Beurteilung von Inszenierungen und Schauspielern hinaus findet er eindrucksvolle Bewertungen von Werken. So nennt er Lessings »Nathan der Weise« ein »Evangelium der Toleranz«.

Zur europäischen Erzählkunst im 19. Jahrhundert unter dem Epochenbegriff »Poetischer oder Bürgerlicher Realismus« zählt Fontane als herausragender Vertreter der deutschen Literatur. Er selbst war schon über sechzig Jahre alt, als er ein umfangreiches Werk an Romanen und Erzählungen hervorbrachte. Drei Titel seien genannt, die besonders beachtet wurden und werden: »Irrungen, Wirrungen«, »Effi Briest« und »Der Stechlin«.

Der Erzähler

Fontane beschreibt die spätfeudale Gesellschaft. Vor allem an Liebesverhältnissen und Ehegeschichten wird deutlich, dass manche Werte des Adels (Ehre, Besitz, Stellung …) dem Humanum individueller Liebe entgegenstehen. Das aufsteigende Bürgertum wird mit Humor und leichter Ironie beleuchtet. Industrie und Arbeiter erscheinen eher am Rande.

Durch ein dialogisch-mehrperspektivisches Erzählen können verschiedene Aspekte eines Themas zur Geltung kommen. Insgesamt schreibt Fontane mit großer sprachlicher Eleganz.

Ein besonderes Kennzeichen Fontanescher Erzählkunst sind seine eindrucksvollen Frauengestalten. Sie werden zum Opfer wie Effi in »Effi Briest«, sie sind klug und entschieden wie Lene in »Irrungen, Wirrungen«. Die Ethik dieser Frauen heißt »Herzensbildung«. Dazu Fontane: »Wenn es einen Menschen gibt, der für Frauen schwärmt und sie beinah doppelt liebt, dann bin ich es.« (1894)

Nachklang

Über diesen großen Erzähler schreibt Thomas Mann, ein großer Erzähler des 20. Jahrhunderts: »Unendliche Liebe, unendliche Sympathie und Dankbarkeit, ein Gefühl tiefer Verwandtschaft, ein unmittelbares und instinktmäßiges Entzücken, eine unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung bei jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzchen von ihm – das ist mein Verhältnis zu Theodor Fontane.« (1910)

Theodor Fontane starb im achtzigsten Lebensjahr. In seiner Alterslyrik schreibt er im Blick auf den »Ausgang«:

 

Immer enger, leise, leise

ziehen sich die Lebenskreise,

schwindet hin, was prahlt und prunkt,

schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,

und ist nichts in Sicht geblieben

als ein letzter dunkler Punkt.

 

Fontane war von Mutter- und Vaterseite her hugenottischer Herkunft. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde in Berlin. Ein Dichter von Weltrang. (GEA)