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Aktuell Ozeanien

Totenkult und koloniales Erbe

Eine Ausstellung im Linden-Museum widmet sich der Architektur, Religion und Seefahrt in der Pazifikregion

Links eine den Tod darstellende Malagan-Skulptur, rechts eine Maske für kultische Tänze aus Papua-Neuguinea. FOTOS: DRASDOW/LIND
Links eine den Tod darstellende Malagan-Skulptur, rechts eine Maske für kultische Tänze aus Papua-Neuguinea. Foto: DRASDOW/LINDENMUSEUM
Links eine den Tod darstellende Malagan-Skulptur, rechts eine Maske für kultische Tänze aus Papua-Neuguinea.
Foto: DRASDOW/LINDENMUSEUM

STUTTGART. So klein sie auch auf der Landkarte aussehen, die mehr als 7 000 Inseln im Pazifik, die die Region Ozeanien bilden, beherbergen sie doch vielfältige Sprachen und Kulturen. Eine kleinen Einblick in diese Welt bekommen Besucher in der Ausstellung »Ozeanien – Kontinent der Inseln« im Stuttgarter Linden-Museum.

Im Anfangsbereich trifft man vor allem auf kultische Gegenstände. So zum Beispiel Masken, die zu zeremoniellen Anlässen bei Maskentänzen getragen wurden. Sie sollten Geistwesen und die Kräfte der Ahnen vergegenwärtigen. Allerdings wurden die Herkunft der Maske, ihr Name, die Rolle die sie verkörperte, und auch ihr Träger oft geheim gehalten.

Die sogenannten Uli-Figuren hatten ebenfalls ihren Platz in Totengedenkfeiern. Sie besitzen immer männliche und weibliche Geschlechtsteile. Dies sollte möglicherweise symbolisieren, dass Lebensenergie über Frauen und Männer weitergegeben werde kann. Es könnte aber auch einen idealen Anführer, stark und fürsorglich, darstellen.

Im Norden Papua-Neuguineas gibt es einen besonderen Festzyklus zum Totengedenken: den Malagan-Ritus. Am Schluss der Feierlichkeiten wird ein extra angefertigtes Bildwerk enthüllt – allerdings nur, um es danach zu zerstören, dem Verfall zu überlassen oder, in früheren Zeiten, auch Europäern zu verkaufen. Diese Vernichtung sollte ein Zeichen für die Freisetzung der Seelen der Verstorbenen sein und die bestehende soziale Ordnung bekräftigen.

Wie Bilder in der Ausstellung zeigen, wurden diese Malagan-Riten auch in jüngerer Zeit noch abgehalten. Diese Bilder sind allerdings die einzigen aktuellen Bezüge in der Ausstellung, die sich ansonsten auf die Geschichte fokussiert.

Die Natur Ozeaniens spielt ebenfalls eine untergeordnete Rolle, kommt aber vor. Ein interaktiver Bildschirm zum Thema Kokospalme verrät zum Beispiel, wer der Palmendieb in Ozeanien ist: der größte Landeinsiedlerkrebs, der auf Palmen klettern und Kokosnüsse mit seinen Scheren öffnen kann.

Die Kokospalme spielt für die Menschen in Ozeanien eine große Rolle – ihre Blätter sind ein wichtiges Arbeitsmaterial. Nicht nur kunstvolle Fächer, von denen auch einige im Museum zu sehen sind, wurden daraus geflochten, sondern auch ganze Bootssegel.

Boote und Fischfang bilden einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung: Es sind mehrere Schiffsmodelle zu sehen. Mit den richtigen Booten kreuzten die Menschen Ozeaniens schon vor 5 000 Jahren über den weiten Ozean. »Diese immensen Kenntnisse, die die Navigatoren haben mussten – an welchem Punkt des Horizontes geht welcher Stern auf und wann unter, das ist schon faszinierend«, sagt Ulrich Menter, der Kurator der Ausstellung.

Dunkle Objektgeschichte

Außerdem zeigen die zum Teil riesigen Angelhaken, dass man es in Ozeanien nicht nur mit Sardinen zu tun hat. Um Tintenfische anzulocken, wurden besondere Köder verwendet: glänzende Kaurimuschelschalen. Viele hundert Müschelchen wurden auch in einem der ausgestellten Schmuckstücke verarbeitet. Schmuckobjekte dienten nicht nur der Zierde, sondern konnten auch Rang und Status signalisieren.

Das Herzstück der Ausstellung ist ein ganzes Haus: ein Modell, das 1905 von Tene Waitere und seinen Mitarbeitern Neke Kapua und Eramiha Kapua gebaut beziehungsweise geschnitzt wurde. Es entspricht in seinen Proportionen und künstlerischen Details einem großen Versammlungshaus, einem »Wharenui«.

Das Haus wurde von Thomas E. Donne in Auftrag gegeben. Er war der Direktor des »Department of Tourist and Health Resorts«. Dass man die genaue Herkunft und die Herstellung des ausgestellten Gegenstandes kennt, ist in der Ausstellung eher selten. Wer der europäische Erwerber war, ist zwar oft bekannt, aber nicht, wer den Gegenstand davor besaß. In der Ausstellung wird auf Tafeln darauf hingewiesen, wenn die Erwerbsumstände unbekannt sind.

Aber auch an anderen Stellen wird auf die ungewissen und möglicherweise unrechtmäßigen, gewaltvollen Erwerbungsumstände hingewiesen. In einem interaktiven Bildschirm kann man sich zum Beispiel darüber informieren, wie das Museum versucht, die Herkunftsgeschichte der Objekte zu erforschen.

Objektgeber waren zum Beispiel Forscher, Händler, Angehörige des Militärs oder der Mission. Auch sie werden auf Tafeln beschrieben. Es wird erzählt, dass mehrere von ihnen an sogenannten »Strafexpeditionen« beteiligt waren, also an blutigen Vergeltungsaktionen gegen die indigene Bevölkerung.

So zum Beispiel Rudolf von Bennigsen, der erste Gouverneur von Deutsch-Neuguinea. In seinem Fall wird vermerkt, dass seine Sammlertätigkeit im Zusammenhang mit diesen Militäraktionen gesehen werden muss.

Die rund 270 Gegenstände die nun ausgestellt werden, sind nur ein Bruchteil der Ozeanien-Sammlung des Linden-Museums. Mehr als 23 000 Objekte aus Ozeanien kamen in der deutschen Kolonialzeit bis 1918 nach Stuttgart. Ab 1906 gab es in Ozeanien zwei große deutsche Verwaltungsgebiete: Deutsch-Neuguinea und die Deutschen Samoainseln. (GEA)

 

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung »Ozeanien – Kontinent der Inseln« ist im Linden-Museum, Hegelstraße 1 in Stuttgart, bis auf Weiteres zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Samstag von 10 bis 17 Uhr, am Sonn- und Feiertag von 10 bis 18 Uhr. Für die Ausstellung gibt es einen Audioguide. (GEA) www.lindenmuseum.de