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Tocotronic-Sänger: »Mein Bauchgefühl ist gut«

Dirk von Lowtzow erklärt, warum Tocotronic ihr neues Album ausgerechnet »Golden Years« nennen.

Dirk von Lowtzow
Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. Foto: Annette Riedl/DPA
Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow.
Foto: Annette Riedl/DPA

HAMBURG. Die Band Tocotronic hat ein neues Album veröffentlicht. Es trägt den Titel »Golden Years« und soll einen Hoffnungsschimmer in diesen schwierigen Zeiten vermitteln. Kürzlich gab die Band auf Instagram bekannt, dass sich Gitarrist Rick McPhail für unbestimmte Zeit eine Auszeit nimmt. Im Interview spricht Sänger Dirk von Lowtzow über die neue Platte, das veränderte Bandleben und die AfD.GEA: Warum heißt das neue Album »Golden Years«? Golden waren die letzten Jahre wirklich nicht, wenn man auf die Welt blickt, nicht mal Bronze.

Dirk von Lowtzow: Zehnkarätiges Gießkannenblech, so würde ich es nennen. (lacht) Wir wollten einen Titel, der größtmögliche Offenheit und Ambiguität (Doppeldeutigkeit, d. Red.) ausstrahlt. Ambiguität ist für uns ein wichtiges Wort. Viele unserer Lieder – auch das Cover des neuen Albums – haben diesen Doppelbild-Charakter. Natürlich kann man »Golden Years« als Hoffnungsschimmer deuten, aber angesichts der Gegenwart auch als sarkastisch verstehen.

Man sagt, Sie hätten ein Bauchgefühl dafür, ob ein Song gut ist. Was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl über das neue Album?

Von Lowtzow: Ich kenne zu viele »Zaubertricks« auf der neuen Platte, um meinem Bauchgefühl ganz vertrauen zu können. Den Song »Golden Years« habe ich morgens schnell runtergeschrieben, nachdem ich schlecht geschlafen hatte – deshalb mag ich ihn sehr. Bei einem Großteil der Stücke kann ich aber sagen: »Mein Bauchgefühl ist gut.«

»Denn sie wissen, was sie tun« heißt die erste Single. Laut »Musikexpress« haben Sie den Song 2023 geschrieben, als sich Wahlerfolge der AfD abzeichneten. Ein klassischer Protestsong ist es aber nicht, oder?

Von Lowtzow: Man kann den Song politisch deuten, muss es aber nicht. Wenn man ihn isoliert als Single betrachtet, bekommt er diesen Charakter. Als wir ihn in den sozialen Medien veröffentlicht haben, haben wir ihn mit dem Hashtag »No AfD« versehen. Im Kontext des Albums muss man ihn jedoch nicht zwangsläufig politisch interpretieren. Es kann auch um ein Gegenüber gehen, unter dessen Niedertracht man leidet, das einen bedrängt und ausnutzt. Viele Menschen greifen auf Niedertracht zurück, um ihre persönlichen oder politischen Ziele durchzusetzen. Trump, die AfD, Elon Musk oder der Österreicher Kickl nutzen diese Strategie gezielt, um Teile der Bevölkerung von der restlichen Gesellschaft abzuspalten und eine gewaltbereite Gefolgschaft heranzuzüchten. Um diese Leute geht es im Song.

Wie viel Angst macht Ihnen die AfD?

Von Lowtzow: Mir macht das große Angst. Allerdings denke ich, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Im Umgang mit der AfD braucht es politische Entschlossenheit, und diese vermisse ich manchmal. In der politischen Klasse herrscht oft ein gewisser Defätismus nach dem Motto: »Was sollen wir eigentlich machen?« Die rechtlichen Möglichkeiten sind bislang nicht vollständig ausgeschöpft. Ich denke dabei an ein AfD-Verbot oder zumindest an die Einleitung eines Verbotsverfahrens. Leider wird in dieser Hinsicht viel zu zögerlich agiert. Zudem finde ich, dass die EU-Ebene viel stärker in die Algorithmen der sozialen Medien eingreifen könnte. Ich spreche dabei nicht von Zensur, denn das ist ein schwieriges Terrain. Aber ich meine Algorithmen, die dazu führen, dass man etwa von einem Yoga-Kurs direkt bei einem rechten Influencer landet, zum Beispiel auf Youtube. Wenn man Hass und Hetze etwas entgegensetzen will, gäbe es hier Handlungsspielraum. Leider befürchte ich, dass wirtschaftliche Interessen dem oft im Weg stehen.

Sie schreiben Texte, die einen stundenlang zum Nachdenken bringen, und Melodien, die noch Jahre als Ohrwurm im Kopf sind. Wie schaffen Sie das?

Von Lowtzow: Damit ist mein Tag gerettet – genau das ist der Zweck der Übung! Man will natürlich Songs schreiben, die sich langfristig ins Gedächtnis einprägen. So wie Musik früher wichtig war, etwa von The Cure oder anderen Bands. Bei all der Doppeldeutigkeit, die uns seit Jahren als Strategie wichtig ist, versuchen wir, gleichzeitig ehrlich den Status unseres Lebens zu beschreiben. Wir sind da sehr mitteilungsbedürftig. Und wir befinden uns in einem Alter, in dem man zunehmend mit Verlusten von geliebten Menschen konfrontiert wird. Wenn man aufrichtig über sich selbst sprechen möchte, dann muss man über solche Dinge singen.

»Weine nicht, ich bitte dich ... kein Abschied ist für immer. Oder doch?«, singen Sie im Eröffnungssong. Wen sprechen Sie an?

Von Lowtzow: Das ist ein Lied, das Halt und Trost spenden soll – für jemanden, der einen geliebten Menschen verloren hat. Echter Trost ist jedoch nur dann authentisch und keine bloße Floskel, wenn ein solches Lied auch die Zerrissenheit der inneren Existenz widerspiegelt. Genau das geschieht, wenn ein Wort wie »fast« an die Stelle von »fest« tritt. In der Zeile heißt es: »Du kannst mir fast vertrauen.« Diese kleine, subtile Verschiebung macht einen Song für uns spannend.

Rick McPhail hat sich eine Auszeit genommen. Wie sehr fehlen er und sein Gitarrenspiel?

Von Lowtzow: Er fehlt uns natürlich sehr. Sein Spiel auf dem Album war wunderbar und unverwechselbar. Wir wünschen ihm von Herzen alles Gute. Mehr möchte und kann ich dazu nicht sagen, auch aus Rücksicht auf seine Privatsphäre. Was die Zukunft betrifft, sehen wir es als einen Prozess. Wir arbeiten daran, beobachten, was passiert, und sind sehr zuversichtlich.

Sind Sie immer noch Stofftier-Fan? Werden Sie nervös, wenn Sie an diesen Greifarm-Automaten vorbeigehen?

Von Lowtzow: (lacht laut) So süchtig bin ich dann doch nicht. Da entsteht kein Druck, dass ich da unbedingt Geld reinwerfen muss! Aber ich finde Stofftiere wunderschön, und ich denke, jeder Mensch sollte eines haben. (GEA)

 

Tocotronic: 20. März, Im Wizemann, Stuttgart