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Theaterhaus Stuttgart feiert sein »Kulturwunder«

Ein Flaggschiff der alternativen Kultur: Das Theaterhaus in Stuttgart demonstriert auch bei seiner Geburtstagsfeier Vielfalt.

Immer druckvoll und mit Spaß dabei: Die zweite Generation des United Jazz & Rock Ensembles gab sozusagen die Partyband.
Immer druckvoll und mit Spaß dabei: Die zweite Generation des United Jazz & Rock Ensembles gab sozusagen die Partyband. Foto: Joachim Kreibich
Immer druckvoll und mit Spaß dabei: Die zweite Generation des United Jazz & Rock Ensembles gab sozusagen die Partyband.
Foto: Joachim Kreibich

STUTTGART. An Mut, Ausdauer und Überzeugung hat's nie gefehlt. Auch wenn zwischendurch immer wieder mal das Geld knapp wurde. OB Frank Nopper bescheinigt den Machern »subversive Lust und Kreativität«. Ministerin Petra Olschowski erinnert daran, dass stets die Idee einer freien, offenen und toleranten Gesellschaft im Vordergrund stand und sich in einer großen Programm-Vielfalt manifestierte.

1.100 Besucher feierten am Samstag die »unverzichtbare Kultur-Einrichtung« (Olschowski) und das »Kulturwunder« (Nopper). Ein interkulturelles Schauspiel-Ensemble, Tanz und viele Diskussionen gehörten über die Jahre hinweg stets dazu, die Comedy-Szene ist Stammgast, der Jazz ist eine feste Säule, wie Olschowski feststellte, die tatsächlich die Anfänge schon miterlebt hat. Sie findet: »Stuttgart war vorher eine Wüste.« Doch plötzlich habe es sich nach Großstadt angefühlt und »Kultur für alle« gegeben.

Dramatische Aktualität

Viel Lob gab's für die Gründer und insbesondere Werner Schretzmeier, der doppelt so alt ist wie sein Erfolgs-Projekt und so präsent, dass sich manche Besucher schon gefragt haben, ob er zwischendurch auch mal nach Hause geht. »Das Theaterhaus war immer eine One-Man-Show - und zugleich nie«, sagt Ministerin Olschowski. Denn der omnipräsente Schretzmeier schafft zugleich die Freiräume, die alle brauchen.

In fast vier Stunden war am Samstag vieles von dem zu erleben, was das Theaterhaus ausmacht. Mit Sänger Ron Williams und anderen standen sogar Teilnehmer der damaligen Eröffnungs-Revue auf der Bühne. Williams Ode an »Lady Liberty« hat durch Donald Trump noch einmal dramatische Aktualität erhalten. Das KGB-Trio Otto Kuhnle, Michael Gaedt und Roland Baisch setzte wie seinerzeit auf gekonnte Blödeleien und bot unter anderem seine eigene Version des »Todessprungs von Acapulco« mit Schleuderbrett und spritzenden Tequila-Bechern.

»Jeder hat ein Hörgerät, aber nicht jeder hat's auch drin«: Die Comedians Roland Baisch, Michael Gaedt und Otto Kuhnle feierten
»Jeder hat ein Hörgerät, aber nicht jeder hat's auch drin«: Die Comedians Roland Baisch, Michael Gaedt und Otto Kuhnle feierten mit (von links). Foto: Joachim Kreibich
»Jeder hat ein Hörgerät, aber nicht jeder hat's auch drin«: Die Comedians Roland Baisch, Michael Gaedt und Otto Kuhnle feierten mit (von links).
Foto: Joachim Kreibich

Einige Künstler, die nicht persönlich kommen konnten, nutzten die technischen Möglichkeiten und überbrachten Video-Botschaften. Die schönste hatte sich Kabarettist Alfons ausgedacht, der seine Kehrwochen-Ausbildung dokumentiert hatte und den Besuchern die eindringliche Botschaft mitgab: »Hier wird auch geputzt, wenn's sauber ist.«

Mehrmals am Abend gab's kurze, aber eindringliche Theater-Szenen aus eigenen Produktionen wie »And now Hanau«. Und die zweite Generation des United Jazz & Rock Ensembles gab die Partyband. Die Vorgänger hatten 1985 zum Start in Wangen zwei Konzerte gegeben vor jeweils 1.000 Besuchern. Und über die Jahre hinweg waren sie verlässliche Weggefährten. Die von Flo Dauner zusammengerufene zehnköpfige Nachfolge-Truppe sorgte nun mit mehreren Stücken am Anfang, dazwischen und am Schluss für einen beeindruckenden musikalischen Rahmen.

