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Aktuell Motette

Trost im Angesicht von Desaster und Tod

Das Ensemble Cantus Imperitus unter dem Motto »Drum fahr ich hin mit Freuden« in der Tübinger Stiftskirche.

Das Ensemble Cantus Imperitus in der Tübinger Stiftskirche.  FOTO: BÖHM
Das Ensemble Cantus Imperitus in der Tübinger Stiftskirche. FOTO: BÖHM
Das Ensemble Cantus Imperitus in der Tübinger Stiftskirche. FOTO: BÖHM

TÜBINGEN. Zwei ungewöhnliche Stücke wurden am Wochenende in der Motette-Reihe in der Tübinger Stiftskirche sowie in der Peter- und Paulskirche Mössingen aufgeführt. Die »Musikalischen Exequien« von Heinrich Schütz erinnerten an den vor 350 Jahren gestorbenen Meister des Frühbarock. Die Stiftskirche war am Samstagabend sehr gut besetzt.

Umtriebig war Schütz, der, von Landgraf Moritz von Hessen-Kassel gefördert, schon als junger Mann Studienreisen nach Italien unternahm und die dortigen musikalischen Strömungen aufsaugte. Unter der Leitung von Nikolai Ott musizierten Cornelia Fahrion, Isabelle Métrope (Sopran), Julia Werner (Alt), Philipp Nicklaus, Jo Holzwarth (Tenor) und Sebastian Walser (Bass).

Den Solisten kam bei den Stücken, die Schütz für das Leichenbegängnis seines Landesherrn Heinrich Posthumus Reuß in Gera komponiert hatte, eine besondere Funktion zu. Mit ihren klaren Stimmen, begleitet von Barbara Rieger (Violoncello), Ulrike Klamp (Violone) und Regina Böpple (Orgel) als Continuo, sangen sie die Bibelverse (»Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn«, »Leben wir, so leben wir dem Herren«), die der Fürst ausgewählt hatte und mit denen auch sein Kupfersarg beschriftet werden sollte.

Das Vokalensemble Cantus Imperitus sang damit im Wechsel die Anrufungen von Vater, Sohn und Heiligem Geist sowie Liedtexte wie »Er sprach zu seinem lieben Sohn« (Martin Luther), »Durch ihn ist uns vergeben« (Ludwig Helmbold) oder »Ach, wie elend ist unser’ Zeit« (Johannes Gigas). Schlicht und dennoch mit kraftvoller Intensität gesungen entfalteten die Töne eine tiefgehende Wirkung, die das Publikum regungslos verharren ließ.

Tod und Sterben waren das Thema, das irdische Jammertal, das mühselige Leben, die Vergänglichkeit. All das drückte sich in den Texten und in der Musik aus, die bei Sätzen wie »Wenn mir gleich Leib und Seele verschmacht« in tiefste Düsternis hinabstieg. Doch wird der Verzweiflung weniger Raum gegeben als der christlichen Hoffnung auf Auferstehung. Mehrfach wurde »Ich weiß, dass mein Erlöser lebt« wiederholt, geradezu fröhlich erklang »Weil du vom Tod erstanden bist, werd ich im Grab nicht bleiben ... drum fahr ich hin mit Freuden«.

Nuanciert gestaltet

Hochschulpfarrerin Dr. Inge Kirsner las passend dazu Verse aus Psalm 107 und auch den Predigttext (Mt. 14, 22–23) zum Thema Glauben. Das »Canticum B. Simeonis« (»Seelig sind die Toten«) sangen sich der Chor im Chorraum und drei Solisten auf der Orgelempore zu, sodass sich die Klänge durch das ganze Kirchenschiff entfalteten.

Der zeitgenössische Komponist Jaakko Mäntyjärvi schuf 1997 das »Canticum Calamitatis Miritimae«, das die 910 Toten des Fährunglücks der MS Estonia in einem lateinischen Text thematisiert. Die Aufführung begann und endete mit einem Hauchen und Flüstern eines damaligen Zeitungsartikels sowie einem solistischen Joik. In diesem traditionellen Gesang werden keine Texte, sondern Gefühle transportiert, wodurch das Unglück in seiner Tragweite unmittelbar erlebbar wurde. Im Chorgesang wurden die Fakten erzählt und mit Psalm 107, 23–30 verbunden, der von Sturm, hohen Wellen und Verzweiflung berichtet. Dies setzte Mäntyjärvi in eine aufgewühlte Musik um, die sich in ein Desaster von peitschender Natur und der menschlicher Hilflosigkeit steigert.

Sängerinnen, Sänger und Ensemble gestalteten jede noch so kleine Nuance der Dramatik aus. Am Ende jedoch ist Frieden, die Musik geht über in ein stilles Fließen, symbolisch für die Errettung durch Gott, der die Katastrophe in letzter Konsequenz beherrscht. Hatte das Publikum bis jetzt atemlos gelauscht, brach sich nun die Begeisterung in minutenlangem Beifall Bahn. (GEA)