REUTLINGEN. Alles wird gut? Nein: »Alles wird besser!« So steht der Satz auf einem Transparent hinter der Bühne im franz.K, in Schreibschrift und mit der entscheidenden Korrektur. Nun, dass Optimismus die letzte Zuflucht der restlos Verlorenen ist, ist keine große Neuigkeit. Die Kapelle der letzten Hoffnung nennt sich denn auch die Band, die vor dem Transparent spielt am Donnerstagabend. Und sie feiert ein bisschen, als ob es kein morgen gebe. Mehr als 200 ergebene Fans feiern mit.
Die Kapelle der letzten Hoffnung spielt keine Blasmusik, obwohl ein Saxofon beteiligt ist – je nach Stück eines in Tenor, Bariton oder Sopran. Es wird gespielt von Nils Wrasse, sorgt für exquisite rhythmische Effekte, schafft auch Momente, in denen die Musik abtaucht in mysteriös durchbrummte Klangflächen. Zuvorderst aber steht bei der Kapelle der letzten Hoffnung das Tempo, das Rhythmusspiel, die wohlerprobte Raserei.
Sportiver Troubadour
Sie gibt dem Sänger Florian Paul Gelegenheit, sich von hier nach dort zu werfen, unablässig über die Bühne zu hüpfen, mit den Armen in der Luft zu rudern, in die Knie zu gehen und mit federndem Elan in die Höhe zu springen. Zwischen den Musikern seiner Band hin und her zu fliegen wie ein frenetischer Botschafter, besessen vom Willen, alle mit seiner Begeisterung fürs unkonventionelle Leben anzustecken. Mit seiner schwarzen runden Brille sieht er aus wie eine Eule auf Urlaub. Er singt von Bier und Liebe. Er beklagt sich im angerauten Ton eines Chansonniers: »Warum ist es in meiner Kneipe so sauber und hell?« Seine Nervosität, das gibt er zu, hat einen Grund: »Es ist unser erstes Konzert in 2025!«
Florian Paul stammt aus dem Ruhrpott. Er zog nach München, traf dort auf die Leute, die zu seiner Kapelle wurden. Neben Nils Wrasse sind es Susi Lotter, die im Hintergrund schwebt und kraftvoll ihren E-Bass bedient, Johannes Rothmoser, der gemeinsam mit ihr das rhythmische Gerüst schafft, das für die Kapelle der letzten Hoffnung so ungemein wichtig ist, seine Schläge lässig und variantenreich setzt, der Musik wuchtige, aber flexible Schwere gibt, und Giuliano Loli an den Keyboards. Loli spielt mit tiefen, runden, groovenden Noten, mit einem ebenfalls speziellen Sound. Ein Hauch von Retro umweht die Kapelle der letzten Hoffnung, die wehmütige Poesie im Dreivierteltakt und die zappelige Gegenwart, die sich mit Ska und Reggae in ein Nachtleben stürzt.
Blöder Zeitgeist
Der Sänger schlägt dazu locker die Gitarre an. Er singt vom lieben Zeitgeist, der ihn enttäuscht hat. Das Saxofon spielt nun ein Solo, eine Melodie, das Stück dreht sich schneller und schneller. Manchmal plaudert Florian Paul ein wenig mit Giuliano Loli, der sich meist lakonisch gibt. Später werden beide hinaus ins Publikum ziehen, noch später wird Florian Paul dort alleine singen. Erst einmal träumt er aber vom Pistazieneis und lässt sich vom Wind an den Geruch des Haares einer Dame erinnern – »Tous les jours je t’attendrai« – »Jeden Tag warte ich auf dich«.
Es sind Lieder von Fernweh und Jugendlichkeit, kleine Fluchten aus der hässlichen Wirklichkeit, die der wortgewandte Sänger und seine cleveren Begleiter zelebrieren. Textbetonter noch gab sich ihre Vorgruppe – die von fünf auf zwei Mitglieder verknappten Tristan Vox, sonst oft zu Gast bei der Lesebühne »Poesie und Pommes«. Dieses Mal traten nur Autor Jochen Weeber und Sänger/Songwriter/Gitarrist Frank Wild auf, spielten eine leise klingende, introvertierte Musik, die eher Rückblick hielt auf ein Leben, in dem Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung noch bis zu den Ohren stecken.
Im Zug nach Wien
Die Aufzählung von Lebensstationen zwischen Abitur, Auslandsjahr und Architekturstudium und der Zufall, oder die Liebe, die solche Lebensentwürfe unvorhergesehen ändern können, war ihr Thema. Florian Paul dagegen hat noch Zeit, mit großem Schwung in einen Zug nach Wien zu springen, die Melancholie einzusaugen, Falco im Ohr, und von den großen Träumen zu singen. Die Kapelle der letzten Hoffnung, das ausgelassene Karussell des Lebens, gibt dazu mehr Gas, je später der Abend wird. (GEA)