Brahms' Requiem, ein Werk von klanglicher Tiefe und berückender Schönheit, gilt nicht den Toten, sondern den Trauernden und ist deswegen nicht nur am Totengedenktag angemessen. Es geht um den persönlichen Umgang mit dem Tod, und da trösten und berühren Brahms' Worte und Musik mehr als so mancher lateinischer Text.
»Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.« Diese Worte, die das Requiem eröffnen, klingen wie schwebend aus dem Jenseits. Das Ebinger Kammerorchester und der Philharmonia Chor Reutlingen zeigen gleich dort, dass sie gut miteinander harmonieren und dass beide unter der Leitung von Martin Künstner sich an solch extrem leisen Stellen im Requiem sehr gut unter Kontrolle haben. Auf diese Weise kann der Klang sich in seiner ganzen Schönheit entfalten, er klingt einheitlich, Chor und Orchester verschmelzen symbiotisch.
Von extrem leise zu extrem laut
Im zweiten Satz (»Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«) baut Brahms einen extremen Kontrast zu diesem leisen Anfang auf. Da steigert sich der Chor gewaltig ins fast schmerzlich Laute. Das bedeutet: Hoher Kraftaufwand für den Chor! Der Philharmonia Chor Reutlingen stößt hier an seine Grenzen. Dennoch: Dem Chor gelingt es, obwohl er die Lautheit nicht bis an die Spitze treibt und die intendierte Klangwucht nicht ganz auslotet, einen musikalischen Gefühlsausbruch zu zeigen, der das Publikum in der Marienkirche mitreißt.Äußerst gefühlvoll und berührend ist das Sopransolo »Ihr habt nun Traurigkeit«. Christine Reber singt ihren Part mit viel Klarheit und einer gewissen süßen Innerlichkeit. Der Bariton Simon Stricker interpretiert seinen Part, der mit Worten Salomos von der Vergänglichkeit des Menschen spricht, mit viel Ausdruck. Er singt gut textverständlich und sehr einfühlsam. Martin Künstner hat da natürlich auch seine Hände im Spiel: Er lässt den orchestralen Verzauberungsapparat bei Strickers Solo runterfahren, damit sich der Sänger gänzlich entfalten kann.
Insgesamt hat Künstner es geschafft, das Orchester samt dem Chor so zu führen, dass die große dynamische Bandbreite des Werkes facettenreich abgebildet wird. Er hat die Übergänge zwischen Chor, Orchester und Solisten sehr fein gestaltet und hat somit die Leuchtkraft dieses faszinierenden Werkes nuancenreich entfalten können. (GEA)