Zum Finale: Katja Schmidt-Oehm steigt aus der symbolischen Geburtstags-Torte.
Zum Finale: Katja Schmidt-Oehm steigt aus der symbolischen Geburtstags-Torte. Foto: Joachim Kreibich
Zum Finale: Katja Schmidt-Oehm steigt aus der symbolischen Geburtstags-Torte.
Foto: Joachim Kreibich

Einen besonderen Auftritt hatte die norwegische Sängerin Rebekka Bakken: sowohl a cappella als auch am Flügel. Programmgestalter Wolfgang Marmulla verriet, wie er vor 23 Jahren ziemlich vergeblich versucht hat Werbung für das erste Bakken-Konzert zu machen. Am Ende kamen nicht mal zwei Dutzend zahlende Hörer - dafür aber zwei Handvoll Jazzkritiker. Nicht alle Initiativen im Theaterhaus hatten eben gleich beim ersten Mal Erfolg.

Ein Erfolgs-Garant ist seit Jahren die Gauthier Dance Company. Eric Gauthier zeigte erst, dass er auch als Singer/Songwriter was drauf hat. Dann folgte die eindrückliche Performance seiner Juniors: auf dem Trampolin zu den Klängen von Ravels »Boléro«. Auch Leute, die's nicht so mit Tanz haben, hätten die lieber nicht so schnell wieder von der Bühne gelassen.

Doch was bleibt einem, wenn noch Comedy-Hochkaräter wie Helge Thun, Rolf Miller, Christoph Sonntag oder das Komiker-Trio »Eure Mütter« warten? Thun witzelte, kaum seien drei Stunden um, habe man auch schon ein Drittel des Programms geschafft. Die letzten dürften sich freuen, weil sie dann schon zur Sommerzeit auf die Bühne träten. Er selber bot unter anderem angeschwäbelte Spottreime und erntete den lautesten Applaus.

Theaterhaus: Mehr als acht Millionen Besucher

Kein elitärer Kunstbetrieb, sondern niederschwelligere Kulturerlebnisse mit günstigen Eintrittspreisen. Das gehörte 1985 zu den Zielen des Gründertrios Gudrun und Werner Schretzmeier sowie Peter Grohmann. In Stuttgart-Wangen ging's los, 2003 zog man in die alte Fabrik auf dem Pragsattel, die sechsmal mehr Platz bietet.

Beim Start bestand das Team aus acht Mitarbeitern. Inzwischen sind es 120 Festangestellte, die von etwa 40 geringfügig Beschäftigten unterstützt werden. Gab es in den Anfangsjahren noch maximal 400 Vorstellungen jährlich, sind es heute 850 pro Jahr. Auch die Zuschauerzahlen sind immer weiter in die Höhe geschossen. In der Anfangszeit fanden im Schnitt 110 000 Zuschauer jedes Jahr ihren Weg ins Theaterhaus. Seit dem Umzug von Wangen an den Pragsattel sind es zwischen 260.000 und 300.000 pro Jahr. So kommt man auf mehr als acht Millionen Besucher seit Gründung. (-jk)

Zum Finale wurde eine überdimensionale Papp-Torte auf die Bühne geschoben. Wer wollte, durfte nebenan noch bei Sekt und Brezeln von den Highlights des Abends schwärmen oder in Erinnerungen an frühere Erlebnisse schwelgen. Wer Jazz mag, hat beim Oster-Festival von 12. bis 26. April die enorme Auswahl zwischen 31 Konzerten. Die Tanz-Fans dürfen sich schon das Colours International Dance Festival zwischen dem 26. Juni und dem 13. Juli vormerken. (GEA)